Und wieder war es nur ein „Einzeltäter“

Heute beginnt in Amberg der Prozeß gegen den mutmaßlichen Brandstifter Josef Saller / Der Rechtsradikale soll aus Ausländerhaß ein Haus angezündet haben / Vier Menschen kamen ums Leben / Seine Mitgliedschaft in der „Nationalistischen Front“ interessiert die Ermittler nicht  ■  Von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - 17. Dezember 1988, kurz nach Mitternacht. Ein überwiegend von türkischen Familien bewohntes Geschäftshaus in der Schwandorfer Innenstadt brennt bis auf die Grundmauern nieder. Für den 49jährigen Eisenarbeiter Osman Can, seine Frau Fatma (43) und ihren Sohn Mehmet (11) sowie den Akustiker Jürgen Hübener (47) kommt jede Hilfe zu spät. Seit heute muß sich der 20jährige Autolackiererlehrling Josef Saller vor dem Jugendgericht Amberg für diese Brandstiftung verantworten. 64 Zeugen hat die Staatsanwaltschaft aufgeboten, 1.300 Seiten umfassen die Akten. Damit zählt der Prozeß zu den umfangreichsten und spektakulärsten in der Oberpfälzer Nachkriegsgeschichte.

Doch die Fülle an Akten und Zeugen täuscht darüber hinweg, wie eindimensional die Ermittlungen der örtlichen Polizei in Zusammenarbeit mit dem Landeskriminalamt gelaufen sind. Schon am Tag nach dem Brand schließt die Polizei zwar Brandstiftung nicht aus, dementiert jedoch Meldungen von einem Brandanschlag. Zwei Wochen später muß sie diese Version korrigieren, denn am 5.Januar 1989 legt der in Schwandorf bereits als Skinhead mehrfach aufgefallene Josef Saller ein Geständnis ab. Detailliert berichtet er vor der Polizei und später auch vor der Ermittlungsrichterin, wie er das Feuer gelegt hat. Er wollte „die Ausländer ärgern“. Bereits zwei Tage später widerruft der 19jährige zwar sein Geständnis, doch aufgrund seiner Detailkenntnis ist die Staatsanwaltschaft davon überzeugt, daß er der Täter ist.

Neonazistisches Material beschlagnahmt

Noch am gleichen Tag, an dem Saller sein Geständnis abgelegt hat, geht die Kripo an die Öffentlichkeit. Sie schließt aus, daß an der Brandstiftung ein zweiter Täter beteiligt gewesen war und erklärt, „daß auch keine rechtsradikale Gruppierung im Hintergrund mitwisserisch oder anstifterisch tätig war“. Die Polizei bezeichnet Saller als „Einzelgänger, der aber durchaus ausländerfeindliche Interessen vertreten und verfolgt“ habe. Fünf Tage bevor bei der Hausdurchsuchung bei Saller umfangreiches Adressen- und Propagandamaterial der militanten neonazistischen Organisationen „Nationalistische Front“ (NF) und „Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands“ (FAP) gefunden werden, zwei Wochen bevor Saller zugibt, seit Frühjahr 1986 Mitglied der NF gewesen zu sein, und mehrere Tage bevor überhaupt Sallers Kontaktpersonen aus dem rechtsradikalen Umfeld vernommen worden sind, setzt die Kripo die Einzeltätervariante in die Öffentlichkeit. Sallers Funktion innerhalb der NF und deren aggressive ausländerfeindliche Agitation bleiben bis heute ausgeklammert.

Beim Durchlesen der Protokolle fällt auf, daß in jeder der 38 Vernehmungen von Kontaktpersonen die stereotype Formulierung auftaucht, Josef Saller sei ein Einzelgänger gewesen. Daß Saller von der subversiv arbeitenden Kaderorgansiation NF mit Adressenmaterial von Sympathisanten versorgt worden ist, ist der Kripo nicht einmal eine Nachfrage wert. In Sallers Briefwechsel mit den Führungsspitzen der NF fand sich ein von NF-Generalsekretär Meinolf Schönborn unterzeichnetes Schreiben, adressiert an „alle Mitglieder der Organsiationsleitung, Bereichsleitung Nord und Süd und Ortsgruppenleitung“. Handschriftlich ist „Sepp“ (für Josef) vermerkt. Schönborn fordert darin von seinen Mannen eine „vorbildliche Haltung und täglichen Einsatz für Deutschland“. Handschriftlich ist weiter vermerkt: „Bitte die beiliegenden Adressen bearbeiten (anrufen, anschreiben usw.) und Rückmeldung.“ Auf dem beigefügten Computerausdruck sind nach Postleitzahlen geordnet 17 Adressen aufgeführt.

Kontakte uninteressant

Für fünf Adressen, darunter zwei in Weiden, wo sich Saller nach Angaben seiner Schwester mit „Gleichgesinnten“ getroffen haben soll, interessieren sich die Ermittler überhaupt nicht. Ob Saller den bei ihm gefundenen Einladungen zu NF-Schulungen, dem NF-Ausbildungslager im August 1988 unter dem Motto „Junge Kolonnen marschieren für das 4.Reich“ oder dem NF-Bundesparteitag in Bielefeld am 10. Dezember 1988 gefolgt ist, ist für die Polizei nicht von Belang. Man findet zwar IC-Zuschläge, gekauft am 10.Dezember in Nürnberg und am 11.Dezember in Hannover, doch das reicht den Beamten für logische Schlüsse nicht aus. Sechs Tage nach dem Parteitag steht das Haus in Schwandorf in Flammen. Kurz vorher hat Saller noch ein Schreiben der NF bekommen: „Die NF klagt nicht nur an - sondern handelt auch auf vielfältige Weise.“

Querverbindugen zur FAP (Propagandamaterial und Adressen von führenden FAP-Funktionären) werden ebensowenig weiterverfolgt wie Kontakte zu NPD und REP. Ein NF-Mitglied aus dem oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg berichtet zwar, daß er Saller von einem Treffen der verbotenen Kühnen-treuen „Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten“ (ANS/NA) in Schwandorf kenne. Mit von der Partie sei damals der NPD-Kreisvorsitzende Frank und der damalige REP -Vorsitzende und heutiger Schatzmeister Peter Klier gewesen. Während die Kripo immerhin den NPD-Funktionär verhört, begnügen sie sich bei Peter Klier mit dessen Mutter. Erika Klier, heute Kreistagsabgeordnete der REP, bestätigt, daß bei ihrem Sohn keine Türkenfeindlichkeit bestehe. Das war's.

An dem ideologischen Hintergrund der NF zeigte die Staatsanwaltschaft von Anfang an kein Interesse. Die NF rekrutierte sich aus Beständen der 1982 verbotenen „Volkssozialistischen Bewegung Deutschlands/Partei der Arbeit“, der ANS/NA und den „Jungen Nationaldemokraten“. 1985 konstituierte sich die „neue vereinigte Kraft aller revolutionären Nationalisten in der BRD“ als Partei in Bielelfeld. Das NF-Haus in der Bielefelder Bleichstraße machte seitdem als Neonazizentrum bundesweit Schlagzeilen. Dort hielt die NF ihre Schulungen ab, dort traf sie sich mit Kühnen, dort versammelten sich rechtsradikale Fußballfans der „Borussenfront“, der „Taunusfront“ und des „Ostwestfalen -Terrors“, dort referierte Pierre Krebs vom „Thule-Seminar“ in Kassel und von dort gingen Überfälle auf Ausländer und linke Buchläden aus. Seit dem 6. Januar 1989 besitzt die NF ein weiteres Haus in Pivitsheide bei Detmold. Konsequenter örtlicher Widerstand schränkte jedoch die Nutzung der Zentren für die NF stark ein.

„Deutschland

braucht Taten“

In ihrer Agitation schürt die NF gewollt Aggressionen insbesondere gegen AusländerInnen. Für den „Einsatz für die Bewahrung der Volksidentität“ verlangt die NF einen „nachdrücklichen Kampf gegen weitere fremdvölkische Einwanderung“. „Deutschland braucht Taten“, „Deutsche, wehrt Euch“, „Wer uns im Weg steht, wird es zu spüren bekommen“ und „Wir sind bereit“ lauten die Losungen derjenigen, die „keine Kaffee- oder Biehrhausnationalisten“ sein wollen, sondern „nationalistische Freiheitskämpfer“. Sallers Tat kommentiert die NF mit unverhohlener Sympathie. In den „Nachrichten aus der Szene“, Ausgabe 1/89, schreibt die NF, es sei ja „kein Wunder, daß immer mehr solche Kurzschlußreaktionen stattfinden“, schließlich treibe der „Zustrom von Asylanten und Gastarbeitern immer mehr Deutschen die blanke Wut in den Bauch“. Die NF sieht voraus, daß es „zukünftig noch mehr solche Reaktionen geben wird.“

Ist für die NF jeder „Kamerad ein selbstbewußter, revolutionärer und nationalistischer Einzelkämpfer“, legt die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft ihr Schwergewicht nur auf den „Einzelkämpfer“. Der organisatorische Hintergrund bleibt außen vor. Saller besitze zwar eine „massive Abneigung gegen in der Bundesrepublik Deutschland lebende Ausländer“, er habe sich jedoch zunehmend zum „Einzelgänger und Einzelkämpfer“ entwickelt. Konsequent werden die ursprünglich in der Anklageschrift noch aufgeführen 21 Zeugen aus dem politischen Umfeld Sallers auf ganze fünf reduziert. Aus dem ursprünglichen Mordvorwurf wird „besonders schwere Brandstiftung“.

Mit dieser Praxis bleiben sich Staatsanwaltschaften und Gerichte treu. Schon immer wenn es um die strafrechtliche Verfolgung von Attentaten rechtsradikaler Urheberschaft gegangen ist, hat sich die Einzeltätertheorie großer Beliebtheit erfreut, schließlich gilt es ja, nationale und internationale Verflechtung neonazistischer Organsiationen zu leugnen. Der „typische“ Einzeltäter Saller in einer Reihe mit Gundolf Köhler (Oktoberfestattentat) und Uwe Behrendt (Doppelmord in Erlangen 1980). Auch Schwandorfs Oberbürgermeister Kraus (CSU) machte sich nach dem Brand weniger Sorgen um die Opfer als um das Renommee der Stadt. Er weigerte sich, an dem Trauermarsch für die Toten teilzunehmen. Denn er wollte nicht den Eindruck erwecken, als müßte man sich „hier in unserer Stadt gegen neonazistische Tendenzen wehren“.