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Hurenmetaphorik

■ Kritik an der Behandlung Ostmitteleuropas in der grünen Wahlplattform

Bei der Lektüre der Präambel zur Wahlplattform, die am letzten Wochenende von der Bundesversammlumng der Grünen verabschiedet wurde, fühlt man sich in den Gottesdienst frommer protestantischer Sektierer versetzt. Eine schwer erträgliche Mischung aus Selbstgerechtigkeit und Wüten wider die Hure Babylon durchzieht den Abschnitt, der vom Zusammenbruch des realen Sozialismus handelt. Haben „die Grünen“ wirklich, wie es im Text heißt, die oppositionellen Bewegungen in Osteuropa unterstützt oder war es eine kleine Minderheit, die sich oft genug dem Vorwurf eines platten Antikommunismus ausgesetzt sah? Die Verfasser beklagen, daß der rechte Glaube, das „humanistisch-emanzipatorische Ideal des Sozialismus“ historisch in die Despotie umgeschlagen sei. Ein paar Überlegungen zu den dunklen Seiten, die dieser Utopie von Anfang an anhafteten, wäre nicht übel gewesen und das durchaus im Interesse künftiger linker Politik.

Nach der Selbstvergewisserung folgt die Strafpredigt: die Bundesregierung praktiziere keine humane Solidarität und Hilfe, sie habe nur die obszöne Überzeugungskraft der DM anzubieten, mit der sie schamlos und in der Pose des Zuhälters die osteuropäischen Gesellschaften zur Prostitution, zum Verkauf ihrer selbst treibe. In dieser puritanischen Hurenmetaphorik geht buchstäblich alles unter, was zur Klärung der komplizierten Lage in Ostmitteleuropa beitragen könnte. Noch einmal: die Gesellschaften dieser Länder benötigen dringend westliches Kapital zur Instandsetzung ihrer kaputten Infrastruktur und zur Modernisierung ihrer völlig veralteten Industrie. Die Grünen können Druck machen für Schuldenerlaß und günstige Konditionen fordern für künftige Kredite. Sie können ökologisch sinnvolle Projekte fördern und Ratschläge geben wenn man sie fragt.

Bei „Alternativen für drüben“, die die Verfasser der Präambel in Aussicht stellen, sollten die Grünen sich besser zurückhalten. Der in der Präambel geäußerte Verdacht, die osteuropäischen Gesellschaften ließen sich - wenn auch unter dem Zwang der Verhältnisse - zur Prostitution herbei und seien kollektiv Opfer westlicher Manipulation, zeugt von Überheblichkeit, Unwissenheit und ist eine Unverschämtheit gegenüber den Völkern dieser Region. Ausgerechnet diejenigen, die im Gegensatz zu den Intellektuellen etwa Polens und der Tschechoslowakei die gesellschaftliche Dynamik in den beiden Deutschlands völlig falsch beurteilten, die sich mit ihrer sterilen Zweistaatlichkeitsdogmatik um allen politischen Kredit gebracht haben, sie treten schon wieder als Prediger auf. Runter von der Kanzel!

Christian Semler

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