: DDR wird zum „Anschluß “ nicht gefragt
■ DDR soll Souveränität in Währungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik abgeben / „Süddeutsche Zeitung“ veröffentlichte Entwurf eines Staatsvertrages / DDR-CDU wußte von nichts / Bestimmungen über sozialistische Gesellschaftsordnung sollen aufgehoben werden
Berlin (taz) - Keine Stellungnahme, hieß es gestern sowohl bei der SPD wie bei der CDU. Die beiden stärksten Parteien der DDR haben aus der Zeitung erfahren, was in Bonn von der Regierung der BRD in den Vertragsentwurf zur Wirtschafts und Währungsunion geschrieben worden ist. Man sei nicht vorher konsultiert worden, bestätigte der Parteisprecher der CDU, Lück.
Noch ehe die neue Regierung unter Dach und Fach ist, hat ihr die Bonner Koalition ein Ei ins Nest gelegt, mit dem sie einen guten Teil ihrer Kompetenzen erst einmal wieder loswerden soll. In einem 50 Seiten starken Vorschlag für einen Staatsvertrag zwischen BRD und DDR ist vorgesehen, daß die DDR in allen zentralen Bereichen ihre Souveränität in der Währungs-, Wirtschafts-, Finanz- und Sozialpolitik abgibt. Auf gut deutsch: Vor dem politischen Anschluß erfolgt erst einmal der wirtschaftliche. Einem Bericht der 'Süddeutschen Zeitung‘ vom Donnerstag zufolge ist unter anderem vorgesehen, daß die DDR mit Einführung der Währungsunion alle in der Verfassung enthaltenen Bestimmungen über eine sozialistische Staats- und Gesellschaftsordnung außer Kraft setzt. Vor diesem Hintergrund erhält der neue Verfassungsentwurf des Runden Tisches, der gestern vorgelegt wurde, unversehends eine zusätzliche Aktualität (siehe Bericht auf Seite 3).
Die Autoren des „Vertrags über die Schaffung einer Währungsunion, Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft“ reden nicht lange drumherum. Im einzelnen ist vorgesehen, daß alle wesentlichen Gesetze der BRD auf den Gebieten des Währungs-, Kredit-, und Geldwesens mit Errichtung der Währungsunion auch von der DDR übernommen werden sollen. Die Bundesbank und die zuständigen Bundesbehörden sollen das Recht erhalten, ihre Befugnisse auch auf dem Gebiet der DDR auszuüben.
Hinsichtlich des Umtauschs von DDR-Mark ist dem Artikel zufolge vorgesehen, Guthaben von Kleinsparern bis zu einer nicht näher bezeichneten Grenze im Verhältnis 1:1 zu tauschen und höhere Guthaben sowie Guthaben juristischer Personen oder staatlicher Institutionen in einem ebenfalls nicht näher genannten ungünstigerem Kurs.
Die DDR soll sich schließlich verpflichten, das Bundesbankgesetz und das Kreditwesengesetz ohne wesentliche Änderungen zu übernehmen. Auch das bundesdeutsche Sozialrecht sowie das Steuerrecht sollen übernommen werden. Dafür dürfen die Mitglieder der DDR-Regierung an den Sitzungen des Zentralbankrats in Frankfurt/Main teilnehmen aber nur mit Antrags- und nicht mit Stimmrecht.
Der Entwurf wurde gestern in Bonn bei einem Minister- und Expertengespräch erörtert. Die Bonner Regierung geht davon aus, daß die Verhandlungen mit der DDR über eine Wirtschafts -, Währungs- und Sozialunion bereits in der zweiten April -Hälfte beginnen können. Zum Bericht der 'SZ‘ hieß es, von einem Vertragsentwurf könne nicht gesprochen werden. Es handele sich um Arbeitsmaterialien, die in den beteiligten Ministerien erarbeitet worden seien - den Bonner Ministerien, versteht sich.
b.s.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen