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SCHMERZMITTEL IN AFRIKA

■ Filme über „Fremde Körper“ im Haus der Kulturen der Welt

Die nationalsozialistische Filmindustrie konzentrierte sich 1943 schon ganz auf Operetten- und Liebesfilme. Max W. Kimmichs Germanin stellte eine Ausnahme im Kinoprogramm dar. Der Schwager Goebbels kombinierte in diesem Film sein Spezialthema - antibritische Hetze - mit Pro-BAYER -Propaganda. Germanin ist ein Werbe-Dokumentar-Spielfilm über Pharma-Experimente in Afrika: „staatspolitisch wertvoll“, nach 1945 von den Alliierten verboten und vor wenigen Wochen vom Deutschen Institut für Filmgeschichte für öffentliche Vorführungen wieder bedingt freigegeben.

Achenbach, ein deutscher Medizinprofessor, forscht seit 1911 in Afrika an einem Mittel gegen die Schlafkrankheit. Ihm unterwürfig zur Seite die Assistentin Anna und, nach einem Leopardenangriff, auch Tierfänger Luis Trenker. Im Ersten Weltkrieg zerstören die Briten die Versuchsstation, doch Pfadfinder Trenker - im Urwald zu Hause wie auf dem Matterhorn - hat die wertvollen Materialien zuvor in Sicherheit gebracht, nach Hause, zu den BAYER-Werken in Leverkusen. Dort brodelt es in den Töpfen und Köpfen der Wissenschaftler, die endlich ein Serum gegen die Schlafkrankheit finden: BAYER 205 alias Germanin. Die Briten verhindern, daß die Deutschen das Wundermittel zurück ins „schwarze Zauberland“ bringen, da der Versailler Vertrag den Zugang zu den „geraubten“ Kolonien versperrt. Als Bedingung zur Einreise wird von den Wissenschaftlern eine nachgewiesene Heilung verlangt. Trenker stellt sich zur Verfügung und läßt sich im Berliner Labor von Tsetsefliegen infizieren. „Ich nehm‘ dem Professor ein Stück Arbeit ab.“ BAYER 205 wirkt und rettet zuerst Trenker, später fast ganz Afrika das Leben. Trotzdem ist es noch ein weiter Weg, bevor die deutschen Kolonisatoren die Widerstände der britischen Colonels überwunden haben und mit Hilfe von BAYER die Gottesgeißel bekämpfen dürfen. Am Ende pilgern Scharen von hilfesuchenden und geheilten Afrikanern in NS-Formation zu Jesus/Achenbach, der sie mit Hitlergruß empfängt und dann für die Erdenkinder sein Leben hingibt.

Rassismus läßt sich nicht auf ein bestimmtes Verhältnis zur Körperlichkeit reduzieren, sie bleibt aber sein nicht zu leugnender Ursprung. Der fremde Körper im Film ist geeignet, alle möglichen Irrationalismen im Kopf des Betrachters hervorzubringen, und dient gleichzeitig als Projektionsfläche für Begehren, Ekel, Neugier. In Germanin zeigt sich, wie die Filmgenres den fremden Körper auf durchaus unterschiedliche Weise mißbrauchen. Daß die Strategien kompatibel sind, beweist ihr Nebeneinander im Film.

Die infantilen und voyeuristischen Bedürfnisse des Spielfilm-Zuschauers befriedigt in Germanin ganz schlicht die Nacktheit unzähliger Statisten. Die Mehrzahl von ihnen ist schön, sportlich und durchaus erotisch fotografiert. Im Kontrast zu den hygienisch Weißen, die mit Affen selbstverständlicher kommunizieren als mit Afrikanern, wird der schwarze Körper auf reine Sexualität reduziert. Die afrikanische Hitze-Kulisse legitimiert darüber hinaus eine Tabuverletzung, die nicht als solche wahrgenommen wird: Unverhüllte Bilder von Alter, Abweichungen vom Schönheitsideal und Anomalien stimulieren mehr oder minder verbotene sexuelle Phantasien.

Was den Film furchterregend macht, ist sein pseudo -dokumentarischer Stil. Das BAYER-Experiment erfordert „echte Schlafkranke“, und deswegen sieht man viele gleichmäßig bis auf das Skelett abgemagerte Personen. Ihre fast toten Körper garantieren eine Authentizität, die von heute aus betrachtet weniger auf eine nicht-filmische denn auf eine vor-filmische Realität verweist, auf wahrscheinlich grausamste Produktionsbedingungen für sämtliche afrikanische Beteiligten. Auch die Werbefilm-Ebene in Germanin benutzt die Körper als Beweismittel. Manche der Schauspieler sind lediglich auf „schlafkrank“ geschminkt und können so in einer Art Persilstudio auftreten. Der häufig wiederholte Vorher-Nachher-Vergleich präsentiert Gesundheit Schönheit als Resultat der Behandlung mit BAYER 205. Nach der jeweiligen Injektion sieht man viele der geschminkten Kranken in kürzester Zeit wieder straff, prall und glänzend durchs Bild laufen.

Nach Germanin möchte man nach Hause gehen und wenigstens seine Aspirin ins Klo werfen. Der Film ist ein Zeugnis brutalster Rassenpolitik und macht es einem deswegen leicht, sich von seiner Ideologie abzugrenzen. Fast umgekehrt verhält es sich in Rivers of Sand, einem umstrittenen Film von Robert Gardner aus dem Jahr 1974. Gardners Film ist parteiisch und verurteilt die neutrale Bequemlichkeit eines positiven Rassismus, der in fremden Kulturen immer nur Gutes, Natur und Romantik wahrnehmen will.

Eigentlich sollte der Film Creatures of Pain heißen, doch Freunde rieten Gardner von diesem Titel ab; er wäre genauer gewesen. Gardner porträtiert in diesem Film Omalleinda, eine Hamar-Frau aus Süd-Äthopien. Ihren Monolog über die Stellung der Frau und das repressive Geschlechterverhältnis in ihrem Volk kommentiert Gardner in Bild und Wort. Statt ihre Klagen über sklavenähnliche Abhängigkeit von den Männern anthropologisch zu relativieren, steht er, der Mann aus dem Westen, der Frau aus Afrika zur Seite.

Bei den Hamar, so ist im Film zu sehen, hängen die Männer die meiste Zeit faul herum, streicheln liebevoll ihre Gewehre oder widmen sich der Kosmetik und Haarpflege. Wenn es ihnen langweilig wird, gehen sie jagen. Die Frauen arbeiten, knochenhart. Sogar Hochschwangere müssen noch Getreide mahlen und Wasser holen. Was diese durchaus verbreitete Rollenaufteilung bei den Hamar so sichtbar skandalös macht, ist das in die Frauenkörper eingeschriebene, tyrannische Besitzverhältnis. Mit der Heirat erwerben die Männer das Recht, ihre Frauen zu schlagen. Und sie machen davon Gebrauch, riesige Narben auf den Rücken der Frauen beweisen es. Omalleinda erzählt: „Du fürchtest dich vor ihm. Du fragst dich, wann wird er mich schlagen, und du fragst, warum nicht? Auch wenn er dich nicht schlägt, schlägt er dich. Du hast Angst vor ihm. Angst.“

Die Frauen sind ihren Männern ausgeliefert, ihren Befehlen und ihrem Besitzerstolz. Wie lebende Tresore tragen sie schweren Schmuck um Hals, Arme und Beine. Die Ringe werden direkt an den Körper geschmiedet und schneiden den Frauen ins Fleisch, wenn sie dicker werden. Eine Hamar-Frau gilt als schön, wenn sie sich ihren unteren Vorderzahn herausbrechen und den Körper über und über mit Narben -Ornamenten verzieren läßt. Gardner zeigt diese Prozeduren, die verzerrten Gesichter der Frauen. Und ganz nah die stumpfen Messer, mit deren Schnitten auch die Zuschauer angeritzt werden.

Viele Anthropologen fühlten sich - und ihr Berufsethos von Rivers of Sand provoziert. Gardner zeichnet im Film Sitten und Gebräuche einer afrikanischen Stammes -Gesellschaft auf - und bewertet sie. Da er dann auch noch Parallelen aufzeigt zwischen dem traditionell-verqueren Geschlechtsverhältnis bei den Hamar und westlichen Kulturen, strafte man ihn mit dem Vorwurf der Unwissenschaftlichkeit. Omalleinda sei schließlich selbst nie geschlagen worden, warf man Gardner vor, der Film unterscheide nicht ausdrücklich zwischen den profanen und rituellen Schlägen, die die Frauen ja wollen.

Das wissenschaftliche Nachspiel zu Rivers of Sand erinnert an schlüpfrige Illustrierten-Reportagen über masochistische Frauen. Männliche Notwehr vielleicht gegen einen ethnographischen Film, der den fremden (Frauen-)Körper nicht als Projektionsfläche benutzt, sondern seinen Mißbrauch thematisiert.

Dorothee Wenner

„Rivers of Sand“, USA 1979 (OmU), Sonntag, 8.4., 11 Uhr.

„Germanin“, Deutschland 1943, Sonntag, 8.4., 14 Uhr.

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