: Thatchers Autorität schwindet
■ Die Labour-Party bleibt jedoch übervorsichtig
Nichts drückt die Krise der britischen Konservativen besser aus, als die Panik der Regierung über ein mögliches Scheitern des Einwanderungsgesetzes für Hongkong. Danach soll den oberen Fünfzigtausend in Hongkong eine Rückversicherung in Form britischer Pässe gewährt werden, um sie zum Bleiben in der Kronkolonie zu überreden. Doch der rechte Tory-Flügel mit immerhin 80 Abgeordneten rebelliert selbst gegen diese bescheidene Geste.
Dieser bisher größte Aufstand der Hinterbänkler wäre gegen eine sattelfeste Regierung undenkbar. Er ist ein Beleg für den zunehmenden Autoritätsverlust der Premierministerin Margaret Thatcher. Die Regierung hat die Verabschiedung des Gesetzes am 19. April zur Vertrauensfrage hochgespielt und dadurch die nächste Krise schon vorprogrammiert. Die Labour -Party hat beschlossen, mit den rechten Tories zu stimmen wenn auch mit Bauchschmerzen und aus ehrenwerteren Beweggründen. Doch selbst wenn es dieser unheiligen Allianz gelingen sollte, das Einwanderungsgesetz zu Fall zu bringen, wird Thatcher darüber nicht stürzen. Ihr Abgang kann nur durch eine massenhafte Rebellion gegen die egalitäre Kopfsteuer, die sie zum „Flaggschiff“ ihrer Politik erklärt hat, ausgelöst werden. Doch dazu bedarf es einer klaren Strategie der Labour-Party. Die ist sich trotz ihres großen Vorsprungs bei Meinungsumfragen eines Wahlerfolgs in zwei Jahren keineswegs sicher. In taktischen Fragen ist die Partei tief gespalten. 30 Labour-Abgeordnete unterstützen den Boykott der Kopfsteuer. Das nehmen die Tories zum willkommenen Anlaß, Labour als „Partei der Gesetzesbrecher“ zu diffamieren. Parteichef Neil Kinnock stellt die Rebellen in der eigenen Partei gehorsam kalt. Hätten die Gewerkschaften und die Labour-Party den Aufruf zur Demonstration am vergangenen Samstag und zum Zahlungsboykott unterstützt, wäre die Kopfsteuer erledigt gewesen. Der rechte Flügel um Kinnock will jedoch nicht das Risiko eingehen, die Kopfsteuer und möglicherweise Margaret Thatcher zu kippen, ohne auch die Tories loszuwerden. So droht Thatcher zur Zeit mehr Gefahr von ihren eigenen Hinterbänklern, als von der Opposition.
Die „Sozialdemokratisierung“ der Labour-Party auf ihrem letzten Parteitag hat zu einer Rückkehr zum Zwei -Parteiensystem in Großbritannien geführt. Meinungsumfragen und die Nachwahlen in Mid-Staffordshire im März haben bewiesen, daß andere Parteien keine Rolle mehr spielen. Kinnock will Labours neues Image als „Partei der Mitte“ nicht vom linken Parteiflügel ruinieren lassen. Er versucht, den Vorsprung durch eine übervorsichtige Taktik über die Zeit zu retten. Doch gerade das könnte sich am Ende als Schuß ins eigene Knie erweisen.
Ralf Sotscheck
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen