: Giftküche soll zwischen Wohnhäuser
■ Damit aus dem Moabiter Werder ein Mieterprojekt des ökologischen Stadtumbaus werden kann, soll eine Chemikalienfabrik in den Huttenkiez umziehen dürfen
„Wir sind uns wohl alle einig, daß diese Chemiefabrik irgendwie nicht unser Ding ist“, sagt die junge Frau auf der Bürgerversamlung unter tosendem Applaus. Die Tiergarte ner Stadterneuerungsgesellschaft STERN hatte für Donnerstag abend die BürgerInnen des Huttenkiezes zur Aussprache geladen, und die wurden sich schnell einig gegen die Giftküche. Die Chemiefirma Baumeier soll vom Moabiter Werder auf die „Hutteninsel“ verlagert werden, ein lange vernachlässigter Altbaukomplex zwischen Spree und Fabrikhallen. Anvisiert ist eine Halle der BVG, direkt neben einer geplanten und dringend gebrauchten KiTa. Baumeier produziert Salze und Chemikalien. Dort würden dann künftig Salzsäurefässer, chlorierte Kohlenwasserstoffe und andere Lösungsmittel lagern.
Berüchtigt ist die Firma schon länger: So gab es 1982 einen Unfall, bei dem ein Kind mit Salzsäure verätzt wurde. Und der derzeitige Firmenstandort ist im Kataster des Umweltsenats als „Verdachtsfläche“ für Altlasten ausgewiesen. AnwohnerInnen haben schon mal unbewachte Chemikalienfässer mit krebserregendem Perchloräthylen vor sich hindampfen sehen. „Auf dem Moabiter Werder hat Baumeier die Auflagen des Bezirksamtes nicht erfüllt“, berichtete der AL-Bezirksverordnete Seitz. Bei Baumeier gebe es noch nicht einmal einen betrieblichen Alarmplan für Notfälle, berichtete die Tiergartener Gesundheitsstadträtin Nitz-Spatz (AL). Dazu kommt, daß die Firma mit fünf 38-Tonnern und einigen Stadt-LKWs regelmäßig Kunden beliefert. Der erste davon verläßt um drei Uhr nachts das Gelände. Die Firma Baumeier soll vom Moabiter Werder weg, weil der Senat dort neue Wohnungen plant, die ein Musterprojekt im Grünen mit hohem ökologischen Standard werden soll. Baumeier will unbedingt in Moabit bleiben und so bot sich die ehemalige BVG-Halle in der Nähe der Huttenstraße an. Die gehört dem Land Berlin, und der Huttenkiez ist nach dem Flächennutzungsplan Gewerbegebiet, rechtlich ist dagegen also nichts zu machen. Die gut 2.000 Bewohner, darunter viele AusländerInnen und alte Menschen, wurden bislang jedoch nicht gefragt. „Gewerbeflächen sind knapp und irgendwo muß Baumeier ja hin“, meinte die Senatsumweltverwaltung. Außerdem sei ihnen die Firma seit 1982 nicht mehr unangenehm aufgefallen.
Der Bezirk sollte, so schlug STERN vor, einen Bebauungsplan aufstellen. Damit könne die Gegend zum Wohngebiet erklärt werden. Außerdem könnte der Baustadtrat dann kurzfristig eine Veränderungssperre verhängen. Ein Gutachten als Grundlage dafür ist seit 1988 fertig, trotzdem zögert Baustadtrat Porath (SPD). „Die Bürgerbeteilung zum Bebauungsplan kann erst am 23. April anfangen“, erklärte er. Eine Entscheidung über den Standort der Chemiefabrik fällt der Senat aber womöglich schon am 25. April. „Sammeln Sie Unterschriften dagegen, protestieren Sie“, empfahl Porath den aufgebrachten BürgerInnen.
Eva Schweitzer
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