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Die giftigen Früchte der Entspannung

■ Rund um den Abtransport der im pfälzischen Clausen gelagerten US-C-Waffen lauern nur Risiken

Vom Abtransport aus dem pfälzischen Clausen bis zur Verbrennung auf dem Pazifik-Atoll Johnston: Der Umgang mit den zu zerstörenden, in der Bundesrepublik gelagerten Chemiewaffen ist fragwürdiger, skandalöser und gefährlicher als von den USA und der Kohl-Regierung zugegeben. Statt eine „umweltverträgliche Vernichtung“ der Arsenale zum Gegenstand einer emotionslosen Debatte zu machen, zieht es Bonn vor, ohne eine Abwägung der Risiken aus politischen Motiven auf einen schnellen Abtransport zu drängen. Und Washington zieht mit: Aus finanziellen und politischen Gründen und ohne im geringsten garantieren zu können, daß die Fracht den entfernten Zielort erreicht und sicher entsorgt wird. Denn das Pilotprojekt Verbrennungsanlage auf der Pazifikinsel hat noch nicht einmal die Testphase absolviert.

JACADS heißt das unscheinbare Kürzel, hinter dem die US -Armee ihre noch völlig unausgereifte Technologie zur Zerstörung von Chemiewaffen verbirgt. Das „Johnston-Atoll Chemical Agent Disposal System“ wäre auch weiterhin nur Experten der Chemiewaffenvernichtung ein Begriff geblieben, hätte nicht die Bundesregierung mit ihrem Ersuchen nach einem überhasteten Abtransport der im pfälzischen Clausen lagernden Giftgas-geladenen Artilleriegeschoße JACADS vor neue Probleme gestellt.

Die Bush-Administration wollte ihrem politischen Champion im neuen Gesamtdeutschland, Kanzler Kohl, einen politischen Gefallen tun und willigte in den Abtransport der tödlichen Kampfgase der Typen Sarin und VX noch in diesem Jahr - das heißt vor den Wahlen im Dezember - ein. Die für die Zerstörung der Giftwaffen verantwortliche US-Armee wird sich allerdings bedanken, wenn der politische Deal nun Licht auf die bereits existierenden Probleme der Entsorgung der Giftgase auf dem Johnston-Atoll im Stillen Ozean werfen wird. Denn mit der Verschiffung der Artilleriegeschosse aus Nordenham ist die Gefahr längst nicht gebannt. Der Schiffstransport, die Lagerung auf der Pazifikinsel und die noch ungetesteten Brennöfen werfen eine ganze Reihe weiterer Fragen auf. Zudem könnte die für den 18. Juni (die taz berichtete gestern darüber) geplante Verladung der Giftgase auf die Lastwagenkonvois in der Pfalz noch im letzten Augenblick gestoppt oder verschoben werden, weil der US -Kongreß dem Pentagon die Finanzmittel versagt. Alles in allem also nicht gerade ideale Vorbedingungen für einen der wohl gefährlichsten Gifttransporte aller Zeiten.

Cheneys Persilscheine

Um einen militärisch wie operationell voreiligen Abtransport der europäischen Chemiewaffen zu verhindern, hatten verschiedene Parlamentsausschüsse des US-Kongresses dem Verteidigungsminister für das Finanzjahr mehrere Auflagen erteilt. Vor der Finanzierung der Transporte, so hatte der Autorisierungsausschuß des Repräsentantenhauses gefordert, müsse das Pentagon erstens die Existenz eines adäquaten Ersatzes für die alten unitären Chemiewaffen durch neue Binärwaffen gewährleisten und zweitens einen neuen Plan vorlegen, der ein verringertes Risiko im Umgang mit den Chemiewaffen sichere. Beide „Zertifikate“ wurden von Verteidigungsminister Dick Cheney am 1. Februar ausgestellt.

Ein „verringertes Risiko“ zu beweisen, mag angesichts der mangelnden Schärfe dieser Bedingung kein großes Problem gewesen sein. Doch schon an der Fähigkeit der US -Rüstungsindustrie, bis zum Juni die von Präsident Bush geforderten zwei Prozent des gegenwärtigen Chemiewaffenbestandes durch Binärwaffen zu ersetzen,

müssen erhebliche Zweifel angemeldet werden. Chemiewaffenexperten schätzen, daß erst 80 der erforderlichen 500 bis 600 Tonnen an Binärgasen produziert worden sind. Zum einen hinkt der kalifornische Hersteller der Granatencontainer Monate hinter dem Produktionssoll her. Zum anderen wird die Weigerung der Chemiefirmen „Occidental“ und der amerikanischen Bayer-Tochter „Mobay“, dem Verteidigungsministerium das zur Binärwaffenproduktion erforderliche Thionylchlorid zu liefern, die Produktion in der Chemiewaffenschmiede von Pine Bluff, Arkansas, behindern. Dieses Problem mag zwar im Augenblick nur die „Falken“ des Pentagon beunruhigen, es zeigt aber, wie leichtfertig Verteidigungminister Cheney mit sogenannten „Bescheinigungen“ umgeht und wie anfällig auch die neueste Chemiewaffentechnologie ist. Der Bewilligungsunterausschuß für Verteidigung im Repräsentantenhaus verlangte vom Pentagon hingegen eine weitaus schwieriger zu erfüllende Bedingung für die Bewilligung von Finanzmitteln.

Die Millionen schwinden

Zehn Millionen Dollar wurden für Transportausgaben freigeben. Diese sind einem Armeesprecher zufolge jedoch fast vollständig für „Sicherheitsausrüstungen und die Modifikation der Transportschiffe“ ausgegeben worden. Die restlichen 17 Millionen Dollar band der US-Kongreß an die „erfolgreiche Zerstörung von scharfer Chemiemunition“ in den Verbrennungsöfen des Johnston-Atolls.

Von einem solchen erfolgreichen Testlauf sind die JACADS -Techniker jedoch noch Monate entfernt. Bisher wurde die Zerstörung von Giftgasen in den USA nur in einer kleinen Versuchsanlage im Staate Utah durchgeführt. Auf dem Johnston -Atoll, das als Pilotprojekt für alle acht amerikanischen Chemiewaffenlager gilt, üben die Techniker noch mit ungefährlicher Munition. Wie die taz erfuhr, ist der für Mitte April angesetzte Testlauf jetzt erneut um mindestens einen Monat verschoben worden. Falls die Tests bis zum 18. Juni nicht erfolgreich abgeschlossen sind, so das vom Kongreß verabschiedete und von dem Ausschuß überwachte Gesetz, „darf chemische Munition nicht von ihren Lagern bewegt werden“.

Noch kein Testlauf

Dies gilt auch für das Chemiewaffenlager in Clausen. Die bisherigen Erfahrungen mit dem JACADS-Projekt lassen einen solchen Lauf der Dinge durchaus möglich erscheinen. Die wenigen, trotz der Geheimhaltungspflicht bekannt gewordenen Informationen über die versuchte Chemiewaffenvernichtung im Pazifik zeugen von einer noch mangelhaften Beherrschung der Behandlungstechnologie. Das Pentagon-Nachrichtenblatt 'Inside the Army‘ berichtete im Oktober 1989 über ein Fehlen

von „Igloo-Abdeckungen“, welche die auf dem Atoll gelagerten Chemiewaffen vor der salzhaltigen Luft schützen sollen. Das Problem, so behaupten informierte Kreise aus dem Pentagon und dem Kongreß, sei durch ein „Zusammenrücken“ weniger gefährlicher Lagerbestände gelöst worden. Auf diese Weise sei Platz für die bald eintreffenden europäischen C-Waffen geschaffen worden. Bisher lagern auf dem Atoll nur alte, aus dem japanischen Okinawa stammende C-Waffen, deren Zerstörung sich aufgrund der Schwierigkeiten mit dem Verbrennungsprozeß erheblich verzögert hat.

Wie die US-Botschaft auf den nächstgelegenen Marshall -Inseln Ende März mitteilte, soll mit der Verbrennung der europäischen C-Waffen erst frühestens 1994 begonnen werden. Eine der taz vorliegende Untersuchung des parlamentarischen Bewilligungsausschusses über den chemischen Demilitarisierungsprozeß der Armee vom 12. Oktober 1989 stieß auf eine ganze Reihe logistischer und technischer Probleme. Der Bericht zitiert sieben Beispiele für ein beängstigendes Zuständigkeitswirrwarr im Munitionsprogramm der Armee. Darüber hinaus diagnostiziert die Untersuchung technische Probleme bei der Verbrennung, die von der Überhitzung der rotierenden Öfen, über das Zurückbleiben von gefährlichen Restbeständen bis hin zur Freisetzung illegaler Emissionen bei der Verbrennung von Senfgas reichen.

Einige dieser Probleme dürften dem Bericht zufolge nicht nur bei dem bisher angestrebten „baseline„-Verfahren (hier wird die Munition zuerst auseinanderdividiert, ehe die einzelnen chemischen Elemente getrennt verbrannt werden) auftreten, sondern auch bei der von einigen Kongreßabgeordneten favorisierten „cryofracture“ (dabei wird die gesamte Munition in einem Stickstoffbad gefroren und dann komplett verbrannt).

Diesen Streit über die sicherste Verbrennungsmethode zwischen den Anhängern der „cryofracture“ und den Befürwortern der „baseline„-Technologie im Pentagon scheinen die Militärs mit dem Finanzargument gewonnen zu haben. Eine rationale Diskussion über die Umweltverträglichkeit der verschiedenen Zerstörungstechniken war in den USA ebensowenig möglich, wie ein sorgfältiges Abwägen der in den USA favorisierten Verbrennung vor Ort mit der in der BRD jetzt praktizierten Transportlösung. Hatte der Untersekretär des „Department fo the Army“ James R. Ambose in einer der in den USA vorgeschriebenen Umweltverträglichkeitsstudien 1988 noch behauptet, der Transport von Chemiewaffen sei eine „weitaus schwierigere, komplexere und unsichere Aufgabe“ als die Verbrennung vor Ort, scheinen Washington und Bonn diese Alternative im Falle der europäischen C-Waffen nicht ernsthaft diskutiert zu haben.

Vor-Ort-Verbrennung out

Vergessen scheint das 1988 von der US-Armee für einen Lastwagen- oder Zugunfall in dichtbesiedelten Wohnungsgebieten angenommene „worst case scenario“, das im Falle eines Unfalls von 5.000 bis 10.000 Toten sprach. Im Jahre 1990, wenn die Politik drängt, bemerkt die Umweltverträglichkeitsstudie für das JACADS-Projekt trocken: „Es gibt keine wirklichen Alternativen zu dem vorgeschlagenen Weg“ (dem Transfer der europäischen C-Waffen auf das Johnston-Atoll). Und dies, nachdem sich die USA nach den zwei großen Studien 1986 und 1989 eindeutig für die Verbrennung der Giftgase in den acht US-Munitionsdepots entschieden hatten.

Greenpeace: Alles

beim alten lassen

Wenn die Umweltschützer und Transportgegner in der Bundesrepublik daraufhin jetzt vergleichbare Umweltstudien über den Umgang mit dem giftigen Waffenmüll fordern, dann sollten sie allerdings nicht über die Mängel solcher „Environmental Impact Studies“ hinwegsehen. In einer Ende März vorgelegten Kritik der diesjährigen JACADS-Studie - der dritten nach 1983 und 1988 - kommt die „Internationale Pazifik-Kampagne“ von Greenpeace zu ernüchternden Ergebnissen. Was die Auswirkungen der Verbrennungsprozesse auf das ökologische Gleichgewicht der Pazifikregion betrifft, wirft Greenpeace der US-Armee die Nicht -Berücksichtigung neuerer wissenschaftlicher Ergebnisse vor.

Da beim gegenwärtigen Stand der Verbrennungstechnologie in jedem Falle giftige Dioxine und Furane frei werden, tritt Greenpeace auf dem Land wie auf dem Atoll für ein Verbrennungsverbot ein. Die Umweltorganisation ist stattdessen für eine „no action„-Alternative. Bis zur Entwicklung neuer umweltverträglicherer Vernichtungstechnologien, will Greenpeace die Chemiewaffen unter strenger Aufsicht in den jetztigen Munitionsdepots weitergelagert wissen.

Ist die JACADS-Studie in bezug auf die Verbrennungsfolgen mangelhaft, so ist sie in bezug auf die Verschiffung und den C-Waffentransport in der Bundesrepublik von skandalöser Nachlässigkeit. Die potentiellen Gefahren des Schiffstransports auf die globale Umwelt, werden von der Armee in einem „Global Commons Environmental Assessment“ abgehandelt, dessen nicht geheime Version eine zweiseitige Litanei von leeren Versicherungen darstellt. „Welche der darin erwähnten vier Seerouten eingeschlagen wird“, so erklärte Armeesprecher Major Joe Padilla der taz gegenüber, „ist noch nicht entschieden.“ Ob die Route vor Abfahrt bekanntgegeben wurde, wußte er nicht. Festzustehen scheint nur, daß die Seetransporte zur Hurrikansaison im Südatlantik zwischen Juli und Oktober von Nordenham aus losschippern werden.

Gezielte Desinformation

Da die eigentliche Gefahren- und Umweltananalyse des JACADS -Plans erst zwölf Meilen vor dem Johnston-Atoll beginnt, kommt die Armee darin ihrer gesetzlich vorgeschriebenen Verpflichtung einer Analyse des gesamten Entsorgungsprozesses vom Transport bis zur C -Waffenvernichtung nicht nach. Im Falle der in Clausen gelagerten Giftstoffe weist die US-Armee die Zuständigkeit für den Transport nach Nordenham einfach der „Gastgebernation“ zu, deren gesamte Erfahrung mit C-Waffen aus zehn Jahren gezielter Desinformation durch die bisher verantwortlichen US-Behörden besteht. Darüber hinaus, so argumentiert Greenpeace, verstießen die Regierungen der Vereinigten Staaten und der Bundesrepublik mit ihrer Entsorgungspraxis gegen den Geist der Konventionen von Basel und Lome, die den internationalen Transport von Giftmüll regeln.

Besonders gegen das dort verankerte Prinzip der „rechtzeitig eingeholten Einwilligung“ sei gegenüber den Anrainerstaaten des westlichen Pazifik verstoßen worden. In der Tat kommt es einer sträflichen Vernachlässigung aller Sicherheitserwägungen gleich, am 18. Juni in Clausen mit dem Transport hochgiftiger Giftgase zu beginnen, über den die Bevölkerung der Bundesrepublik nicht hinreichend aufgeklärt ist und vor dem die Anrainerstaaten des Pazifik nicht einmal befragt worden sind; mit einem Transport, dessen Finanzierung von erfolgreichen Tests am Bestimmungsort abhängt, deren Durchführung bis zum Juni noch völlig offen ist.

Bisher sei der Transport der Giftstoffe aus der Pfalz in den Pazifik nur ein „Dollarproblem“, so erklärte der noch optimistische Mitarbeiter eines dem Bewilligungsausschuß angehörigen Kongreßabgeordneten gegenüber der taz. „Wenn deswegen allerdings der Transportkalender geändert werden muß, dann wird dies zum Sicherheitsproblem.“ Andere sehen die gesamte Problematik viel skeptischer. Auf die Frage nach der besten Lösung für die Giftgasbeseitigung anwortet John Isaacs vom „Council for a Livable World“: „Wenn ich in der Pfalz wohnen würde, wäre ich für den Abtransport. Wenn ich an der Transportroute oder auf Hawaii wohnen würde, würde ich für die weitere Lagerung in den Depots eintreten.“

Aus Washington R. Paasch

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