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Kein Steak für Diego

Acht Kilo weniger: Maradona hungert sich in weltmeisterliche Form / Wird nach dem Münz-K.o. von Alemao die Meisterschaft am grünen Tisch entschieden?  ■  Aus Bergamo Matti Lieske

„Ausgerechnet gegen uns hat Maradona mit seiner Vorbereitung für die Weltmeisterschaft begonnen“, sagte Sergej Aleinikow, nachdem er mit Juventus Turin in Neapel 1:3 verloren hatte. Sensationell leichtfüßig war Diego Amando Maradona über den Platz gefegt, hatte zwei wunderhübsche Tore erzielt und dafür gesorgt, daß seinem SSC Neapel allenthalben wieder akute Meisterschaftschancen nachgesagt wurden - und auch Argentinien einen rasanten Sprung mitten unter die WM -Favoriten vollführte.

Seit dem WM-Gewinn vor vier Jahren hatte Maradona praktisch Standfußball gespielt, wohl wissend, daß er verletzungsgeplagt, medikamentengestreßt, übergewichtig - im direkten Laufduell jedem Igel unterlegen wäre. Das „schnellste Ding über 15 Yards“, wie der nordirische Nationalspieler Armstrong ihn einmal titulierte, konnte höchstens noch als das zweitrundeste Ding auf dem Spielfeld Ehre einlegen. Daß Maradona allerdings auch aus dem Stand der beste Fußballer der Welt ist, bewies er letztes Jahr im UEFA-Cup und in diesem Jahr, als er nach eigenmächtig verlängertem Sommerurlaub ganz besonders kugelig nach Italien zurückkehrte.

Seine fußballerischen Kreationen waren es, die Neapel auf enge Tuchfühlung mit Spitzenreiter AC Mailand hielten, und in der Torschützenliste liegt er mit 14 Treffern gleich hinter van Basten (19) - vor ausgewiesenen Torjägern wie Klinsmann, Völler oder Vialli. Bei der WM möchte der fast 30jährige aber noch einmal im allerbesten Licht erscheinen, schlank und rank wie einst im Juni (1986).

Dafür nimmt er manche Unbill in Kauf. So hält er sich streng an eine Diät, die ihm auferlegt, viel Gemüse zu verzehren, aber so gut wie kein Fleisch - für einen Argentinier eine Art Todesurteil. Täglich absolviert er ein hartes Sondertraining, und sogar zu seinem lukrativen Trip nach Tokio, wo er Werbeverträge von 1,4 Millionen Mark unterschrieb, nahm er seinen Privattrainer Signorini mit, der hinterher berichtete: „Wir haben gearbeitet wie die Verrückten.“ Nicht einmal der Geburtstag seiner heißgeliebten Tochter Dalmita konnte den sonst so demonstrativen Familienvater bremsen: Anstatt artig zu gratulieren, stemmte er Gewicht im sportmedizinischen Institut des Professors Dal Monte in Rom. Dessen Urteil über Maradonas Zustand: „Topfit.“

Acht Kilo hat der Argentinier abgespeckt, und, da er sich wie 1986 auch die Locken kurz schneiden ließ - offenbar glaubt er auf ihm laste ein Art umgekehrter Samson-Zauber wirkt er auf dem Rasen fast wie ein Schimäre.

„Mal kann man, und mal kann man eben nicht“, begründet Maradona, warum er sich nicht schon früher so tapfer gemüht hat. Wenn sein Rücken schmerze, könne er schließlich oft nicht einmal gehen. Zur Zeit kann er, auch wenn beim 0:0 in Bergamo gegen das streng defensiv eingestellte Team von Atalanta die neue Magie nicht so recht wirken wollte. Die Bergamasker hatten ihm mit dem knochenharten Tontratto einen Bewacher auf den Hals gehetzt, der noch schlanker, noch kurzhaariger und flinker war. Und wenn ihm Diego dann doch mal entkam, packte er ihn kurzerhand am Schlaffitchen und streckte ihn nieder.

Ohne den verletzten Careca lief auch sonst nichts, Maradona zeigte sich „verbittert“. Er klagte: „Es schien, als wollten wir gar nicht gewinnen“, doch die Punkte könnten trotzdem beide an die Neapolitaner gehen. In der 77. Minute nämlich wurde ihr bester Spieler, der Brasilianer Alemao, von einer aus dem Publikum geworfenen 100-Lire-Münze am Kopf getroffen, ausgewechselt und ins Krankenhaus transportiert. In ähnlichen Fällen war der geschädigten Mannschaft stets ein 2:0 gutgeschrieben worden.

Das wäre nur ausgleichende Gerechtigkeit, denn beim 0:0 des AC Mailand in Bologna wurde den Gastgebern ein klares Tor aberkannt. Milans Torhüter Pazzagli war der Ball deutlich hinter die Linie gerutscht, was nur Schiedsricher und Linienrichter entgangen war. So hat der AC drei Spieltage vor Schluß weiter einen Punkt Vorsprung vor Neapel.

Maradona aber wird sich noch ein paar Steaks verkneifen müssen, damit er bei der WM auch den Tontrattos dieser Welt wieder enteilen kann.

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