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Peru rätselt: Wer ist Alberto Fujimori?

Sohn japanischer Einwanderer und politischer Newcomer landet bei den Präsidentschaftswahlen auf Platz zwei / Favorit Vargas Llosa hat nur ein Drittel der Stimmen / Fujimori lehnt Abkommen mit Vargas Llosa ab und will auf eine zweite Wahlrunde nicht verzichten  ■  Aus Lima Nina Boschmann

Mit einem absoluten Überraschungscoup endeten am vergangenen Sonntag die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Peru. Statt der erwarteten satten Mehrheit für den konservativ -liberalen Literatur-Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa erhielt der Favorit nur ein knappes Drittel der Stimmen. Dicht auf seinen Fersen und möglicherweise bereits auf der Überholspur: der vor wenigen Wochen noch völlig unbekannte Agraringenieur und Nachfahre japanischer Einwanderer, Alberto Fujimori Fujimori, der für die unabhängige Wählerliste „Cambio 90“ angetreten war. Den ersten Hochrechnungen zufolge lag Vargas Llosa bei Redaktionsschluß bei 33 und Fujimori bei 30 Prozent.

Auf den hinteren Rängen drängelten sich dagegen die allesamt als mögliche Nummer zwei gehandelten Kandidaten der regierenden „Apra“ mit 13,8 Prozent sowie der Linken mit 6 Prozent (für die Mehrheitsfraktion unter Henri Pease) und 5 Prozent (für den sozialistischen Block unter Alfonso Barrantes). Bei den Wahlen zum Senat und Abgeordnetenhaus behauptete sich Apra mit rund 20 Prozent der Sitze auf dem zweiten Platz, dem Rechtsbündnis Fredemo gelang es auch hier nicht, die absolute Mehrheit zu erhalten.

Damit muß nach peruanischem Gesetz ein zweiter Wahlgang stattfinden, der den wahren Sieger unter den Gewinnern der relativen Mehrheiten ermitteln soll. Das Rennen ist eröffnet, sein Ausgang völlig unklar.

Die Medien, die sich in den vergangenen Monaten ganz auf das Innen- und Außenleben Mario Vargas Llosa konzentrierten, haben über Nacht eine neue Hausaufgabe, die da heißt: Wer ist Fujimori? Der stets korrekt gekleidete „Nissei“ (so die peruanische Bezeichnung für japanische Einwanderer), der nie zuvor in seinem Leben parteipolitisch aktiv war, fiel zum ersten Mal vor vier Wochen in den Meinungsumfragen als quantifizierbare Größe auf. Da er jedoch eine bescheidene Kampagne führte und überdies kein Programm vorzeigte, wurde er von den traditionellen Parteien nicht als Bedrohung angesehen, sondern nur mißtrauisch als „die neueste Inkarnation der wahren Unabhängigkeit“ beäugt.

Doch auch wer vermutete, der „japoncito“ (so der Volksmund über Fujimori) sei von interessierter Seite als trojanisches Pferd in das Rennen geschickt worden, wurde nicht recht fündig. Linke erinnerten sich daran, daß Fujimori sich in seiner Zeit als Direktor der Agraruniversität von La Molina gelegentlich für Solarenergie und studentische Exkursionen aufs Land eingesetzt habe, die Rechte entdeckte ein paar unergiebige Werkverträge der Universität mit Regierungsinstitutionen; Vorwürfe finanziellen Mißmanagements ließen sich nicht belegen, und auch eine von Fujimori moderierte Fernsehsendung ist keiner politischen Richtung zuzuordnen. Seine Wählerliste „Cambio 90“ ist mit unbekannten und - wie böse Zungen behaupten - auch unerfahrenen, auf jeden Fall aber höchst unauffälligen Leuten besetzt.

Fujimori selbst beschränkte sich während des Wahlkampfes darauf, „Arbeit, Ehrlichkeit und Technologie“ zu versprechen, ohne näher ins Detail zu gehen. Gipfel der Konkretion war die Ankündigung, die Beziehungen mit Japan zu verbessern, was zu vielfältigen Spekulationen Anlaß gab. So glaubten z.B. die Einwohner der wohlhabenden Provinzstadt Tarapoto, mit Fujimori als Präsident würden japanische Haushaltsgeräte billiger. Eine weit verbreitete Überlegung war auch die, daß Japan eventuell eher bereit und in der Lage sei, dem bankrotten Peru neue Kredite zu gewähren als Frankreich und andere Staaten Europas, zu denen Vargas Llosa Beziehungen pflegt.

Auf jeden Fall wird Fujimoris Aufsehen und Auftreten offenbar bei vielen Nichtintellektuellen automatisch mit Fleiß und Arbeitseifer assoziiert - Tugenden, die traditionellen peruanischen Politikern nicht gerade nachgesagt werden.

Am Sonntag abend, als die ersten Hochrechnungen die Gesichter von Kommentatoren und Kandidaten immer länger werden ließen, zeigte sich, daß er obendrein über ein bemerkenswertes taktisches Gespür verfügt.

Vargas Llosa reagierte auf seine relative Mehrheit mit einer Pressekonferenz, in der er öffentlich Koalitionsverhandlungen mit Fujimori anbot, um „dem Land einen teuren zweiten Wahlgang zu ersparen“. Fujimori gesellte sich zu ihm, umarmte und beglückwünschte ihn; im nächsten Augenblick teilte er dann mit jenem tiefgründigen Lächeln, das den Angehörigen asiatischer Volksgruppen eigen ist, dem Fernsehpublikum mit, er fühle sich geehrt, aber er werde auf keinen Fall auf den zweiten Wahlgang verzichten.

Während das breite Siegerlächeln von Vargas Llosa daraufhin zur Grimasse gefror, steigerte sich das Interesse der Fernsehmoderatoren und Parteistrategen an Fujimori exponentiell. Eingeschworene Avantgard-Marxisten wie der Führer der Vereinigten Mariateguistischen Partei, Diez Canseco, waren plötzlich „sehr interessiert, sein Programm kennenzulernen“, während die Vertreter der alten Rechtsparteien von vorneherein eine neue „demokratische Mitte“ zu entdecken glaubten: bestehend aus ihnen und „Cambio 90“ natürlich.

Doch so sehr sie auch bohrten und insistierten, so sehr hütete sich der neue Medienstar vor jedweder Präzisierung. Frage: „Wie sieht Ihre Wechselkurs-Politik aus?“ Antwort: „Ich möchte den Bergbau reaktivieren.“ Frage: „Wie wollen Sie die Preisrelationen in Ordnung bringen?“ Antwort: „Doch nicht jetzt, wo die Bevölkerung so hart von der Krise betroffen ist.“ Frage: „Haben Sie nicht als Mitglied einer Beraterkommission die skandalösen Lebensmittelimporte mitgetragen?“ Antwort: „Die Kommission war pluralistisch besetzt, und wir sind auch für die Zusammenarbeit unabhängiger Fachleute, die aus unterschiedlichen Parteien kommen.“

Für alle Beobachter erstaunlich ist, daß Fujimori mit derartigen Äußerungen nicht nur in Lima Furore macht, wo die Wählerschaft immer schon als sehr emotional und wechselhaft galt (erst im vergangenen November wurde ein politisch völlig unerfahrener Besitzer eines Fernsehkanals zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt). Fujimori siegte am Sonntag mit Mehrheiten an die 50 Prozent in Gebieten, die bislang als felsenfeste Hochburgen der Linken galten, wie z.B. Cuzco und Joliaca in den Südanden.

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