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Quaak!

■ Neuenfels, Aristophanes und Lasker-Schüler

Ein Festspiel ist angekündigt, zum hundertjährigen Jubiläum der Freien Volksbühne in West-Berlin. Doch die Freie Volksbühne ist ein Nachkriegskind und kann sich rechnerisch höchstens in der Midlife-crisis befinden. Echte Hundert wird nur ihre große Schwester, die Volksbühne am Ostberliner Rosa-Luxemburg-Platz. Aber es ist wohl so, daß manche Theater unter manchen Intendanten schneller altern. Theaterjahre, Hundejahre.

Dem Schauplatz des Ereignisses nähert man sich in getragenem Gang. Ein schmaler Tunnelweg, der erst durch die Kassenhalle und dann durch den Theatergarten direkt auf die Bühne führt, erlaubt keine Eile. Feierliche Musik und Wasserplätschern, bis man endlich seinen Platz auf einem Holzpodest eingenommen hat und Dionysos (Ulrich Kuhlmann) mit Schweinemaske - plastiktraubenumkränzt - die Bühne betritt. Als Schiedsrichter im Dichterstreit zwischen Aischylos und Euripides in den Hades bestellt. Den Bocksfuß wird Ulrich Kuhlmann auch im zweiten Teil des Abends behalten: als Goebbels in Else Lasker-Schülers theatralischer Tragödie Ichundich.

Die Frösche, das erste Stück des Doppelabends, stammt aus dem 4.Jahrhundert v. Chr.: Zum ersten Mal fordert ein Dramatiker das Theater als moralische Anstalt ein. Ichundich ist gut 2.000 Jahre später entstanden, in den vierziger Jahren dieses Jahrhunderts: Theater als letzte Bastion am Ende jeglicher Moral, als letzte Zufluchtsstätte des Lebens und der Wirklichkeit. „Und nur mein Vers war keine Illusion“, der wichtigste Satz des Stückes fällt gleich im Prolog. Daß er gestrichen wurde, ist nur ein Symptom für den gedankenlosen Zugriff auf das verrätselte Werk.

Doch zunächst sind wir ja noch bei Aristophanes, wo zwei Dichterzombies inzwischen in einen Streit über die Qualität ihrer Dichtkunst entbrannt sind: Aischylos und Euripides. Die Behälter ihrer Körper dienen den beiden großen Geistern als Redepodeste. Der schwere Sarg dem pathosschwangeren Aischylos (Edgar M. Böhlke, ein alter Neuenfels-Protagonist aus besseren Frankfurter Tagen), die sehr viel unprätentiösere Urne dem kecken Herrn Euripides (Peter Fitz). Sechs Frösche ergreifen - wie Dionysos und sein Diener Xanthias hin- und hergerissen - mal für den einen, mal für den anderen Partei. Schließlich sollen die großen Meister ihre Verse in eine Waage sprechen. Naturgemäß wiegt Aischylos‘ Pathos schwerer, und so siegt er im Dichterstreit. Die Frösche huldigen dem Sieger quakend und rufen „Heil, Heil!“, womit wir dann die Überleitung zum zweiten Teil des Abends hätten. Im Hades, wo jetzt nicht mehr Pluto, sondern Mephisto herrscht, finden sich verschiedene Nazigrößen ein, um mit dem Teufel einen Pakt zu schließen.

Was jetzt folgt, soll die Inszenierung von Else Lasker -Schülers Ichundich sein. Aber das Stück ist schon so rüde zusammengestrichen, daß von Lasker-Schülers Welttheater im Höllengrund, ihrer Version einer Göttlichen Komödie, kaum das Skelett übrigblieb. Und wie so oft bei Lasker -Schüler-Interpretationen triumphiert der Kitsch über das Poetische. Ein paar Bilder werden für schnelle (und billige) Theatereffekte ausgebeutet. Die Nazigrößen (alle von Frauen gespielt) sind als schrill kostümierte Chargen ausgestellt. Dazwischen streiten Faust (Edgar M. Böhlke) und Mephisto (Peter Fitz) über das Böse. Wandert Elisabeth Trissenaar mit gebrochenem Blick und somnambulen Lächeln durchs trostlose Bild. Schon der gelbe Stern auf ihrer schwellenden Tragödienbrust ist ein Fauxpas. Sie soll die Dichterin spielen und verhöhnt sie nur mit ihrem Geltungsdrang. Stefan Wieland als Reichstagsbrandstifter van der Lubbe: ein zitterndes KZ-Opfer im Sträflingsgewand erst, dann seine Nacktheit und seine mageren Rippen zur Schau stellend. Wahrscheinlich kann er nichts dafür und tut nur, was der Regisseur von ihm verlangt. Peinlich ist es trotzdem, eine Verhöhnung auch das.

Hier hat jemand seine Einfallslosigkeit, bestenfalls seinen schlechten Geschmack, keinesfalls aber Theaterstücke inszeniert.

Esther Slevogt

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