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Schleichender Putsch

■ Das Militär dirigiert die türkische Politik

Per Dekret hat die türkische Regierung gestern die Verfassung in den elf kurdischen Provinzen außer Kraft gesetzt und der Bevölkerung eines Drittels des Landes damit praktisch den Krieg erklärt. Zwischen der jetzt verhängten „Verschärfung des Ausnahmerechts“ und der offiziellen Verhängung des Kriegsrechts besteht in der Praxis kein Unterschied mehr. „Waffen gegen Waffen“ heißt die Devise in Ankara, mit der man glaubt, die um ihre Anerkennung als gleichwertige Menschen kämpfenden Kurden „befrieden“ zu können. Ein menschenverachtender Irrtum, der dem politischen Establishment der Türkei wieder einmal zum Verhängnis werden könnte.

Dabei ist diese Politik nicht neu und hat in den siebzig Jahren der Existenz der türkischen Republik wiederholt zum Desaster geführt. Atatürks Terrorpolitik gegen die Kurden hatte dazu geführt, daß die Türkei bis in die 50er Jahre praktisch von einem Militärregime geführt wurde. Bis heute haben türkische Politiker nicht verstanden, daß nur eine politische, demokratische Lösung der Kurdenfrage eine zivile Gesellschaft möglich macht, in der das Primat der Politik gegen das Militär durchgesetzt werden kann.

Den Putschs der Militärs 1971 und 1980 ging jeweils eine verschäfte Auseinandersetzung in Kurdistan voraus, mit denen die Generäle ihre Machtergreifungen legitimierten. Tatsächlich haben sie sich aus der Politik nie verabschiedet, war der „Rückzug in die Kasernen“ in der Türkei immer ein Euphemismus. Dabei ist der Mechanismus immer der gleiche: Das Militär zieht die Repressionsschraube in Kurdistan an, treibt die Bevölkerung in den bewaffneten Widerstand und ruft dann nach militärischen Lösungen. Da selbst die sozialdemokratische Partei - sowohl als Opposition, aber auch als sie die Regierung stellte - sich weigert, die Kurden als eigenständige ethnische Gruppe anzuerkennen, ist ein Ende der Militärherrschaft, vor oder hinter den Kulissen, nicht abzusehen. Auf der Strecke bleiben dabei die demokratische Entwicklung in der Türkei und die Bevölkerung in den kurdischen Gebieten. Eine brutalere Form des Machterhalts ist kaum denkbar.

Jürgen Gottschlich

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