Hohes Gericht, ist mein Vater ein Mörder?

■ „Music Box“ von C. Gavras, Faschismus-Bewältigung im Gerichtssaal

„Was wissen wir wirklich über unsere Eltern ?“ wird die erfolgreiche Anwältin Ann Talbot (Jessica Lange) zu Beginn des Verfahrens gegen ihren Vater (Armin Mueller-Stahl) gefragt, aber da glaubt sie noch, ihren „Papa“ ganz genau zu kennen. Die Zeugenaussagen und Beweise, mit denen belegt werden soll, daß Mike Laszlo einer der Schlächter des dritten Reiches war, müssen auf Irrtümern oder Fälschungen basieren, und mit allen Finessen ihres Handwerkes kämpft sie im Gerichtssaal für ihren Vater. „Music Box“ ist einerseits ein Gerichtssaal-Drama mit all den erschütternden Zeugenaussagen, Kreuzverhören und juristischen

Schachzügen, die die Amerikaner an diesem Genre so lieben. Aber der um Längen spannendere Prozeß findet im Kopf der Tochter/Anwältin statt, die langsam und schmerzhaft die Wahrheit über ihren Vater erkennt.

Nach „Verraten“ hat Costa Gavras wieder einen Film über eine Frau gemacht, die im Konflikt zwischen ihrer Liebe zu einem Mann und der Erkenntnis seiner Bestialität steht. So ist es auch sicher kein Zufall, daß beide Filme auf Drehbüchern des gleichen Autoren, Joe Eszterhas basieren. „Music Box“ ist den beiden besser gelungen: zum Teil wegen des sehr gut konstruierten Drehbuches, das eine feine Ba

lance hält zwischen der Gerichtsgeschichte (die mit vielen versteckten Spuren und Details spannend wie ein Krimi erzählt wird) und der Familientragödie, die sich am Schluß zu einem verzweifelten Kampf um Anns Sohn Mickey entwickelt.

Neben diesem Talent, politische Konflikte in packenden Geschichten zu erzählen, hatte Costa Gavras in seinen guten Filmen auch immer eine feines Gespür für die richtige Besetzung. Ives Montand und der ältere Jack Lemmon spielten bei ihm so gut wie in nur wenig anderen Filmen, und diesmal sind Ann und Laszlo ideal besetzt. Jessica Lange bringt eine klare, intelligente Unschuld in die Rolle. Auch wenn sie im Gerichtssaal die ehemaligen Opfer mit perfiden Fragen unglaubwürdig zu machen versucht, wirkt sie nicht zynisch, sie verbindet überzeugend die beiden Ebenen des Filmes. Da ist kein Bruch, wenn sie in einer Szene zugleich die professionelle Anwältin und die zweifelnde, liebende Tochter spielt.

Armin Mueller-Stahl gibt Mike Lazlo eine beunruhigende Glaubwürdigkeit. Man nimmt ihm seine Unschuldsbeteuerungen ab, er ist der gute, amerikanische Großvater, aber er ist auch der Mann, den Ann langsam kennenlernt. Und weil er ihn so lebendig verkörpert, will der Zuschauer, (genau wie Ann) bis kurz vor dem Schluß nicht wahrhaben, daß er mit dieser Bestie identisch ist. Mueller-Stahl und Gavras dämonisieren nicht, und gerade deshalb geht „Music Box“ unter die Haut.

Anns Sohn versucht in einer

Szene seine Mutter zu trösten: Es wäre alles gar nicht so schlimm, Opa hätte gesagt, all diese Geschichten vom Holocaust wären schrecklich übertrieben. Ann stellt Mike zur Rede, aber da kommt heraus, daß nicht er, sondern Anns Schwiegervater dies gesagt hat, und der ist anerkannter Anwalt und ein wirklich guter Amerikaner. Wilfried Hippen

Filmstudio 18.00, 20.30 Uhr