: „Wer für die UNO gestimmt hat, ist auch für uns“
Die Entwaffnung der Contra wird sich vor dem Regierungsantritt von Violeta Chamorro am 25. April auf die Lager in Honduras beschränken / Angst und gegenseitiges Mißtrauen herrschen im Hinterland Nicaraguas ■ Aus Jinotega Ralf Leonhard
„Die Leute in den Lagern in Honduras werden ihre Waffen abgeben. Hier in Nicaragua wird nicht entwaffnet“, erklärt Vicente Cea kategorisch. Der Campesino, der bis vor zwei Monaten selbst in den Reihen der Contras gekämpft hat, gibt nicht nur seine persönliche Meinung zum besten, sondern auch die vorgegebene Direktive der obersten Kommandanten. Das Oberkommando hat zwar in einem feierlichen Vertrag mit Abgesandten der künftigen Regierung der Demobilisierung zugestimmt, gleichzeitig wurden aber die Truppen angewiesen, die Basislager in Honduras zu räumen und über die Grenze nach Nicaragua einzusickern. Wenn am 18. April die UNO -Friedenstruppen im Lager Yamales vorstellig werden, werden sie nurmehr Kranke und Verletzte vorfinden. Die Übergabe vermutlich unbrauchbarer Waffen wird bestenfalls eine Show für die Fernsehnachrichten.
Die zentralamerikanischen Präsidenten beschlossen Anfang des Monats in der „Erklärung von Montelimar“ die Entwaffnung der Contras bis spätestens zum Regierungswechsel am 25. April. Friedenstruppen und die internationale Verifizierungskommission der Vereinten Nationen sollen in Honduras und Nicaragua die Waffen entgegennehmen. In Nicaragua wurden eigens fünf Sicherheitszonen geschaffen, wo die größten Konzentrationen der konterrevolutionären Truppen ausgemacht wurden. Selbst die USA wollen nurmehr die Repatriierung, nicht mehr die Bewaffnung finanzieren. Doch die Contras gebärden sich, als hätten sie die Wahlen und den Krieg gewonnen und stellen immer neue Forderungen.
Vicente Ceas scharfer Atem und sein schwerer Zungenschlag verraten, daß er schon am Vormittag gefeiert hat. Sein hölzernes, schmuckloses Haus am Wegrand wird von vorbeiziehenden Contras regelmäßig aufgesucht. Kaum eine Autostunde von der Provinzhauptstadt Jinotega entfernt, liegt der Weiler El Mojon auf einer steinigen Bergkuppe. Die Häuser stehen in Rufweite voneinander entfernt am Straßenrand. El Mojon hat kein Zentrum, nicht einmal ein Wirtshaus. Verkehrsmittel ist das Pferd oder das Maultier. Ein verlassenes Schulgebäude ist zwei Gehstunden entfernt offensichtlich fanden hier Gefechte statt, wie die Einschußlöcher in den Wänden verraten. Die Bauern von El Mojon leben vom Gemüsebau und der einen oder anderen Milchkuh; und „alle sind sie für die Konterrevolution“, wie Vicente Cea begeistert versichert.
Die Campesinos der Umgebung sind alle über die Bewegungen der Contras informiert. Kaum einer, der ihnen nicht schon Nahrung oder Information geliefert und deswegen unangenehme Erfahrungen mit der sandinistischen Armee gemacht hätte. Die Bauern glauben jetzt, daß nur die Konterrevolutionäre ihnen Schutz bieten können. „Zuerst müssen sich alle Sandinisten entwaffnen“, meint ein Campesino, „dann können auch unsere Leute die Waffen abgeben“.
Wenige Kilometer landeinwärts, jenseits eines Flüßchens, steht ein Bewaffneter, das sowjetische AK-Sturmgewehr im Anschlag, die kugelrunde Granate im Halfter. „To Russia with Love“, wünscht sein T-Shirt, auf dem eine Hand in den Farben der US-Flagge den Mittelfinger in eindeutiger Geste nach oben reckt. „Coral I“ nennt er sich und ist unterwegs zu seinem Vorgesetzten, der aus einem Bauernhaus kommt. Der 28jährige Denis ist einzig durch sein Walkie-talkie im Gürtel als Chef zu erkennen. Er wartet auf Befehle von Franklyn, bevor er sich für oder gegen die Entmobilisierung entschließt. Offenbar hat er noch nicht gehört, daß Franklyn, alias Israel Galeano Cornejo, der Generalstabschef der Contras, am Vortag angekündigt hat, auch er würde sich bewaffnet und mit all seinen Leuten nach Nicaragua zurückziehen, „um die Demobilisierung aus der Entfernung zu beobachten“. Der Krieg sei erst zu Ende, wenn alle hohen Offiziere aus der sandinistischen Armee gesäubert seien. Denis ist der Meinung, daß die neue Regierung noch reichlich Garantien geben müsse, bevor an Entwaffnung zu denken sei. Schließlich habe die Oppositionsallianz UNO ihren Sieg dem bewaffneten Kampf zu verdanken. „Wer für die UNO gestimmt hat, hat auch für uns gestimmt“, glaubt Denis, abweichend von der herrschenden Interpretation, daß die Wähler Frieden und wirtschaftlichen Aufschwung wollen. „Das haben wir auch mehreren UNO-Leuten gesagt, die uns aufgesucht haben“. Nach Jahren in den Bergen und systematischer Gehirnwäsche in den Lagern haben die Contra-Kämpfer von den tatsächlichen Machtverhältnissen keine Vorstellung - genausowenig, wie die meisten Städter sich das Leben der Campesinos in den entlegenen Tälern ausmalen können.
Die Contras können sich derzeit ungehindert bewegen - der nächste sandinistische Soldat sitzt mehrere Kilometer entfernt auf seinem Posten. Seit am 26. März beide Seiten eine Waffenruhe beschlossen, versuchen Contras wie Sandinisten, Zusammenstöße zu vermeiden. Kurz vorher hat es bei El Mojon ein größeres Gefecht gegeben. „Ein Präventivschlag“, bestätigt Hauptmann Mauricio Cruz, der Chef der Staatssicherheit in Jinotega. „Wir hatten Informationen, daß die Contras das Wasserkraftwerk attackieren und in die Stadt einfallen wollten.“ Die sandinistischen Behörden nehmen immer wieder offen Kontakt mit den Contra-Chefs auf: „Wir schicken ihnen Nachrichten über einen Priester oder einen Campesino.“ Daher weiß man in Jinotega ganz gut Bescheid, wer auch nach dem UNO-Sieg den Krieg weiterführen will.
„Die meisten UNO-Leute hier in Jinotega sind gegen die Demobilisierung“, klagt auch Max Molina, der für die siegreiche Allianz ins Parlament gewählt wurde. „Die Contras sind verzweifelt und hungrig“, weiß er, der selbst schon zu mehreren geheimen Treffen mit Kommandanten gerufen wurde. An manchen Straßen nehmen sie den Durchreisenden Geld und Nahrungsmittel ab. Viehdiebstahl gehört zum Alltag.
Bis Violeta Chamorro am 25.April die Regierung übernimmt, wird sich an der Position der Contras nichts ändern. Max Molina hält äußerste Bedachtsamkeit beim weiteren Vorgehen für geraten, „sonst explodiert das Pulverfaß Nicaragua“. Hauptmann Cruz könnte sich vorstellen, daß Dona Violeta, die mit dem Versprechen der Wehrdienstaufhebung die Wahlen gewann, letzten Endes die Armee schickt: „Das wäre die beste Lösung“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen