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Übernahme nur bei „Widerstandsvorlauf“

BRD-Verfassungsschützer wollen fünf Landesämter in der DDR / Vom Stasi-Personal „Einzelfälle mit nachgewiesenem Widerstandsvorlauf“ übernehmen  ■  Von Wolfgang Gast

Berlin (taz) - Die bundesdeutschen Verfassungsschützer denken trotz der anstehenden deutschen Vereinigung nicht im geringsten ans Abspecken. Geht es nach ihrem Willen, wird der Anschluß der DDR nach Artikel 23 des Grundgesetzes ganz im Gegenteil zu einer Ausweitung der Aufgaben für das Kölner Bundesamt und die Landesämter führen: In den noch zu gründenden fünf Bundesländer auf dem heutigem Territorium der DDR müßten neue Landesämter aufgebaut werden. Oberste Priorität wird dabei den personellen Anstregungen eingeräumt, die die bundesdeutschen Verfassungsschützer auf sich zukommen sehen. „Bei realistischer Betrachtung der Situation in der jetzigen DDR wird die personelle Besetzung dieser neuen Landesbehörden Schwierigkeiten bereiten.“ Aus „politischen und psychologischen Gründen“ können bei der Besetzung dieser Stellen frühere Mitarbeiter der Stasi nicht in Betracht kommen. Doch keine Regel ohne Ausnahme: „Einzelfälle mit nachgewiesenem Widerstandsvorlauf“ sollen vielleicht doch Verwendung finden. Dies hat zur Folge, daß das benötigte Personal aus der Bevölkerung „auch ohne fachliche Qualifikation“ gewonnen werden müsse. Personelle wie auch fachliche Hilfe muß auch hier aus dem Westen kommen, „für die ausreichend qualifizierte Kapazitäten vorgehalten werden müssen“. Einen Ausbau der „Schule für Verfassungsschutz“ haben die Geheimdienstler schon ins Auge gefaßt.

VS will organisierte Kriminalität erobern

Wie aus einem geheimen Protokoll einer Klausurtagung der Verfassungsschützer vom 28.2. und 1.3. weiter hervorgeht, wollen die Geheimdienstler die anstehende Umstrukturierung aber auch zu einer Ausweitung ihrer Befugnisse nutzen.

Unter Punkt 15 („Neue Aufgaben für den Verfassungsschutz“) heißt es in dem 20seitigen Papier: „Die organisierte Kriminalität läßt in zunehmendem Maße Ansätze für die Entstehung mafioser Strukturen erkennen.“ Diese Entwicklung wird sich, so die Sicherheitsbehörde, auf ein vereintes Deutschland ausdehnen. Funktionsträger in Politik, Verwaltung und Justiz sollen von diesen kriminellen Vereinigungen korrumpiert werden. Damit, so die Autoren, „greifen sie die 'verfaßte Gesellschaft‘ und letztendlich den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat an“. Der so deklarierte „Angriff“ auf die wehrhafte Demokratie ist den obersten Verfassungsschützern Grund genug, um in der Konkurrenz um die Bekämpfung der organisierten Kriminalität (OK) die Verlagerung der Fachkompetenzen von der Polizei weg zum Verfassungsschutz hin zu betreiben. Wie die Experten des Bundeskriminalamtes (das zusammen mit den Landeskriminalämtern bisher ausschließlich für den Bereich OK zuständig ist), kommen die Autoren aus der Spitze des Kölner Bundesamtes zu dem Ergebnis, daß „eine planmäßige Bekämpfung dieser kriminellen Vereinigungen (...) bereits im Vorfeld erforderlich ist“. Auf wenig Gegenliebe dürften beim neuen BKA-Chef Zachert aber die weiteren Schlußfolgerungen im VS-Papier (für das der Kölner Präsident des Bundesamtes Gerhard Boeden verantwortlich zeichnet) stoßen: „Die Vorfeldarbeit kann von der Polizei nicht oder nur unzureichend geleistet werden, da sie entweder Anhaltspunkte für das Vorliegen einer konkreten Gefahr (Prävention) oder oder aber einen entsprechenden Verdacht einer Straftat (Repression) benötigt, um handeln zu können.“ Die Vorfeldbeobachtung sollte daher einer Institution zugewiesen werden, „die nicht über exekutive Befugnisse verfügt“. Den ungebrochenen Glauben, Verbrecherbanden und Terrorgruppen erfolgreich unterwandern zu können, hat sich VS-Chef Boeden wohl seinerzeit als Chef der Terrorismusabteilung im BKA erworben. Geht es entsprechend den Vorstellungen im VS -Papier, dürfen die Verfassungsschützer ihre V-Leute und Under-cover-Agenten auch ins kriminelle Milieu einschleusen. Im Gegensatz zu ihren Kripokollegen könnten sie - weil an kein Legalitätsprinzip gebunden - die Planung und Durchführung von Straftaten beobachten, ohne verpflichtet zu sein, diese bei den Ermittlungsbehörden zur Anzeige zu bringen.

Über den Umweg der deutschen Vereinigung und der damit verbundenen Umstrukturierung in den VS-Behörden bekäme der Lauschdienst eine neue Abteilung, die sich über den eng definierten Bereich des „Staats- und Verfasungsschutzes“ hinaus auf die Fährten internationaler Verbrecherbanden setzen darf. Konsequenterweise regen die Autoren in ihrem Papier die Umbenennung des Verfassungsschutzes an. Die neue Bundesbehörde, der auch die fünf neu zu schaffenden Landesämter von Mecklenburg bis Thüringen unterstellt werden, sollte zukünftig den Titel „Amt für innere Sicherheit“ tragen.

Personalverlagerung

statt Personalabbau

Aber auch in den klassischen Feldern der VS-Arbeit, sowohl der Beobachtung verfassungsfeindlicher Tendenzen als auch der Spionageabwehr, soll dem rasanten Wegfall der „Bedrohungslage“ durch die Entwicklungen in Osteuropa nur bedingt Rechnung getragen werden. 40 Jahre politische Unterdrückung in der DDR würden dort „zwangsläufig auch rechtsradikale bis -extremistische Entwicklungen ergeben“, heißt es beispielsweise in der „Lageeinschätzung Rechtsextremismus“. Mit einem Anwachsen der rechtsextremistischen Szene sei zu rechnen, die sich voraussichtlich den „populären Themen“ Bewältigung der kommunistischen Vergangenheit, der Ausländerpolitik und der sozialen Frage zuwenden werde. Um dieser „Entwicklung gerecht werden zu können“, scheint dem Bundesamt eine „maßvolle Personalverstärkung“ erforderlich. Insgesamt sehen die obersten Lauscher der Nation eine „Verminderung der Bedrohungslage“, konstatieren aber zugleich ein „Anwachsen von Aktivitäten der gewaltbereiten Neuen Linken“. Mit einer Verlagerung der Arbeitsschwerpunkte, einer Umstrukturierung innerhalb der Abteilung Linksextremismus und einer „Personalverlagerung in andere Abteilungen“ müsse dem Rechnung getragen werden.

Personalverlagerung ist eines der Schlüsselworte in dem als „VS - Nur für den Dienstgebrauch“ gestempelten Schreiben, mit dem die Verfassungsschützer dem drohenden Legitimationsverlust ihrer Behörde entgegentreten. Wird einerseits für die Bereiche des orthodoxen Kommunismus und der Spionageabwehr eine Aufgabenreduzierung und ein Abbau des Personalbestandes zugestanden, erheben die Autoren andererseits für andere Felder die Forderung nach einem personellen Nachschlag: beim Linksterrorismus, dem Ausländerextremismus - sogar bei der Pressearbeit des Amtes. Begründung: Der DDR-Bevölkerung muß hinreichend klargemacht werden, das der hiesige Verfassungsschutz mit der Stasi nicht vergleichbar ist.

Wenn am 20. April der Arbeitskreis 4 der Innenministerkonferenz (IMK) erneut zusammentritt, um über die Empfehlungen einer Expertenkommission (bestehend aus dem Kölner Bundesamt und Vertretern der Länder Bayern, Nordrhein -Westfalen, Rheinland-Pfalz und Saarland) an die Innenminister der Länder zu beraten, wird wohl auch der Auslandnachrichtendienst (HVA) des früheren DDR -Geheimdienstes wieder auf der Tagesordnung stehen. Während in Bonn eine mögliche Amnestie für die früheren Stasi -Agenten noch weitgehend umstritten ist, hat sich das Kölner Bundesamt - wie aus dem Positionspapier ersichtlich wird schon festgelegt: „Die HVA ist ihrerseits an Straffreiheit für hauptamtliche ND-Angehörige (ND steht für Nachrichtendienst; d. Red.) und deren Quellen interessiert. Ein entsprechendes Straffreiheitsgesetz ist bereits geplant.“ Als Gegenleistung fordern die Kölner Verfassungsschützer von ihrem nachrichtendienstlichen Gegenüber, daß „zumindest hochrangige Quellen genannt werden“.

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