: „Schlammschlachten und Tuntenintrigen“
Gründungswirrwarr bei den Aids-Hilfen in der DDR / Allein in Ost-Berlin haben sich drei Gruppen gebildet / Die Protagonisten sind untereinander mißtrauisch bis zerstritten / HIV-Positive gründen ihre eigene Organisation und gehen auf Distanz ■ Von Peter Süß
Berlin-West (taz) - Zwischen Rostock und Dresden schießen Aids-Hilfen wie Pilze aus dem Boden. Allein in Ost-Berlin haben sich drei Gruppen gebildet. Zwei davon wollen offenbar Dachverband für zukünftige regionale Aids-Arbeit in der DDR sein.
Zeitgleich hielten Ende März die Aids-Hilfe und der Aids-Kreis der DDR ihre konstituierenden Versammlungen ab. Die Hauptbeteiligten der beiden Gruppen sind sich nicht grün, man bekriegt sich auf einem Niveau, das „zwischen Schlammschlachten und Tuntenintrigen liegt“, so ein Mitglied des Ost-Berliner Vereins „Pluspunkt - Hilfe für Positive“.
Ende März hatte sich auch die Positiven-Gruppe gegründet. „Wir wollen endlich was tun, anfangen, regional für Positive zu arbeiten“, sagt Eddy Schnalke, Vorstandsmitglied von „Pluspunkt“. Der Verein, der aus der Positivengruppe der Charite hervorgegangen ist, hat 19 Mitglieder und finanziert sich aus dem für DDR-Verhältnisse hohen Mitgliedsbeitrag von 10 Mark. Inzwischen hat „Pluspunkt“ an der Wilhelm-Pieck -Straße Räume angemietet. Jeden Freitagabend soll dort ein Treffpunkt entstehen. Außerdem soll auf Anfrage beraten werden, und für Menschen mit Aids will der Verein Alltagshilfe leisten, etwa durch Einkaufen oder Putzen. „Wir verstehen uns nicht als Konkurrenz zur Aids-Hilfe oder zum Aids-Kreis, werden uns aber keinesfallls unter einen gemeinsamen Dachverband stellen“, erklärt die Aids -Fürsorgerin der Charite Ina Hermann, ebenfalls Vorstandsmitglied von „Pluspunkt“. Harsche Kritik wird an der Aids-Hilfe der DDR geübt, besonders Geschäftsführer Günther Grau und das Vorstandsmitglied Rainer Herrn haben Unmut auf sich geladen. Viele Beteiligte, die jedoch nicht mit ihrem Namen für die Kritik geradestehen wollen, werfen Grau und Herrn „Machtprofilierung“ vor. Beide erschöpften sich im „Konferenztourismus“, konkrete Arbeit sei bisher von der Aids-Hilfe, die vor allem die DDR-Schwulen aufklären will, nicht geleistet worden. Weder berate sie noch leiste sie Präventionsarbeit, lauten die Hauptvorwürfe. Auch die Möglichkeit, zwei Räume in der Sexualberatungsstelle Lichtenberg zu beziehen, um endlich mit konkreter Arbeit zu beginnen, sei bis heute nicht genutzt worden.
Den Vorwurf, man tue nichts, will Bert Thinius, Mitglied im Vorstand der Aids-Hilfe, so nicht stehen lassen: „Ich behaupte nicht, daß wir toll arbeiten, aber das liegt vor allem an den fehlenden Räumen.“ Die Beratungsstelle Lichtenberg sei nicht genutzt worden, weil man „in Kürze vielleicht ein Haus in der Frankfurter Allee“ bekomme. Die Aids-Hilfe sei bei mehreren Veranstaltungen präsent gewesen, außerdem führe man Aufklärungsgespräche mit schwulen Männern in der Subkultur. Dies wird wiederum von Steffen Paul, Initiator des Aids-Kreises, heftig bestritten. „Ich habe ihnen mehrmals angeboten, zusammen in Kneipen zu gehen, um Präventionsarbeit zu leisten, bin aber immer auf taube Ohren gestoßen.“
Die Aids-Hilfe fordert noch für dieses Jahr 200.000 Mark aus dem Staatshaushalt der DDR sowie Büroräume in der Ost -Berliner Innenstadt. Von westlichen Firmen wünscht man sich eine professionelle Ausrüstung wie Personalcomputer, Anrufbeantworter mit Fernabfrage und Telefaxgeräte. Soviel Professionalisierungswünsche stoßen auf Widerspruch. „Faxen mit Telefax“, kommentiert ein Mitglied von „Pluspunkt“ bissig.
Kritik kommt auch aus der Provinz. Dort wehrt man sich gegen den von oben vorgegebenen Namen „Aids-Beratungs -Centrum“ (ABC), unter dem regional gearbeitet werden soll. In Rostock hat sich nach Bremer Vorbild eine Aids-Hilfe namens „Rat und Tat“ gegründet.
Ein ganz anderes Konzept als die Aids-Hilfe, die zielgruppenspezifisch arbeiten will, hat der Aids-Kreis der DDR. Er möchte vor allem die sexuell aktive Gesamtbevölkerung aufklären, als seien es nicht in erster Linie Schwule und Fixer, die von Aids betroffen wären. „Die Chance, sich mit dem Virus zu infizieren, wurde plötzlich für die meisten sexuell aktiven Menschen real“, heißt es beschwörend im Programmentwurf des Aids-Kreises. Nach alter DDR-Tradition wird der HIV-Antikörpertest zum probaten Mittel erklärt, seinen Partner „noch verantwortungsvoller vor einer Infektion zu schützen“. Der Aids-Kreis warnt nicht nur vor ungeschütztem Geschlechtsverkehr, sondern - der Papst läßt grüßen - auch vor „wechselnden und leichtfertigen Sexualkontakten“.
„Wir sind keine Konkurrenz zur Aids-Hilfe“, sagt Steffen Paul vom Aids-Kreis, der aber „atmosphärische Störungen“ zwischen den beiden Organisationen einräumt. Die Forderungen des Aids-Kreises scheinen aber doch auf ein offenes Konkurrenzverhältnis hinzuweisen. Auch der Kreis möchte eine Beratungsstelle mit festem Budget in Ost-Berlin mit „zwei bis drei Planstellen“ einrichten. Das Beratungszentrum soll, so Paul, „Modellcharakter für andere Städte der DDR haben“.
Die Positiven in der DDR, mit denen sich sowohl Aids-Hilfe wie auch Aids-Kreis in ihren Erklärungen schmücken, wollen soviel scheint sicher - weder mit Aids-Kreis noch mit Aids -Hilfe viel zu tun haben. Zur Zeit gibt es offiziell 91 HIV -infizierte DDR-Bürger, 17 sind erkrankt, neun verstorben.
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