: Harte Strafen für zwei Ostberliner
■ Sie wurden zu zwei Jahren verurteilt, weil sie einen Homosexuellen überfallen und 180 DM geraubt hatten / Die Verteidiger beantragten aufgrund der besonderen Situation nach der Maueröffnung Bewährungsstrafen
Der Fall der Mauer fordert jetzt auch im Kriminalgericht Moabit ihren Preis: In einem der ersten Prozesse vor einer Großen Strafkammer des Landgerichts seit Öffnung der DDR -Grenze wurden gestern ein 24jähriger Maurer und ein 22 Jahre alter Kellner aus Ost-Berlin wegen räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Die beiden miteinander befreundeten Männer hatten am 22. Januar dieses Jahres einen Westberliner in einer öffentlichen Toilette in Kreuzberg mit einem Rasiermesser bedroht, zusammengeschlagen und 180 DM geraubt.
Der 24jährige Angeklagte Bernd P. und sein Freund Olaf A. waren wenige Minuten nach der Tat von zwei Zivilbeamten festgenommen worden. Die Beamten hatten beobachtet, wie die beiden mehrmals in eine Toilette am Zickenplatz hinein- und hinausgingen. Als sie plötzlich wegrannten, war ihnen einer der Beamten gefolgt. Der andere war in Richtung Toilette geeilt und dabei auf einen älteren Herrn gestoßen, der sich die Hand an den Kopf hielt und klagte, daß er gerade von zwei Männern überfallen worden sei. Der Beamte hatte sofort auf dem Absatz gekehrt gemacht und war seinem Kollegen mit gezogener Waffe hinterhergestürzt, der die Ostberliner aber schon gestellt hatte: Die beiden hatten ausgerechnet bei ihm versucht, einen 100-Mark-Schein aus der Beute zu wechseln. Als die Beamten zum Tatort zurückkamen, war das Opfer verschwunden. Der Mann hatte vermutlich das Weite gesucht, weil er homosexuell ist und mit der Polizei nichts zu tun haben wollte.
Vor Gericht erklärten Bernd P. und Olaf A. gestern, sie hätten sich in einer Kneipe in Ost-Berlin einen angetrunken und seien dann ohne einen Pfennig West-Geld in der Tasche mit der U-Bahn zum Kottbusser Damm gefahren. Sie hätten nicht vorgehabt, eine Straftat zu begehen, sich dann aber aus unerklärlichen Gründen spontan dazu hinreißen lassen, als sie von dem Mann in der Toilette angesprochen worden seien. Auf die Frage, warum er denn ein Rasiermesser dabei gehabt habe, antwortete Bernd P., er führte dies auf seinen West-Reisen immer mit sich, weil die Kriminalität hier „schlimmer“ sei.
Die Angeklagten versuchten die Tat damit zu erklären, daß sie sich ohne einen Pfennig West-Geld wie „die Bettler“ gefühlt hätten, und beteuerten immer wieder, daß sie nie wieder eine solche Dummheit machen würden. Bei der Staatsanwältin, die in drei dürren Sätzen fünf Jahre Haft beantragte, ohne mit einem Wort auf die besondere Situation nach der Grenzöffnung einzugehen, stießen sie damit jedoch auf taube Ohren. Diese „Herzlosigkeit“ brachte ihr heftige Vorwürfe von seiten der Verteidiger ein: Zwei junge Menschen in einer Situation „fünf Jahre in den Kerker schmeißen zu wollen“, in der „hüben wie drüben wichtige Weichenstellungen“ erfolgen, nur weil sie einmal auf krumme Art den Verlockungen des Westens erlegen seien, sei „unmenschlich und verantwortungslos“. Das Gericht folgte ihrem Antrag einer Bewährungsstrafe für die Angeklagten jedoch nicht. Der Vorsitzende Richter Luther begründete die zweieinhalbjährige Haftstrafe damit, daß die beiden Männer „2:1“ auf das ahnungslose Opfer eingedrungen seien, auch wenn aufgrund des „besonderen historischen Sachverhalts“ von einem minderschweren Fall ausgegangen werden müsse.
plu
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