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Wirtschaftsinstitut: Litauen ohne UdSSR vor Zusammenbruch

■ Hamburger „Institut für Ost-Marktforschung“ bescheinigt totale Abhängigkeit von der Sowjetunion / Export in Drittländer kein Ausweg, Import wäre weitaus teurer

Berlin (taz) - Wirtschaftlich düstere Aussichten bescheinigt das Hamburger „Institut für Ost-Marktforschung“ (IFOMAF) einem unabhängigen Litauen, wenn es von der Sowjetunion mit einem Handelsboykott belegt wird. „Litauen ist weder heute noch in der Zukunft in der Lage, autark zu leben. Der Konflikt mit der UdSSR und der endgültige Austritt in etwa fünf Jahren können ein wirtschaftlich total ruiniertes Litauen zur Folge haben“, schreibt das Institut in seiner „Marktuntersuchung“ mit dem Titel Die wirtschaftlichen Folgen der Unabhängigkeit Litauens. Das private Institut geht allerdings davon aus, daß sich der Unabhängigkeitsprozeß in den von der Sowjetverfassung vorgegebenen Bahnen vollziehen wird, und sich mithin die Frage eines Wirtschaftskrieges nicht akut stelle.

„Die litauische Industrie, Landwirtschaft sowie alle anderen Bereiche der Volkswirtschaft sind für die UdSSR insgesamt nur von völlig untergeordneter Bedeutung“, meinen die Ost-Marktforscher. In ihren Tabellen, die den litauischen Anteil an der sowjetischen Gesamtproduktion anführen, steht hinter den meisten der 52 Produktgruppen in der Tat eine glatte Null Komma Null. Lediglich bei bestimmten Elektromotoren (4,8 Prozent), Werkzeugmaschinen (9,1), Strumpfwaren (5,0), Fernsehgeräten (7,2) und Kühlschränken (5,6) bedient man nennenswerte Anteile der sowjetischen Produktion. Auf der anderen Seite ist die Republik derzeit bei den strategisch wichtigen Rohstoffen bzw. Produkten vollständig auf Importe angewiesen, so bei Erdöl, Kohle, Gas und Stahl jeder Art. „Litauen gehört zu den Sowjetrepubliken, die praktisch keine Rohstoffe haben“, und „außer kleinen Torfvorkommen“ gebe es dort keinerlei Ressourcen an Primärenergieträgern.

Nicht nur die Abhängigkeit bei bestimmten Produkten, die durch Lieferungen in die UdSSR oder ins Ausland bezahlt werden, ist nach Meinung des Instituts frapant. Vielmehr seien die Lieferungen in die Sowjetunion und die übrigen Exporte „wesentlich niedriger“ als die Bezüge. Litauen weist mithin einen „großen Passivsaldo“ aus. Im innersowjetischen Handel standen 1988 hier 5.430,7 Millionen 6.238,5 Millionen Rubel gegenüber, beim devisenträchtigen außersowjetischen Warenverkehr war das Verhältnis noch krasser: 527,1 zu 1.249,1 Millionen Rubel.

Nach der Analyse ist die Bezugsabhängigkeit besonders hoch bei Brennstoffen und Energie. Die lokalen Quellen würden nur drei Prozent des Bedarfs decken. Dabei sei zu beachten, daß auch ein Teil der litauischen Lieferungen - sowohl in die UdSSR wie auch beim Export - aus ursprünglich aus der Sowjetunion stammenden Rohstoffen gefertigt werden: „So verarbeitete die Raffinerie in Mazejkjai Öl, das aus der übrigen UdSSR stammt.“

Der litauisch-sowjetische Handel mit Primärenergie gestaltete sich dabei in der Vergangenheit nach Ansicht der Wirtschaftsforscher für die litauische Seite überaus günstig: „Die 1988 bezogene Rohölmenge kostete 399 Millionen Rubel; bei einem Import der gleichen Menge aus Drittländern hätten 1,319 Milliarden Devisenrubel aufgewandt werden müssen.“ Ähnlich lägen die Dinge beim Erdgas: Anstatt 118 Millionen für die Lieferungen aus der Sowjetunion hätten 153 Millionen Devisenrubel für Importe aus Drittländern aufgewandt werden müssen.

Litauen verfügt nach Erkenntnissen des IFOMAF zwar über eine entwickelte Landwirtschaft. 52 Prozent des Volkseinkommens werde in diesem Primärsektor erwirtschaftet. Aber auch hier sei das Land nicht unabhängig: Von der 3,6 Millionen Tonnen Mischfutter, die 1989 eingesetzt wurden, stamme über ein Drittel (1,3 Millionen Tonnen) aus den anderen Sowjetrepubliken. Ähnlich liege es bei der Zuckerindustrie: Zwar übersteigt die Produktion mit 242.000 Tonnen den eigenen Verbrauch (188.000) erheblich. Die eigene Rübenernte steuere zur Produktion jedoch nur 79.000 Jahrestonnen bei.

Nur wenige wirtschaftliche Trumpfkarten, die man bei einem Poker mit Moskau einsetzen könnte, zählt das Hamburger Institut auf. So sei das Werk für Elektromeßgeräte in Vilnius das einzige seiner Art in der UdSSR, bei Teilen der Fernsehproduktion und Autokompressoren läuft gesamtsowjetisch ohne die litauische Produktion nichts bzw. kaum etwas. Aber auch dieser Vorteil wird vom IFOMAF sogleich eingeschränkt. Zwar seien diese Werke für die UdSSR wichtig, „angesichts des technischen Standards und der Qualität dieser Werke“ bestünden jedoch keine Absatzchancen auf dem Weltmarkt. Beim Verkauf ist man also auf den Markt Sowjetunion angewiesen. Ohne eine nähere Begründung dafür anzuführen, bestreitet das Institut auch gleich die Grundlagen jener Hoffnung, die angesichts der heutigen Lage vielleicht der eine oder andere hegt: „Litauen kann nicht damit rechnen, daß das westliche Ausland auf Jahrzehnte hinaus das Land mit der nötigen Roh- und Brennstoffen sowie Industriewaren versorgt.“ Dabei wäre Litauen sicherlich nicht das erste Land, das westliche Rgierungen oder Banken gepäppelt hätten. Doch dafür war noch immer eine Bedingung gegeben: Es muß ökonomisch oder strategisch etwas zu holen sein. Und danach sieht es zumindest heute erstmal nicht aus. Selbst ein potentieller Hochposten gegen Moskauer Umtriebe hat heute auch nicht mehr den Wert, den er einmal hatte.

Ulli Kulke

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