„Was soll ich mit 50 km/h auf dem Radweg?“

■ Interview mit einem Radler vom Kurierdienst über den Sinn der StVO, über zugeparkte Radwege, Bordsteinkanten, linksabbiegende Lkws und FußgängerInnen mit Scheuklappen / „Wir dürfen uns nicht an den Rand drängen lassen“

Kürzlich veröffentlichte das Statistische Landesamt die 89er Zahlen über Unfälle im Straßenverkehr. Ergebnis: Durchschnittlich verunglückten im letzten Jahr täglich mehr als 40 Menschen auf Bürgersteigen, Radwegen und Fahrspuren. Das waren 3,5 Prozent mehr als 1988. Die meisten kamen als Fahrer oder Mitfahrer in Pkws zu schaden, an zweiter Stelle liegen die Radfahrer, von denen regelmäßig in jedem Jahr mehr verunglücken als bei den Fußgängern. Auch zeigt die Statistik, daß die Radler momentan zu den gefährdetsten Verkehrsteilnehmern gehören, ihr Anteil an den Unfällen stieg am stärksten, näm lich um 18 Prozent gegenüber dem Vorjahr 1988. Über die Sicherheit von Radfahrer im Verkehr, über Radwege, Einbahnstraßen, Ampeln und das Einhalten der Straßenverkehrsordnung sprach die taz mit dem professionellen Radler Frieder S. (Name geändert), der bei einem Berliner Kurierdienst arbeitet.

taz: Wie sieht es mit der Sicherheit für Radfahrer im Berliner Straßenverkehr aus?

Frieder: Schlecht, wenn ich nach der Straßenverkehrsordnung fahren würde. Der Straßenverkehr richtet sich ja im Prinzip gar nicht mehr nach der Straßenverkehrsordnung, wenn man mal von Ampeln absieht. Jeder Autofahrer fährt wie er will. Ein Verkehr nach der StVO ist eine Illusion, das läuft hier einfach nicht mehr. Sonst würde der Verkehr stillstehen den ganzen Tag. Folglich sind alle Autofahrer in Bewegung, die denken auch ganz anders mit. Die gucken weit über die Stoßstange hinaus und gucken, wie sie den Wagen am Rollen halten können und nicht andauernd bremsen. Und wenn das so laufen soll, muß man schneller fahren. Da passen dann aber rechtsabbiegende Autos häufig nicht auf. Außerdem sind die Kreuzungen uneinsehbar, weil überall Autos parken. Die meisten Unfälle passieren halt mit rechtsabbiegenden Autos.

Wo liegen die Probleme der Verkehrsplanung?

Der große Fehler ist, daß zwischen fließendem Verkehr und Radverkehr parkende Autos stehen. Die Fahrradfahrer sollen im fließenden Verkehr bevorzugt fahren dürfen, wenn sie schon nicht die gleiche Fahrbahn wie Autos benutzen können und trotzdem als vollwertige Verkehrsteilnehmer wie die Autofahrer anerkannt sind. Wenn man die Radfahrer jetzt wieder hinter parkenden Autos isoliert, ist es vorprogrammiert, daß die wieder übersehen werden. Wenn ein Lieferwagen um die Ecke biegt, dann kann der den Radfahrer erst sehen, wenn er mit der Kühlerhaube bereits auf dem Radweg steht. Das ist der Horror eines jeden Kurierfahrers. Einer von uns lag erst kürzlich im Krankenhaus mit einem Jochbeinbruch und Schlüsselbeinbruch. Obwohl heute jeder einen zweiten Außenspiegel hat - sogar in Wagenfarbe lackiert - schaut keiner rein.

Was könnte man ändern auf den Straßen, damit es für Radfahrer ungefährlicher wird?

Also wenn man mehr Parkplätze zu Radwegen umfunktionieren würde, wäre das eine gute Sache. Die parkenden Autos stehen immer als Sichtblock zwischen Fahrbahn und Radweg. Auch die Radwege könnten attraktiver gestaltet werden, wenn man die Kante vom Übergang von Straße zu Radweg einebnen würde. Hohe Bordsteinkanten sind Gefahren für ungeübte Fahrer. Vielleicht sollte man eine Art Zweiklassensystem einführen. Für unsichere Radfahrer läßt man die Radwege so wie sie sind, die anderen sollten neue Radwege, die direkt an der Fahrbahn sind, benutzen dürfen. Süd-West-Corso ist große Klasse. Da hat man die zweispurige Fahrbahn auf eine verengt und die andere hat man zum Radweg gemacht. Da kann dich jeder Autofahrer sehen. So sollte man das überall machen.

Wie verhält sich die Polizei, wenn Du nie den Radweg benutzt?

Na die sprechen mich oft an: Benutzen Sie gefälligst den Radweg. Aber was soll ich mit 40 bis 50 km/h auf dem Radweg? Welcher Autofahrer rechnet denn da mit mir? Und dann Fußgänger und Köter auf dem Radweg, vollgeparkt mit Autos, überall Glasscherben. Oder an Ampeln und Bushaltestellen, da kannst du klingeln wie du willst. Die Fußgänger latschen ohne zu schauen über den Radweg, ich weiß nicht, wieviele schon meine Tasche abgekriegt haben.

Wie schützt du dich?

Ich verhalte mich im Verkehr permanent falsch, rechne aber auch permanent mit dem Fehlverhalten anderer. Ich kann mich ja nicht darauf verlassen, daß alles nach den Verkehrsregeln läuft. Man sollte ein System einführen, das die verschiedenen Geschwindigkeitsstufen der Verkehrsteilnehmer berücksichtigt. Man kann die Radfahrer nicht mit den Fußgängern zusammentun, sondern man muß sie für die Autofahrer sichtbarer machen. Mehr Selbstbewußtsein würde den Radfahrern auch nicht schaden, damit sie sich nicht so oft an den Straßenrand drängen lassen.

Interview: Julia Schmidt