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Staatsvertrag - das Bonner Diktat an Ost-Berlin

Das 50seitige Papier, das die Bundesregierung der DDR vorlegt, verdient den Namen Vertrag nicht. Es ist ein Diktat Bonns an Ost-Berlin, das gesamte Wirtschafts- und Steuerrecht, das System der Sozialversicherung und das Arbeits- und Gewerkschaftsrecht zu übernehmen. Schon die Sprachregelungen zeigen den Charakter: „Die Deutsche Demokratische Republik verpflichtet sich...“, fängt nahezu jeder Abschnitt des Werkes an. Von einer Verpflichtung der Bundesregierung ist kaum die Rede. Im Gegenteil: Die Bundesbank, deren Kompetenz auf das gesamte Gebiet der DDR ausgedehnt wird, „darf“ laut Staatsvertrag - und zwar alles. Besonderheiten der DDR, Übergangsregelungen oder Schutzbestimmungen für Handel und Betriebe kommen nicht vor. Wie und wann die Sozialunion eingeführt werden soll, darüber sagt der Bonner Vertragsentwurf auch nichts aus. Die Leistungen der zukünftigen Arbeits- und Sozialversicherung sind in erster Linie von der DDR aufzubringen. Bonn will lediglich eine Anschubfinanzierung leisten und Defizite übernehmen.

Die DDR soll im Staatsvertrag nicht nur verpflichtet werden, per übernahme der Grundlagengesetze die Deutsche Einheit vorwegzunehmen, sie soll auch auf ihre sämtlichen Hoheitsrechte in der Währungs- und Wirtschaftspolitik verzichten. Alle Gesetze der BRD erlangen mit Abschluß des Staatsvertrages auf dem Gebiet der DDR Gültigkeit (vergleiche Kapitel I Grundlagen). Die DDR verpflichtet sich auch, alle Gesetzesänderungen der BRD automatisch nachzuvollziehen. Doch nicht nur das bundesdeutsche Regelwerk wird in der DDR Anwendung finden. Sie soll sich auch verpflichten, ihre Grundsätze und Leitlinien auf allen wirtschaftspolitischen Gebieten mit denen der BRD abzustimmen beziehungsweise sie anzugleichen (vergleiche Kapitel III, Abstimmen der Politiken). „Die Regierung der BRD wird die Regierung der DDR über ihre Politiken unterrichten“, heißt die Gegenleistung der Bundesregierung.

Selbst die Gestaltung ihres Haushalts, ureigenes Souveränitätsrecht eines Staates, wird ihr vorgeschrieben. Die DDR soll die Struktur des BRD-Haushalts übernehmen. Die Vereinbarung der DDR-Regierungskoalition über die drastische Reduzierung des Rüstungshaushaltes wird mit dieser Klausel des Staatsvertrages kollidieren. Zwingend vorgeschrieben wird zum Beispiel, den Sozialbereich aus dem Haushalt auszulagern (vergleiche Kapitel V, Staatshaushalt). Der soll, wie in der Bundesrepublik, beitragsorientiert finanziert werden. Wirtschaftsbetriebe dürfen im Haushalt nicht mehr auftauchen, und auch nicht das Wohnungswesen. Zwingend vorgeschrieben werden soll auch der Abbau von Subventionen bei Miete, Nahrungsmitteln, Dients- und Verkehrsleistungen.

Umtauschkurs unklar

Noch ist der Umtauschsatz der Mark in die DM nicht geregelt; klar erkennbar aber ist, daß Bonn in jedem Fall eine differenzierte Regelung haben will (vergleiche Kapitel II des Staatsvertrages). Bis zu einer bestimmten Höhe werden die Sparkonten 1:1 umgetauscht. Diejenigen DDR-Bürger, die hofften, durch Splitten ihrer Konten dieser Höchstgrenze zu entgehen, werden enttäuscht. Der Umtausch wird unter Aufsicht der Bundesbank erfolgen und über eigens dafür eingerichtete Umtauschkonten abgewickelt. Jeder Bürger kann nur ein Umtauschkonto haben. Ein anderer Wechselkurs soll für höhere Guthaben und solche juristischer Personen gelten. Eine dritte Regelung ist für Personen vorgesehen, deren Wohnsitz sich außerhalb der DDR befindet. Hier soll noch einmal nach Guthaben vor dem 31.12.89 und späteren unterschieden werden. Das wird vor allem die fliegenden Händler treffen, die seit Januar die DDR mit Westwaren überschwemmen.

Über den Umtauschkurs für Löhne, Gehälter und Renten sagt der Staatsvertrag nichts aus. Hier wird es, nimmt die neue DDR-Regierung ihre Koalitionsvereinbarung ernst, zum Konflikt kommen. In dem Papier der Parteien wird klar geregelt, daß Löhne und Gehälter nach einer Umlage der bisherigen Preissubventionen im Verhältnis 1:1 umgetauscht werden sollen. Auch die Rentner werden im unklaren gelassen. Zwar liegen Koalitionsvereinbarung und Staatsvertrag eng beieinander, wenn es um die Frage der Rentenhöhe geht. Ein Rentner soll nach 45 Beitragsjahren etwa 70 Prozent eines Nettoeinkommens monatlich bekommen. Doch auf welcher Grundlage dies berechnet wird, sagt der Staatsvertrag nichts. Die Koalitionsvereinbarung schon: Wie bei den Löhnen soll nach einer Umlage der Subventionen 1:1 gelten.

Eigentumsfrage

Der entscheidende Konflikt aber müßte sich nach der Koalitionsvereinigung an der Eigentumsfrage entzünden. Denn bei Übernahme des Bundesrechtes wären die von der DDR -Regierung vorgesehenen Anteilscheine für die Bürger am bisherigen Volksvermögen nicht möglich. Die Belegschaften der DDR-Betriebe sollen sich ans bundesdeutsche Arbeitsrecht gewöhnen. Den zukünftigen DDR-Unternehmern, die das Recht bekommen sollen, sich in Unternehmerverbänden zu organisieren, wird das Mittel der Aussperrung an die Hand gegeben. Arbeiter sollen im Rahmen der Tarifautonomie streiken dürfen. Gleich zu Beginn des Vertrages will Bonn auch klarlegen, daß die Regelungen bisher gültige Gesetze der DDR außer Kraft setzt. Insbesondere werden genannt: die Grundsätze über die staatliche Planung der Volkswirtschaft, das Währungs- und Finanzsystem, das sozialistische Eigentum, Betriebe und Produktionsgenossenschaften. Das bisherige Gewerkschaftsgesetz gehört ebenso dazu wie die staatlich monopolisierte Außenwirtschaft. Außer Kraft gesetzt wird damit auch die von der Modrow-Regierung verabschiedete Sozialcharta, die das Recht auf Arbeit vorschreibt.

Wie die DDR die gigantischen Folgekosten, die sich aus der Übernahme des bundesdeutschen Gesetzeswerkes ergeben, in der Arbeits- und Sozialversicherung bewältigen soll, woher sie die Mittel zur Sanierung der Betriebe, zum Umweltschutz, zur Umstrukturierung der Landwirtschaft und die Ausgaben für die vorgeschriebene Familienpolitik und die Sozialhilfe nehmen soll, darüber findet sich im Staatsvertrag nur der dürre Satz: Die BRD verpflichtet sich, der DDR für eine Übergangszeit zum Haushaltsausgleich zweckgebundene Finanzzuweisungen zu leisten - nach Maßgabe der dafür zur Verfügung stehenden Mittel, versteht sich.

Brigitte Fehrle

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