Kurz und schmerzlos

■ Der Gottesdienst als verlängerter Konfirmationsunterricht am Sonntagmorgen

Gottesdienst in seiner nüchternsten Form gibts mitten im Szene-Viertel, in der Domkapelle am Osterdeich. Unter nacktem Holzdach steht vor kahler Klinkerwand der Domprediger Abramzik. Ein bißchen Orgel, drei Lieder singen, zwanzig Minuten Predigt, Vaterunser, Kollekte - fertig. Schon nach einer knappen dreiviertel Stunde stehen 70 Ostertorsche KirchgängerInnen wieder auf der hellen Straße ein Gottesdienst ganz kurz und schmerzlos.

Nicht immer wieder von der Bank aufstehen, Händchen falten, Beten. Kein Zauber am Altar, kein Zinnober im Talar. Domprediger Abramzik hält nichts vom Tanz um den heiligen Geist. Er plaudert lieber vom Gleichnis des barmherzigen Samariters. Da liegt einer ausgeraubt und zusammengeschlagen am Straßenrand. Priester und Levit gehen naserümpfend an dem Haufen Elend vorbei. Erst der Samariter verhält sich religiös, liebt seinen Nächsten wie sich selbst, salbt ihn, pflegt ihn, führt ihn ins Gasthaus.

„Auch bei uns liegen ja genug Halbtote auf den Straßen“, aktualisiert Abramzik das Gleichnis. Aber die Frage, was Nächstenliebe im Drogenviertel bedeuten würde, erspart er sich und der Gemeinde. Viel zu kompliziert für die vielen jungen KonfirmantInnen im Kirchenschiff.

Für sie hat er sich was kindsgemäßes ausgedacht: einer alten Frau in den Bus helfen, zum Beispiel. Das ist Konfirmationsunterricht am Sonntag: „Gehe hin und tue desgleichen“ sagt Jesus dem Schriftgelehrten im Gleichnis. Will sagen, sagt Abramzik, Religiös ist nicht, wer Bibel liest und Sonntags immer Beten geht, wirklich religiös ist, wer alltags seine Augen zum Sehen benutzt. Und das bedeutet zunächst einmal langsamer werden. „Wer im Auto vorbei fährt, sieht nicht, was am Straßenrand liegt.“

Wie schön also, daß es den Fernseher gibt. Da kämpft Greenpeace schön langsam und zum Hingucken „gegen die Japaner“. Die schlachten nämlich Wale, und das ist gar nicht lieb. Wer wollte da nicht nicken. Tun denn auch alle KonfirmantInnen, KonfirmantInnen-Eltern und - verwandten. Auch Reinhard Metz, neben sich den Filius, nickt mit.

Damit die Gemeinde beim vielen Nicken nicht einnickt, gibts bei Prediger Abramzik statt großer Liturgie kleine Dramatik. Da wird die heldenhafte Nächstenliebe der Greenpeace-Leute schonmal an den „Südrand des Südpols“ verlegt. Das ist zwar geographischer Unsinn, aber eine schöne Entführung aus der nackten Welt der Tatsachen. Und die sucht der Mensch doch schließlich am Sonntag vormittag - hinter den kühlen Kirchenfenstern des Osterdeichs, wenns partout nicht näher geht, aber auch am Südrand des Südpols.

Dirk Asendorpf