: UdSSR-Konversion: Kühlschränke oder High-Tech?
■ Messe der sowjetischen Rüstungsbetriebe in München / Bis 1995 sollen die Rüstungsbetriebe 60 Prozent zivile Güter herstellen
Wenn nach einem erfolgreichen Abschluß der Wiener Verhandlungen über konventionelle Streitkräfte die ersten US -Truppen ihre Stationierungsorte räumen, wird so manche bundesdeutsche Kommune vor dem Problem stehen, was sie mit den Liegenschaften macht und wo sie die Zivilbeschäftigten unterbringt. So mancher Rüstungsindustrielle jammert schon jetzt, daß Panzer und Kanonen in Zukunft nicht mehr so leicht abzusetzen sind. Programme zur Rüstungskonversion, also der Umstellung militärisch genutzter Anlagen und der Rüstungsindustrie auf zivile Nutzung beziehungsweise auf zivile Produktion, liegen allenfalls in den Schubladen. In Angriff genommen werden sie in der Bundesrepublik bis jetzt noch nicht. Anders in der Sowjetunion. Den sowjetischen Rüstungsfirmen wurde ein Chrashprogramm zur verstärkten Herstellung von Zivilgütern verordnet. Das Ende 1989 verabschiedete Staatliche Konversionsprogramm für die Rüstungsindustrie sieht vor, daß bis 1995 60 Prozent des Produktionsausstoßes der Rüstungsindustrie für den zivilen Bereich bestimmt sein sollen.
Daß die Konversion in der UdSSR auf vollen Touren läuft, davon konnte man sich bei der Messe Conversion '90 in München überzeugen. Noch bis morgen abend zeigen auf dem Messegelände rund 300 Rüstungsbetriebe, daß sie statt Panzer, Kampfschiffen und Bombern auch anderes produzieren können. Die erste Ausstellung dieser Art, eine „Weltpremiere“ wie die Münchener Messegesellschaft stolz verkündete, dient den Sowjets vor allem dazu, unter Beweis zu stellen, daß sie es mit der Konversion ernst meinen. Der Großteil der ausstellenden Betriebe sind Unternehmen der Luft-, Raumfahrt- und Schiffbauindustrie.
Das Ministerium für allgemeinen Maschinenbau versucht Kunden für ihre Trägerraketen zu werben: „Sowjetische kommerzielle Raumfahrtträger bringen Ihre Nutzlast auf jede gewünschte Umlaufbahn. Sowjetische Trägerraketen bewiesen sich als zuverlässig, preisgünstig und vielseitig.“ (siehe auch taz vom 20.April)
Bei aller Euphorie, in die man beim Studium der sowjetischen Konversionspläne verfallen mag, dürfen jedoch nicht die erheblichen Probleme übersehen werden, vor denen die Rüstungsbetriebe in der UdSSR durch die Produktionsumwandlung gestellt werden. Von einigen sowjetischen Wissenschaftlern wird bemängelt, daß das Konversionsprogramm zu überstürzt umgesetzt wird und daß es nicht auf die einzelnen Betriebe abgestimmt ist. In der sowjetischen Zeitschrift 'Neue Zeit‘ heißt es dazu in einem Artikel vom Februar diesen Jahres: „Wenn überhaupt eine Strategie der Konversion existiert, dann nur in allgemeinen Zügen, ohne auf die Spezifik der betroffenen Betriebe einzugehen.“
Zu einzelnen Produktionsstillegungen ist es gekommen, weil kurzfristig Rüstungsaufträge zurückgezogen wurden. Zumal fällt die Konversion mit dem Übergang zur Selbstfinanzierung und wirtschaftlichen Rechnungsführung zusammen. Hans-Henning Schröder vom Kölner Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien (BIOst) schreibt dazu in einer Ende letzten Jahres publizierten Studie: „Es geht nicht allein darum, die vorhandenen Anlagen technisch umzustellen, es müssen neue Produkte ausgewählt, die entsprechenden Lieferungs- und Absatznetze aufgebaut werden, Finanzmittel sind zu beschaffen, wenn die Zahlungen aus den Beschaffungsprogrammen des Verteidigungsministeriums fortfallen.“
Wenn die sowjetische Führung auch unter dem Druck der Bevölkerung steht, deren Nachfrage nach Konsumgütern zu befriedigen, so ist es nicht unproblematisch, wenn Betriebe, die früher Raketen herstellten, nun Kinderwagen und Waschmaschinen produzieren sollen. „Kein logisches Muster“ kann darin der Berliner Friedensforscher Ulrich Albrecht sehen. Er befürchtete in einem Rundfunkbeitrag im September vergangenen Jahres, daß „zumindest ein Teil dieser Umstellungsprojekte in wirtschaftlichen Fehlschlägen endet“. Die BIOst-Studie zitiert sowjetische Kritiker, die es für sinnvoller halten, den Rüstungssektor als zivile High-Tech -Schmiede zu nutzen. Priorität des laufenden Konversionsplans ist demhingegen die Produktion von Konsumgütern und Ausrüstungen für die Nahrungsmittelindustrie und Landwirtschaft - alles Dinge des täglichen Bedarfs, bei denen in der Vergangenheit der Mangel besonders spürbar war. Dabei wird allerdings auf die Produktionsvorteile der hochtechnisierten Rüstungsindustrie des Landes verzichtet. Aber was nutzt es, wenn die Rüstungsbetriebe vermehrt Zivilgüter produzieren, die um ein Vielfaches teurer sind als von rein zivilen Unternehmen? Bisher brauchten die Rüstungsunternehmern keine Rücksicht auf die Kosten zu nehmen, stets bekamen sie als erste die Rohstoffe und Vorprodukte. Mit der Umwandlung auf zivile Produktion müssen sie nun ohne diese Privilegien wirtschaften. Wenn die militärisch-zivielen Produktionsstätten ihre zivilen Güter auf dem Markt aber nicht loswerden, weil sie zu teuer sind, kann dies schnell zu einem Scheitern der Konversionspläne führen. Als unumgänglich sieht deshalb Hans-Henning Schröder eine durchgreifende Preisreform in der UdSSR an.
Ob dem Konversionsprozeß in der Sowjetunion ein Erfolg beschieden sein wird, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht gesagt werden. Die Umstellung wird erst in diesem Jahr voll anlaufen. „Ziel ist es, rund 420 Unternehmen der Verteidigungsindustrie auf zivile Produktion umzustellen“, heißt es in einem bei der Conversion '90 verteilten Papier des Mitglieds der Kommission zur Förderung der Konversion, Anatoli Porochowski. In diesem Jahr sollen 100 Betriebe „voll umgerüstet“ werden. Ob diese Betriebe aber dann ausschließlich für den zivilen Bereich produzieren werden, ist unklar. Ohnehin muß berücksichtigt werden, daß die Rüstungsfirmen schon immer auch für den zivilen Sektor produzierten: Sie stellten sämtliche Fernsehgeräte und Nähmaschinen, über 97 Prozent der Kühlschränke, etwa 70 Prozent der Staubsauger und Waschmaschinen und mehr als die Hälfte aller Motorräder her. Gegenwärtig soll das Verhältnis von ziviler zu militärischer Produktion der Rüstungsbetriebe bei 40 zu 60 Prozent liegen. Wie Leonid Breschnew beim XXIV. Parteitag der KPdSU 1971 ausführte, lag indes der Anteil schon damals bei 42 Prozent ziviler Güter.
Im kommenden Jahr soll das Verhältnis 50:50 betragen. Bei der Messe in München erhielt man keine Auskunft darüber, warum weitere vier Jahre benötigt werden, um diese Quote bis 1995 um zusätzliche zehn Prozent zu erhöhen. Möglich ist, daß erst die „Pilotphase“ des Konversionsprogramms ausgewertet werden soll, bevor der zivile Produktionsbereich weiter ausgebaut wird. Dazu kommt, daß die Umstellung im Anfangsstadium erst einmal immense Investitionen erforderlich macht, bevor sie sich auszahlt.
Damit die Rüstungskonversion in der Sowjetunion zu einem Erfolg wird, ist es für die betreffenden Betriebe wichtig, ihre Produkte auf dem internationalen Markt absetzen zu können und finanzkräftige Partner für Joint-ventures zu finden. Das Interesse von bundesdeutschen Unternehmen an konkreten Projekten war bei der Conversion '90 zumindest in den ersten drei Messetagen jedoch gering. Lediglich rund 50, vorwiegend mittelständische Unternehmen füllten bis Sonntag abend einen Zettel der sowjetischen Industrie- und Handelskammer aus, mit dem sie ihr Interesse an näheren Gesprächen zeigten. Dabei könnten sicherlich einige der ausgestellten Produkte, etwa aus dem medizinischen Bereich, auch auf dem internationalen Markt bestehen.
Ein paar harte West-Devisen nimmt aber auf alle Fälle der sowjetische Friedensfonds mit nach Hause: Für 20 D-Mark konnte man vom Friedensfonds Splitter der vernichteten SS-12 -Kurzstreckenrakete kaufen. Wer tiefer in die Tasche greifen wollte, konnte für stolze 1.000 D-Mark einen größeren Splitter der SS-20 erstehen - mit Echtheitszertifikat.
Marc Fritzler
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