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Auschwitz als Fundgrube

■ „Abrahams Gold“ - ein Vergangenheitsbewältigungsfilm von Jörg Graser

Eigentlich heißt er gar nicht Karl. Irgendwann kramt seine alte Mutter den zerfledderten Pappkarton hinter der Bettwäsche hervor und stellt sie ihm wortlos auf den Küchentisch. Dort finden sich vergilbte Familienfotos, vom jüdischen Vater mit Hut und Locken, von der schönen jüdischen Mutter und von Karl alias David. Nachname Sternenmeer - für die, denen David allein noch nicht deutlich genug ist. Seine Mutter ist gar nicht seine Mutter, sie war Dienstmagd bei den Sternenmeers. Als die Gestapo kam, rettete sie den Säugling David, indem sie behauptete, es sei ihr eigener kleiner Karl. Vierzig Jahre lang hat sie kein Wort darüber verloren. Aber jetzt ist es raus.

Karl ist erschüttert. Hat er doch gerade mit seinem Kumpel, dem Dorfwirt Hunziger (wir sind in Bayern), in Auschwitz eine Kiste mit Goldzähnen ausgebuddelt. Hunziger war nämlich KZ-Wächter und hat damals den Leichen die Goldzähne herausgebrochen, damit er sich jetzt, vierzig Jahre danach, endlich einen Mercedes kaufen kann, „200er Diesel mit Colorverglasung und Zentralverriegelung“. Karl also, zurück aus Auschwitz und nachträglich zum Juden geworden, ist erschüttert. Musik setzt ein, Bach und Spätromantisches, klingt jedenfalls tragisch; ganz passend zur Betroffenheit regnet es jetzt auch noch, die Tropfen rinnen Karl übers Gesicht und über das Foto seiner schönen jüdischen Mutter was uns und dem Filmemacher das Problem erspart, daß Männer ja nach wie vor zu selten weinen, als daß sich so etwas ohne weiteres für die Leinwand inszenieren ließe. Ein Detail nur, ein zwei Minuten aus „Abrahams Gold“. Aber sie sind Symptom: Denn die Unfähigkeit, das Drama zu inszenieren, korrespondiert mit der Detailgenauigkeit, als es um den Traum vom Mercedes geht.

Karls Tragödie - eben noch hat er Hunzigers Auschwitz -Geschwätz zugeprostet, nun bekennt er sich offen als Jude findet aber bis auf den Tränen-Regen und eine Szene auf dem Polizei-Revier („für Nationalsozialismus sind wir nicht zuständig“) nicht nur nicht statt, sondern sie ist nur ein Drama unter vielen. Der alte Hunziger hat nämlich eine ausgeflippte Tochter, Barbara, (Hanna Schygulla), die wiederum ihre Tochter, das brave Annamirl, dem Opa überließ. Barbara kehrt überraschend für ein paar Wochen ins Dorf zurück, fetzt sich mit Hunziger, und läßt sich vom Annamirl als Schlampe beschimpfen. Das Annamirl soll auf Geheiß vom Opa den Karl als Vergewaltiger denunzieren, aber sie hängt sich in Panik auf. Womit das Mutter-Tocher-Problem sich ebenfalls erübrigt hätte.

Nach Heimat und Herbstmilch, nach Filmen wie Nico Hoffmanns Land der Väter, Land der Söhne scheint die deutsche Vergangenheitsbewältigung nun in eine neue Phase getreten zu sein: Die Nazi-Zeit, ihre Folgen und Spätfolgen werden von der zweiten Generation als bloßes Themenreservoir ausgeschlachtet, aus Geschichtsbüchern und Dokumenten zur vermeintlichen Kinokunst gehoben - wie die modrige Kiste mit den Goldzähnen aus dem Sumpf bei Auschwitz. Da wird kein Konflikt verhandelt, keine Figur wird in ihrer Widersprüchlikeit vorgestellt. Was wir sehen, sind Typen: der Nazi, die Hippie-Frau, das brave Kind. Keine Geschichte wird erzählt, sondern ein Exempel statuiert. Und wo die story allzu lautstarkt holpert, wird satte Klassik drübergelegt - damit wir reagieren wie der Pawlowsche Hund: „Dies Irae“ aus dem off - und schon verlassen wir betroffen den Kinosaal.

Abrahams Gold hat keine Bayerische Filmförderung bekommen, keine Förderung von der FFA. Vermutlich nicht, weil es sich um einen schlechten Film handelt, sondern wegen der brisanten Thematik. Nur die Berliner Filmförderung hat dem Antrag stattgegeben. Anke Martiny ist immerhin so stolz auf ihre Verdienste um den kritischen Film, daß sie heute abend der feierlichen Premiere im Berliner Zoo-Palast beiwohnt. Ein Eigentor der Senatorin.

Christiane Peitz

Jörg Graser, Abrahams Gold, mit Hanna Schygulla und Robert Dietl, BRD 1990, 96 Min.

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