Fehlendes Rückgrat ist nicht zu ersetzen

Erster deutsch-deutscher Journalistentag im Berliner ICC / Nachhilfe, Ratschläge und praktische Tips für die KollegInnen aus dem Osten  ■  Aus Berlin Ute Thon

Über tausend JournalistInnen fanden sich am Mittwoch im Internationalen Congress Centrum in Berlin zum ersten deutsch-deutschen Journalistentag ein, zu dem der (West-) Deutsche Journalistenverband (DJV) geladen hatte. Viermal soviele DDR-JournalistInnen wie BRD-KollegInnen waren zum grenzüberschreitenden Informationsaustausch erschienen, um über Berufsfelder, Arbeitsbedingungen, Tarifverträge und betriebliche Mitbestimmungsmodelle bei Rundfunk und Presse zu reden.

In seinem Eröffnungsreferat würdigte Kurt Biedenkopf noch einmal das hohe Gut der Pressefreiheit, ohne das es keine freie Gesellschaft gebe. Die Journalisten selbst müßten diese Freiheit ausüben und den Willen zur Unabhängigkeit stets bewahren. Denn es sei Aufgabe der Presse, die Mächtigen des Staates zu kontrollieren. Dazu bedürfe es rechtlicher Grundlagen zur Sicherung der Pressefreiheit. Doch fehlendes Rückgrat könne nicht durch Gesetze ersetzt werden, ermahnte er die Zuhörer.

Biedenkopfs Nachhilfestunde in Sachen Pressefreiheit war charakteristisch für den Verlauf der ganzen Veranstaltung. Die DDR-JournalistInnen, unsicher und unerfahren im Aufbau einer unabhängigen Medienlandschaft, bekamen praktische Ratschläge. „Bei unserer Zeitung hat sich der Bauer-Verlag als Kooperationspartner angeboten. Wie sollen wir das einschätzen?“ fragte eine Journalistin aus Frankfurt/Oder.

Die erfahrenen Westkollegen klärten sie darüber auf, daß es sich bei jenem Verlag um ein sehr konservatives Haus handelt, das im Westen vorwiegend Frauenzeitschriften und Sexmagazine herausgibt. Als Allheilmittel gegen den fortschreitenden Verdrängungswettbewerb auf dem DDR -Pressemarkt empfahlen die DJV-Vertreter vor allem gewerkschaftliche Organisation. In verschiedenen Arbeitsgruppen wurden die Teilnehmer über westliche Regeln in Sachen Tarifvertragsverhandlungen, Rentenversorgung und Krankenversicherung aufgeklärt. Gleichzeitig wurde auch unumwunden um Mitgliedschaft im DJV geworben. Entsprechendes Informationsmaterial wurde den DDR-Kollegen gleich stapelweise offeriert.

Augenscheinlich war, daß die Vertreter der schreibenden Zunft aus der DDR wesentlich verunsicherter und resignierter in die Zukunft blickten als ihre KollegInnen aus den Funkhäusern. Die zentralistische Stuktur des DDR-Rundfunks hat es schneller möglich gemacht, daß sich dort nach der Wende Redakteurs- und Betriebsräte bildeten, die nun Redaktionsstatute ausarbeiten und mit Vehemenz die Mitbestimmung bei Reformdebatten fordern. Wie allerdings die DDR-Rundfunklandschaft in der Zukunft aussehen wird, darüber konnten auch die Veranstalter keine zuverlässige Prognose abgeben. Empfohlen wurde den DDR-Hörfunk- und Fernsehleuten die Errichtung eines föderalistischen Rundfunksystems nach BRD-Vorbild, gekoppelt mit dem Vorschlag, für die Etablierung konkurrenzfähiger öffentlich-rechtlicher Sender eine Schonfrist einzuführen, die private Anbieter erst einmal von dem Markt fernhält.

Die abschließende Podiumsdiskussion bewies noch einmal, daß die Veranstalter den deutsch-deutschen Gedankenaustausch eher einseitig betrachten. Die Chefredakteure des 'Neuen Deutschlands‘ und der 'Berliner Zeitung‘, Wolfgang Spickermann und Hans Eggert, saßen vier Westkollegen gegenüber, die larmoyant bis selbstgefällig noch einmal gute Ratschläge verteilten. Dieter Weirich, der Intendant der Deutschen Welle, meinte zu wissen, daß ein dritter „nationweiter“ öffentlich-rechtlicher DDR-Sender wirtschaftlich nicht vertretbar sei. Die beiden Zeitungsmacher fühlten sich in dieser Frage nicht kompetent. Am Ende geißelte Erich Böhme, Ex-'Spiegel'-Redakteur, unter großem Beifall noch mal die berühmte „Schere im Kopf“, und dann durften Ost- und Westjournalisten zum Buffet schreiten. Einigen DDR-Kol legen lag die Nachhilfestunde dann aber doch noch schwer im Magen.