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AUFGEREGTER TEUFEL

■ Marc Almond sang Lieder von Jacques Brel in der Passionskirche

Schon im Oktober schwirrten Gerüchte durch Hamburg, daß Marc Almond spielen würde. Einige klapperten die Reeperbahn auf der Suche nach verläßlicheren Informationen ab oder in der Hoffnung auf einen Geheimgig, wie bei Bowie letztes Jahr. Das war nun nicht besonders raffinierte Geheimniskrämerei der Veranstalter. Die Tournee hatte viermal verschoben werden müssen, weil Almonds Studiomusiker noch anderweitige Verpflichtungen hatten. Erst am 2. April erfuhren die Leute von Rough Trade Deutschland die definitiven Konzertdaten: am 23.4. sollte er in der „Familie Schmitt“, einem Plüschkabarett an der Reeperbahn, spielen, am 24. in Berlin und danach noch in Utrecht und Amsterdam. Da war es in Hamburg zumindest schon zu spät für Vorankündigungen im Veranstaltungsmagazin gewesen. Auch in Berlin gab es so gut wie keine Promotion. Nur ein ungeschickt gemaltes Pappschild an der Pforte der Passionskirche hatte verkündet, daß Marc Almond einen Jacques-Brel-Abend machen würde. Man war also mehr oder weniger auf Mundpropaganda angewiesen gewesen. Trotzdem war die Passionskirche am letzten Donnerstag ausverkauft, draußen sammelten sich lauschend die, die nicht mehr reingekommen waren, und drinnen klebten Fans an den Kirchenfenstern.

Pressekarten gab es keine. Die Veranstalter Sunrise, die die Tournee eher lustlos organisiert hatten und auf Anfrage nicht einmal die Namen der Mitspieler wußten, nur eben, daß der eine gerade noch mit Chris Rea auf Tournee war, hatten es nicht für nötig gehalten, welche bereitzustellen, und Rough Trade, das kleine Label, auf dem Almonds Brel-Platte erschienen ist, hatte seine Verschenkkarten selbst bezahlen müssen. Die gingen dann an die, von denen man dachte, daß sie wenig Geld hätten, und so war es wieder okay. Fotografieren war verboten, weil der kleine Engländer befürchtete, daß man ihn dabei ertappen könnte, wenn er gerade nicht schön wäre.

Marc Almond, der Anfang der 80er Jahre mit Tainted Love/Where did our Love go, die großartigste Dancefloor -Maxisingle-Zeit eingeläutet hatte, hat in zehn Jahren ungefähr 36 Cover-Versionen herausgebracht. Von Bataille kam er über Leo Ferre zu Brel, doch Ne me quitte pas hat er eigentlich immer gesungen. Irgendwann landete er bei EMI (und spätestens seit dem Sex-Pistols-Film wissen wir, daß EMI böse ist). EMI lieh ihn an Rough Trade nur für zwei Chansonplatten aus (die zweite soll im Sommer erscheinen) und verzögerte noch das Erscheinen der ersten, der Brel-LP. Zunächst sollte der Pop- oder Schlagerhimmel zusammen mit Gene Pitney gestürmt werden: The stars we are hieß die später produzierte Pop-Platte, die früher erschien. Schön ist das allemal. Doch eigentlich versucht Marc Almond, „soweit weg vom Pop wie irgend möglich zu kommen. It stinks! Konsumiert sich nur noch selbst. ...Pop erstickt ganz offensichtlich alles, was interessant an ihm sein könnte zugunsten eines allgemeinen Gleichklangs“ ('spex‘). Brel, so sagt er, sei sein eigentliches Ding.

Nur die guten Menschen kennen Lieder: die Becauds, Brels, Piafs dieser Erde, zu deren Leid man immer schon tanzen konnte, bei denen Obszönes sinnlich wurde, bei denen Herz und Schmerz sich nie reimen, sondern beieinanderliegen. Wenn es einmal zu spät geworden ist und keine U-Bahn mehr fährt, aber dann nur wie gute Freunde...

Im Mittelgang der Passionskirche, am Eingang hinter dem Mischpult steht Blixa Bargeld als Held der 80er Jahre, und vorne, ihm gegenüber, ungeschützt Marc Almond, der Prinz in purpurner Samthose. Auf einem Barhocker kann er sich ab und an mal ausruhen. Er bewegt sich wie ein nervöser Vogel, wie ein Engel aus der Kunstgeschichte. Manchmal spielt er als Einlage mit rotem Tuch den Torero, mit zwei Bewegungen, als Zitat, eher den, der aufgespießt wird, als den, der tötet.

Aufgeregt und begeistert, mit großer Theatergeste, singt er die Lieder Brels. Hinter ihm steht das Kreuz, ein paar Kerzen leuchten auf dem Altar. Blau schauen die Scheinwerfer auf die Bühne. Rot leuchten sie von hinten, wenn er vom Teufel singt, der auf die Erde kommt, um zu sehen, wie die Geschäfte gehen. Ein paar Rauchbomben explodieren. Er spielt es schneller, herausfordernder als auf Platte; offensichtlich weiß er, daß er sich in einer Kirche befindet, da gibt's nur Wein, da darf nicht geraucht werden, doch kaum einer hielt sich an die Anweisung des Christenordners. Außer Blixa. In die Kirche gehört der Teufel, und über diese kleine Blasphemie ist er so glücklich, daß er - wie alle kleinen Männer des Pop- und Mediengeschehens - als aufgeregter Teufel herumhüpft.

Wahrhaftig, wie er ist, gerät er nie in Gefahr, das männliche Pathos des Chansonniers zu wiederholen. So sind seine Versionen der Evergreens immer die Versuche dessen, der sich so sehr wünscht, es richtig zu machen; mit einer Vorstellung vom Lied, die sich mit jedem neuen Versuch wandelt. I hope I do it right this time.

Nie verfällt er in die arrogante Geste der Aneignung. Er identifiziert sich mit seinem Idol und wahrt gleichzeitig Distanz; er möchte so sehr jemand andres sein und weiß, daß er es nicht kann. So mischt und erhöht sich das Pathos des Jemandandersseinwollens mit dem pathetischen Lied des anderen in professionell unaufdringlichen Arrangements und in seiner Stimme, die er zurücknimmt, wie um abwartend den Sinn des Lieds zu finden.

Das Publikum verhält sich wie ein gutes Konzertpublikum: Stille während der Stücke, nie ein Klatschen an den falschen Stellen und standing ovations, wenn die Interpretation gelingt. Sehnsüchtig verschwindet If you go away, wiederholt als Zugabe, hallend in der Kirche. Keiner geht, wenn er schon gegangen ist, und dann kommt er wieder, um noch einmal von vorn anzufangen. I'm coming, singt er, was eigentlich den Tod meint, freundlich wissend jedoch betrügt er die Zuhörer und fügt „Berlin“ an. From chrysanthemens to chrysanthemens singt er und wirft weiße Chrysanthemen ins Publikum und verspricht, im Oktober wiederzukommen.

Detlef Kuhlbrodt

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