: Das Spiel, das nie anfing
Bayer Leverkusen - Bayern München 0:0 / Reaktionärer Zweckfußball im angeblichen Spitzenspiel ■ Aus Leverkusen Chr. Biermann
Um 15.30 Uhr blies Schiedsrichter Heitmann in seine Trillerpfeife, und alles schien wie sonst. 22 Spieler auf dem Platz, ein Ball und alles setzte sich in Bewegung. Aber bald wurde es merkwürdig und dann konturierte sich immer deutlicher der Eindruck, daß hier etwas nicht mit rechten Dingen zuging. Es passierte nichts, d.h. natürlich passierte etwas, die Spieler saßen nicht einfach nur im Gras, sie liefen sogar hin und her, spielten sich den Ball zu und schwitzten. Es sah aus wie ein Fußballspiel, war aber keins. Das Gesetz des Spiels wurde verletzt, ohne viel gegen die Regeln zu verstoßen: Beide Teams wollten überhaupt nicht gewinnen, sie wollten nur nicht verlieren. Das war das Spiel, das nie anfing.
„Kein gutes Spiel“ hatte Bayerns Meistermacher Jupp Heynckes gesehen, und Leverkusens Jürgen Gelsdorf tat sogar Abbitte: „Ich möchte mich bei den Leverkusener Zuschauern entschuldigen, man kann das kritisieren, aber wir haben im Hinterkopf gehabt, heute noch einen Punkt zu holen, um sicher für den UEFA-Cup qualifiziert zu sein.“ Diese Entschuldigung ist zwar nett, aber das hätte man den 27.000 Zuschauern doch vorher sagen können. Man hätte einfach fernmündlich die Punkte geteilt und vieltausendfache Lebenszeit wäre unverschwendet geblieben. Rasenmähen, Autowaschen oder einfach in die Sonne blinzeln, was hätte man nicht alles anfangen können mit diesem Nachmittag.
Die interessanten Situationen in diesem Spitzenspiel könnte man ebenfalls leicht auf dem Platz einer Briefmarke zusammenfassen. Radmilo Mihajlovic schoß zweimal aufs Tor von Leverkusen und rechtfertigte damit seinen Einsatz. Will Bayern den Jugoslawen nach seiner desolaten Saison doch zu teurem Geld wieder verkaufen - das Bundesligaspiel als Verkaufssalon. Einmal stocherte die Bayern-Abwehr einen indirekten Freistoß aus dem Strafraum und schlußendlich war da noch Christian Schreier. Nach wochenlanger Verletzungspause kam er unter großem Jubel auf den Platz und hatte kurz darauf die Chance zum Siegtor. Als der Ball aber einmal so richtig schön vor ihm lag, überfiel auch ihn das große Dösen und schon war alles vorbei.
In solchen Momenten hatte das Spiel wenigstens noch eine zarte Glasur von Charme wie auch, als ein geistesabwesender herumtaumelnder Roland Grahammer den Ball aus 30 Metern Entfernung unbedrängt zurückspielte und damit eine Ecke verursachte. Nur diese menschlichen Fehler relativierten den reaktionären Zweckfußball etwas. Von Flair, Glanz und Zauber konnte bei diesem angeblichen Spitzenspiel des deutschen Fußballs sowieso keine Rede sein.
Erstaunlicherweise wurden die Bayern nach dem Schlußpfiff sogar noch von ihren Fans gefeiert. Sie warfen ihre Trikots in die Menge, die singend und jubilierend dankte. Diese Fans müssen den Bezug zur Schönheit des Spiels völlig verloren haben. Aber diesen Geächteten des Alltags, die sich rotbäckig nach dem Spiel ins Münsterland oder die Alpen zurücktrollten, ist sie wohl auch egal - Bayern München macht schließlich möglich, daß auch sie einmal Deutscher Meister werden.
LEVERKUSEN: Vollborn - Hörster - Kree, Seckler - Fischer, Feinbier (66. Schreier), Jorginho, Buncol, Knut Reinhardt Lesniak (76. Demandt), Thom.
MÜNCHEN: Aumann - Reuter - Kohler, Grahammer Strunz, Thon, Dorfner (84. Flick), Kögl (67. Bender), Pflügler Mihajlovic, McInally.
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