Vorwärts in die Vergangenheit

Nach den Wahlen in Kroatien ist die nationalistische Rechte stärkste Kraft / Nationale Träume und die Furcht vor serbischer Übermacht bestimmten das Wahlverhalten  ■  Aus Zagreb D.Melic/R.Miculic

Gerade vier Monate ist es her, seit die kroatischen Kommunisten einen radikalen Kurswechsel durchführten, ihr Machtmonopol aufgaben und die bis dato politisch ruhiggestellte Republik in einen plötzlichen Wahlkampf stürzten. Die deutlich spürbare Erleichterung wich schon bald einer nationalen Kampfstimmung. Zu lange hatte man in Kroatien geschwiegen angesichts des nationalbolschewistischen Kurses von Slobodan Milosevic in Serbien. Milosevic hatte Bundesinstitutionen, wie Polizei, Armee und Partei, für seine offen chauvinistische Politik gegenüber den Albanern im Kosovo mißbraucht, und hatte die Antiinflationspolitik der Bundesregierung durch kräftige Lohnerhöhungen in serbischen Betrieben sabotiert. Ganz offensichtlich versuchte er, die serbischen Minderheiten in den anderen Republiken zu instrumentalisieren und die Situation im Vielvölkerstaat eskalieren zu lassen.

Schon der Wahlkampf war bestimmt von den Attacken gegen Belgrad. Selbst in liberalen Kreisen Zagrebs ließ sich kein Gespräch führen, in dem nicht irgendwann mit Hinweis auf die Überrepräsentanz der Serben in Armee, Polizei und Partei das Schreckgespenst einer serbischen Gewaltherrschaft gezeichnet wurde. Aus kroatischer Sicht besteht ein fataler Zusammenhang von Kommunismus und Serbentum. Alle Hemmnisse auf den Weg zur politischen und wirtschaftlichen Umgestaltung des bankrotten Systems und zur Entfaltung der eigenen Kultur scheinen im serbischen Hegemoniestreben begründet. Jahrhundertealte Vorurteile mischen sich mit den tatsächlichen Auswüchsen des neuen serbischen Nationalismus. Die ersten freien Wahlen wurden fast zwangsläufig zum Waffengang. Man rüstet auf zum Kampf gegen Serbien.

„Wir brauchen jemanden, der hart ist, der genauso unverschämt ist wie Milosevic“, hieß es vielerorts in Kroatien. In dem Ex-General und Historiker Franjo Tudjman scheint man ihn gefunden zu haben. Die von ihm allein geführte „Kroatisch-Demokratische Gemeinschaft“ (HDZ), deren Kandidaten den „Kroatisch-Demokratischen Block“ fast vollständig ausmachen, ist binnen weniger Monate zur stärksten politischen Kraft in Kroatien geworden. Über 200.000 Mitglieder soll sie zählen, und dank finanzieller und personeller Unterstützung durch die kroatische Emigration ist sie als einzige der Oppositionsparteien bis ins letzte kroatische Dorf hinein organisiert.

Das Programm der HDZ ist so kurz wie nichtssagend: es ist „kroatisch“. Die „kroatische“ Wirtschaft und Verwaltung muß „kroatisiert“ werden. „Kroatisches“ Geld muß in Kroatien bleiben. Reiche „kroatische“ Emigranten werden den Wiederaufbau der „kroatischen“ Wirtschaft finanzieren. Die serbische Minderheit in Kroatien (circa 15 Prozent) muß sich zu Kroatien bekennen, und die Abtreibung abgeschafft werden, damit es wieder „kroatische“ Kinder gibt. Gegenüber der HDZ nehmen sich die hiesigen Republikaner geradezu modern aus. Auch wenn dieser Massenbewegung noch ein politischer Differenzierungsprozeß bevorsteht - sie ist vor allem revanchistisch. Mit Tudjman wählt man mehr als einen Anti -Milosevic.

Nicht zufällig ist Tudjman Historiker, und zwar von recht grobem Zuschnitt. Einen Namen machte er sich in den 70er Jahren mit dem Versuch, das kommunistische Geschichtsbild über die Verbrechen der kroatischen Faschisten während des Zweiten Weltkrieges zu revidieren - wofür er auch prompt ins Gefängnis geworfen wurde. Tatsächlich sind die offiziellen Zahlen maßlos übertrieben, vor allem was das berüchtigte Konzentrationslager Jasenovac anbelangt.

Aber der Eifer, mit dem Tudjman die Zahl der damals im wahrsten Sinne abgeschlachteten Serben herunterrechnen will, daß sein neuestes Buch und seine Wahlkampfreden gespickt sind mit antisemitischen Äußerungen, daß er gar den einstigen Ustascha-Staat von Hitlers Gnaden als „Ausdruck des berechtigten Wunsches nach einem kroatischen Staat“ bezeichnet - all das ist nur aus einer tiefsitzenden Kränkung zu erklären. Der kroatische Nationalismus hat es nie verwinden können, daß es die „mitteleuropäischen“ Kroaten im Gegensatz zu den „byzantinischen“ Serben nicht zu einem eigenen Staat gebracht haben, sondern jahrhundertelang von Österreichern, Italienern und Ungarn und im ersten Jugoslawien von den Serben dominiert wurden. Während der deutschen Okkupationszeit entlud sich dann der kroatische Nationalismus auf so brutale Art, daß es selbst den deutschen Wehrmachtsoffizieren grauste.

Dieser Hang zur Unberechenbarkeit findet sich auch bei Tudjman und seiner HDZ. In Istrien forderte Tudjman Gegendemonstranten auf, aus Kroatien zu verschwinden. Kritischen Journalisten drohte man siegesgewiß mit Entlassung, und die Wahlen sollten zum „Begräbnis“ der Kommunisten werden. Schlimmer noch ist Tudjmans Lavieren in der Frage der Grenzen des „neuen Kroatiens“. Seine glühendsten Anhänger leben nämlich in der Republik Bosnien -Herzogowina, und die soll sich seiner Meinung nach zumindest eng an Kroatien anlehnen. Für die dort lebenden Serben (circa 33 Prozent) ist das völlig unannehmbar, und auch die bosnischen Muslims (circa 45 Prozent) dürften solchen Perspektiven widersprechen, nachdem in HDZ-Kreisen wiederholt die These der kroatischen Faschisten vertreten wurde, die Muslims seien eigentlich islamisierte Kroaten.

Politische Flexibilität und taktisches Geschick kann man dem seinerzeit jüngsten General Titos nicht vollständig absprechen, aber in eine zivile Rechte wird sich die HDZ wohl nicht verwandeln. Hatte man bisher in Kroatien nur Angst vor dem serbischen Neostalinismus a la Milosevic, so kommt nun die Angst vor einem kroatischen Protofaschismus a la Tudjman hinzu. Und diese Angst geht weit über kommunistische und serbische Kreise hinaus.

Die „Koalicija“, ein gegen Tudjman und die Kommunisten gebildetes Wahlbündnis von Sozialliberalen, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Kleinstparteien, ist diese Angst nicht zugute gekommen. Geradezu vernichtend wurde der demokratischste der drei großen Wahlblöcke ausgezählt. Dadurch daß sie die alte, 1971 von Tito geschaßte Parteiführung des „Kroatischen Frühlings“ (vor allem die noch immer populäre Savka Dabcevic-Kuncar) für sich gewinnen konnte, stellte sie ihre Forderung nach mehr Eigenstaatlichkeit für Kroatien geradezu symbolisch in einen jugoslawischen Nachkriegskontext.

Wenn überhaupt während der letzten vier Monate bei den Wahlkämpfern Nachdenklichkeit zu finden war, dann in den Reihen der „Koalicija“. Ihr Nachdenken über die Demokratisierung, der die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit, die Sanierung der Wirtschaft, das künftige Verhältnis zu Jugoslawien und Europa, die Mischung von Sachkompetenz und kroatischem Selbstgefühl erwies sich aber nicht als Erfolgsrezept. In der Polarisierung der letzten Wochen, für und gegen Tudjman, kamen die differenzierten Argumente unter die Räder.

Von den Heißspornen der HDZ als „kroatische Verräter“ sabotiert, stellte sich der Koalicija auch immer prekärer die Koalitionsfrage für den zweiten Wahlgang. Zu heretogen ist das Wahlbündnis zwischen sozialliberalen Intellektuellen, darunter viele aus der ehemaligen „Neuen Linken“, eher konservativen Christdemokraten und Nationalisten, die sich mehr persönlich als ideologisch mit Tudjman überworfen hatten, als daß es die nächsten Tage überstehen wird. Zumindest die nationalistischen Teile werden sich mit Tudjman verbünden.

„Ihr habt die Wahl zwischen dem Kroatien vor 1945, dem Kroatien von 1971 und dem Kroatien der Zukunft“, lautete die griffige Wahlkampf-Parole der Kommunisten. Aber was sich da seit Dezember als „Partei der demokratischen Erneuerung“ geniert, ist bisher nicht mehr als ein Kuckucksei des alten Systems, aus dem wohl kaum eine demokratische Linke schlüpfen wird. Bis vor einem halben Jahr zählten die kroatischen Kommunisten zu den treuesten Bewahrern des titoistischen Systems. Erst als diese Haltung durch die Entwicklungen innerhalb und außerhalb Jugoslawiens unmöglich wurde, putschte die zweite Reihe gegenüber der erstarrten Führung und stürzte Kroatien völlig unvorbereitet in einen „demokratischen Frühling“, der prompt zum „nationalistischen“ wurde.

Seither hat die Partei keine weiteren Schritte zur Demokratisierung der Institutionen oder zur Klärung der banalsten verfassungsrechtlichen Fragen (in Bezug zu Jugoslawien zum Beispiel) unternommen. Man weiß nicht, ob es die Unkenntnis der Kommunisten über die rechtliche Verfaßtheit ihres eigenen Systems ist, oder die Unfähgkeit zur Mehrheitsbildung innerhalb der Partei, aber konkrete Aussagen zum weiteren gesellschaftlichen Umbruch sind von der Partei, die bisher alles allein entschied, nicht zu erhalten. Mit umso mehr Elan warf sich die junge Parteiführung um Racsan in den Wahlkampf. Die Kandidatenliste wurde mit viel Medienprominenz aufgepeppt, und auf Wahlplakaten verkaufte man den Bruch mit der reformfeindichen Bundespartei als den „Tag, an dem Kroatien seine Ehre wiedererlangte“.

Betont zivil in der Form, skrupellos im Ausnutzen der Vorteile einer Staatspartei und geschickt in der Gewinnung von Anti-HDZ-Wählern ist es der neuen Führung gelungen, die nach dem Kurswechsel stark angeschlagene Partei wieder zu konsolidieren. Dabei kam ihr auch der Meinungswandel innerhalb der in der Partei stark überrepräsentierten sorbischen Minderheit zu Hilfe, die zunächst offen gegen den Reformkurs opponierte, sich aber dann doch nicht vor den großserbischen Karren Milosevics spannen lassen wollte.

Das Wahlergebnis für die Kommunisten ist eindeutig zu hoch ausgefallen. Bei einer Normalisierung der politischen Situation würden sie gehörig abspecken. Die heterogene Zusammensetzung ihrer Wählermassen aus nomenklatura, Anti -HDZ-Wählern und Serben ermöglicht der Parteiführung ein geradezu willkürliches Handeln, und erschwert die Entwicklung zu einer demokratischen Linkspartei.

Man wird auch den politischen Klärungsprozeß innerhalb der HDZ abwarten müssen. In ihrer jetzigen, volkstümelnden Art ist sie schlicht nicht politikfähig. Aber schon jetzt zeichnet sich ab, daß der kroatische Wahlausgang, anders als der slowenische, Jugoslawiens Entwicklung zur Demokratie mehr behindern als fördern wird. Die autoritären Optionen, Nationalisten wie Kommunisten, sind so stark geworden, daß es kaum zu einer Regierungsbildung kommen wird, die den Demokratisierungsprozeß voranbringt.

Durch den plötzlichen Umbruch ist beim Wähler der Eindruck entstanden, nun stehe alles zur Disposition. Dabei ist kaum eine Voraussetzung geklärt: weder die Kompetenzen des neuen Parlaments, einer neuen demokratischen Regierung, noch ihr Verhältnis zu Jugoslawien oder den anderen Teilrepubliken. Eine Regierung der nationalistischen Rechten würde unweigerlich die politischen Gewichtungen von der Reformpolitik auf die nationale Frontstellung innerhalb Jugoslawiens verlagern.

Die Kommunisten wären stark genug, eine solche Regierung auch ohne direktes Eingreifen der Armee auf undemokratische Weise zu sabotieren, und sie könnten dabei das moralische Recht der Sicherung des innerjugoslawischen Friedens in Anspruch nehmen. Man kann nur hoffen, daß in Jugoslawien wieder einmal heißer gekocht, als gegessen wird.