: Der ominöse Schwundfaktor „Z“
Bei der Wiederaufarbeitung bundesdeutschen Atommülls können unbekannte Mengen Plutonium verschwinden / Greenpeace ließ geheime Musterverträge analysieren / Kein Einspruch von Töpfer ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Bei der Wiederaufarbeitung abgebrannter Brennelemente aus bundesdeutschen Atommeilern im Ausland können unbekannte Mengen Plutonium und Uran unbemerkt verschwinden. Das ergibt sich aus den sogenannten „Musterverträgen“, die nach der Absegnung durch Bundesreaktorminister Töpfer im Februar nun als Vorlage für die Vereinbarungen zwischen den deutschen AKW-Betreibern und den Wiederaufarbeitern in Sellafield und La Hague die nen.
Nach einer Analyse des Physikers Helmut Hirsch (Gruppe Ökologie, Hannover) für die Umweltorganisation Greenpeace werden in den geheimen Verträgen keine Angaben darüber gemacht, wie hoch insbesondere der Plutoniumverlust während des Wiederaufarbeitungsprozesses anzusetzen ist.
Ein ominöser Faktor „Z“, dessen Größe in den französischen Musterverträgen nicht angegeben ist und der in den britischen Verträgen gar nicht auftaucht, bestimmt die Differenz zwischen den in den abgebrannten Brennelementen angelieferten Plutoniummengen und dem an die Kunden zurückgeschickten reinen Plutonium. Hirsch nennt es „beunruhigend“, daß keiner der Wiederaufarbeiter bereit sei, sich bezüglich der Plutoniumverluste festzulegen. Insbesondere müßte die französische Cogema nach 15jähriger Betriebserfahrung mit der Wiederaufarbeitung von Brennelementen aus Leichtwasserreaktoren eigentlich genaue Angaben machen kön nen. Hirsch: „Entweder sie können nicht oder sie wollen nicht.“
Bei Cogema dürfen die Analysen des Bombenstoffs in den sogenannten Auflöserlösungen (nach der chemischen Lösung der abgebrannten Brennelemente in hochkonzentrierten Säuren) um 0,7 Prozent, bei British Nuclear Fuel (BNF) gar um 1,4 Prozent streuen. Damit werde die von Kritikern stets befürchtete „Bilanzungenauigkeit“ von etwa plus/ minus 1 Prozent in Sellafield noch übertroffen.
Analyseungenauigkeiten dieser Größenordnung machen es nahezu unmöglich, ein heimliches Abzweigen des Bombenstoffs Plutonium überhaupt zu bemerken. Zwar unterliegen die WAAs in Frankreich der sogenannten Safeguards-Kontrolle der internationalen Atomenergiebehörde in Wien (IAEA). Deren Meßgenauigkeit ist offensichtlich auch nicht größer als die der Betreiber.
Nach den Musterverträgen, deren erster Anfang der Woche zwischen dem AKW-Lingen-Betreiber Vereingte Elektrizitätswerke Westfalen (VEW) und BNF unterzeichnet worden war, ist es außerdem möglich, daß nicht jenes Plutonium und Uran an die Kunden zurückgeliefert wird, das in den bundesdeutschen Brennelementen enthalten war. Cogema und BNF bleibt es also überlassen, deutsche Kernbrennstoffe in die nationalen Atomwaffenkreisläufe einzubringen und statt dessen andere Plutonium- und Uranchargen zurückzusenden.
Der Hannoveraner Physiker nannte es nach der Durchsicht der Verträge „überraschend“, daß derartige Unwägbarkeiten von den bundesdeutschen Stromkon zernen und dem Bundesumweltmi nisterium akzeptiert worden seien.
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