: Wie standhaft bleibt der Hugenotte?
■ Die Nato-Mitgliedschaft eines vereinigten Deutschlands bei den Moskauer Gesprächen
Während die BRD-Regierung und ihre Verbündeten stoisch an der Nato-Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland festhalten, wird die Position der Sowjetunion immer brüchiger und in sich widersprüchlicher. De Maiziere sieht sich bei seinem Besuch in Moskau jetzt mit dem Vorschlag konfrontiert, das künftige Deutschland solle übergangsweise beiden Paktsystemen angehören. Die groteske Perspektive, nach der im vereinten Deutschland die militärischen Planungen sich gegenseitig aufheben und die Politiker von der Sitzung des einen Paktsystems zu der des anderen eilen, um die soeben gefassten Beschlüsse zu durchkreuzen, kann eigentlich nur jeden Friedensfreund begeistern. Dies wäre in der Tat ein Beitrag, die deutschen Truppen „kriegsführungsunfähig“ zu machen, wie es Eppelmann gegenüber Stoltenberg gefordert hat.
Schewardnadzes Vorschlag demonstriert eigentlich nur die vollständige Obsoletheit der Paktsysteme. Wenn die DDR -Regierung tatsächlich die Beharrlichkeit aufbrächte, eine Nato-Mitgliedschaft des geeinten Deutschlands von vorhergehenden einschneidenden Abrüstungsmaßnahmen der BRD und der Übernahme einer strikt defensiven Militärdoktrin abhängig zu machen, wie es Außenminister Meckel gefordet hat, dann wäre die Nato-Mitgliedschaft Deutschlands tatsächlich ein Element der Blockauflösung. Dann ginge es eben nur darum, Zeit zu gewinnen für die „Synchronisierung“ der unterschiedlichen Geschwindigkeiten, mit der die Prozesse der deutschen Einheit und des Aufbaus eines europäischen Sicherheitssystems ablaufen. Aber gerade an dieser Beharrlichkeit sind Zweifel angebracht. Wird sich die DDR-Regierung gegenüber einer Nato behaupten, die bis jetzt jeden wirklichen Schritt der Überleitung der Pakte in ein neues kollektives Sicherheitssystem ablehnt? Wie wird sie sich gegenüber einem Nato-Generalsekretär verhalten, der die militärische Integration der Nato-Armeen auch in Zukunft für unverzichtbar hält? Die Nato-Frage ist in der Regierungserklärung de Maizieres ausgespart geblieben, während die Koalitionsverhandlungen entschiedene Schritte der Abrüstung und hin zu neuen Institutionen der kollektiven Sicherheit voraussetzen. Meckel sagt „nur wenn“, Eppelmann sagt „ja, aber“. Auf welche Aussagen kann die Sowjetunion bauen, wenn sie die DDR-Regierung für eine Vermittlerrolle in Anspruch nehmen will?
Seit der Tagung des Warschauer Pakts in Prag ist klar, daß Gorbatschow bei seinem Widerstand gegen Deutschlands Nato -Mitgliedschaft nicht auf Unterstützung der ostmitteleuropäischen Verbündeten zählen kann. Seit Prag existieren aber auch produktive Vorschläge dieser Verbündeten, das Tempo Richtung kollektives Sicherheitssystem zu beschleunigen - z. B. durch Errichtung einer mit Kontrolle und Überwachungsfunktionen ausgestatteten Sicherheitsbehörde. Würde sich die Regierung de Maiziere bei ihren Verhandlungen in Moskau diesen Initiativen anschließen, so gewönne sie an Stehvermögen gegenüber dem Bonner Maximalismus und könnte es der Sowjetunion erleichtern, von unhaltbar gewordenen Positionen Abschied zu nehmen. Über eins sollten sich die Westdeutschen allerdings im Klaren sein: auch eine vollständige Kapitulation de Maizieres hätte keinen Einfluß auf die sowjetische Truppenstationierung in Deutschland. Die hängt nämlich weder am Warschauer Vertrag noch am Freundschaftsvertrag mit der DDR. Sie entspringt „genuinem Besatzungsrecht“ und ist nur einvernehmlich durch die Siegermächte der Anti-Hitler-Koalition aufhebbar.
Christian Semler
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