Lauwarme Wahlkämpfe

■ Das Wählerinteresse an den DDR-Kommunalwahlen ist flau

Fast scheint es, der Kommunalwahlkampf vor einem Jahr sei „heißer“ gewesen. Man/ frau erinnere sich: Dies waren die letzten unfreien Wahlen! Damals war manches Bürgerforum brisant, die Verteilung von Macht und Ohnmacht lag überdeutlich auf der Hand.

Vor dem Mai-Wahltag dieses Jahres zeigt sich die Lage gründlich gewandelt. Die zu entmachtende Partei ist inzwischen selbst landesweit zur Opposition geworden und hat gegen die eigene Vergangenheit zu kämpfen (auch in persona). Die neuen Herren (und Damen) haben ihre Meisterstücke noch nicht vollbracht. Verbale Gefechte um Konzepte, die Auseinandersetzung mit Zukunftsängsten und der möglichst glaubhaft zur Schau gestellte Bruch mit der Vergangenheit prägen die Wahlvorbereitung. Daß es bei dem nun bevorstehenden Urnengang um oft sehr naheliegende und existentielle Probleme geht, scheint aus dem Bewußtsein geraten. Der Schwebezustand, in dem sich die gesamte DDR zwischen „noch“ und „schon“ (oder besser: zwischen „noch“ und „wieder“) befindet, verstärkt das Gefühl, es sei ohnehin alles entschieden. Aber trotz aller Unklarheiten: Ob vier oder fünf Länder, ob Verfassung oder nicht, Artikel 23 oder 146 - die Kommunen bleiben, auch nach der Einheit und nach der Währungsunion.

Der kritische Blick auf den derzeitigen Wahlkampf macht einiges deutlich. Zum einen beweist der abrupte Abbruch der Materialschlacht bundesdeutscher Großparteien nach dem 18.März, daß die Wahlkampfhilfe doch nicht so selbstlos gewesen sein kann. Bis heute blieben viele der bereitgestellten Werbeflächen in Berlin ungenutzt. Zum anderen zeigt der Verlauf der vergangenen Monate, daß wir im Fernsehzeitalter leben. Die „gewaltfreie Revolution“ war von Anfang an ein Medienspektakel, dessen reißerischer Höhepunkt in den Mammut-Wahl-Shows aus dem Palast der Republik lag. Nicht zuletzt die damals vermittelte Countdown-Stimmung veranlaßte das Volk, sich der historischen Größe des Tages zu fügen und zu wählen. Solche Animierungen bleiben vor dem 6.Mai weitgehend aus. Das Fernsehen widmet sich der „großen“ Politik (also der Parlaments- und Regierungspolitik), die Beschäftigung mit kommunalen Themen hat höchstens illustrierenden Wert.

Und schließlich macht die derzeitige Flaute deutlich, daß sich die gesellschaftliche Psyche eines Volkes nicht innerhalb von wenigen Wochen völlig wandeln kann. Es gibt viele Gründe, sich wieder in gewohnte oder neue Nischen zurückzuziehen: das Gefühl, mit dem Votum für die D-Mark das Notwendige entschieden zu haben; die Resignation darüber, mit der Kommunalwahl ohnehin nichts mehr bewegen zu können. Und zuletzt gibt es noch das Problem der hausgemachten Chaosproduktion bei der politischen Vorbereitung der Kommunalwahlen: die durch ungenügende Informationen entstandene Verwirrung über Wahlmodus und Listenbedeutung. Niemand soll nachher behaupten, die niedrige Wahlbeteiligung sei überraschend.

Thomas Bittner