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Ausverkauf des Fernsehens?

■ Finanzielle Nöte zwingen polnisches TV immer mehr zur Kommerzialisierung Zweites Programm soll privatisiert werden / Widerstand regt sich gegen Sponsoring

Während der Studiodiskussion hängt im Hintergrund ein großes Firmenschild, am Ende der Debatte bedankt sich der Moderator bei den großzügigen Sponsoren und am runden Tisch nimmt wimpernklappernd die Geschäftsführerin einer kleinen polnischen Handelsfirma Platz und plaudert noch zwei geschäftsfördernde Minuten lang über ihre neuesten Errungenschaften: „Jetzt bekommen Sie bei uns auch Telefaxgeräte zu sehr günstigen Preisen.“ Es ist 19 Uhr am Samstag, ein Drittel aller erwachsenen Polen sitzt vor den Fernsehschirmen und beobachtet, wie Polen sich Der Welt näher fühlt, denn so heißt das Programm.

Den USA näher ist Polens Fernsehen dabei allemal, denn eineinhalb Stunden lang jagen sich samstags im Zweiten Programm des polnischen Fernsehens die Ausschnitte aus westlichen Satellitenprogrammen, vom Klamauk bis zum Yogafan, der sich lächelnd vor laufender Kamera ein paar Nägel in den Bauch rammen läßt. Auch finanziell stimmt die Rechnung, das Programm zieht soviele Werbekunden an, daß mit Hilfe dieser Einnahmen noch drei weitere Sendungen finanziert werden können. Polens bisher staatliches Fernsehen hat es bitter nötig, die Inflation fordert ihren Tribut: Während die Kosten steigen, streicht der Staat die Subventionen, und die Zuschauer melden ihre Geräte ab. Bis jetzt beträgt das Defizit eine Viertelbillion Zloty (ca. 50 Mio. DM). Vielfach ist die Ausrüstung veraltet, in manchen Außenredaktionen im Land raufen die Redakteure um Kameras es gibt zu wenige. Die Redakteure leben von Hungerlöhnen, für Investitionen fehlt das Geld. Dem soll die Kommerzialisierung abhelfen: Jedem Programm seinen Sponsor.

Ob des Abends Lechia gegen Wisla einen Elfmeter verwandelt oder sich die Boxer die Nasen plattschlagen - „Baltona“ ist immer dabei. Das Firmenzeichen der staatlichen Importfirma, die einen Teil von Polens Devisenläden betreibt, hängt ständig über dem Moderator. Und wenn am Sonntagabend Fackeln im Sturm in endlosen Fortsetzungen Warschaus Straßen leerfegen, erfahren die Zuschauer auch, wem sie die Familiensaga zu verdanken haben: „Universal hat für Sie eingekauft - denn wir erfüllen alle Wünsche.“ Unterbrochen wird der Film zwar noch nicht, doch wenn Fernsehchef Drawicz erst dahinterkommt, daß die Amerikaner das machen, bringt er das auch in Polen, lästern seine Kritiker.

Die Zahl der Kritiker hat drastisch zugenommen, seit an die Öffentlichkeit gedrungen ist, daß der zweite Kanal demnächst als Joint-venture betrieben - das heißt faktisch privatisiert werden soll. Ausländischer Partner dabei: das European Communications Industries Consortium, das in Großbritannien den Channel 4 betreibt. Die Briten wollen allerdings nur mit drei bis vier Millionen einsteigen. Da könnte Polen das Geschäft auch gleich alleine machen, ohne den Gewinn teilen zu müssen, meint die 'Gazeta Gdanska‘.

Ein ähnlicher Plan existiert auch bereits, ausgearbeitet vom Direktor des Zweiten Programmes, Wegrzyn, dem Erfinder der Satellitenshow: Einzelne, vom polnischen Fernsehen nicht benötigte Programmzeiten sollen vermietet werden. Hauptargument in der Provinz gegen den „Ausverkauf des Fernsehens“, wie Kritiker das Geschäft bezeichnen: Die Lokalsender, die im Rahmen des Zweiten Kanals arbeiten, verlören ihren Sinn. In einer Zeit der Dezentralisierung und Wiederbelebung der Kommunalkörperschaften geradezu ein Rückschritt.

Klaus Bachmann

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