: Iliescus Front zwischen den Fronten
■ Seit zehn Tagen demonstrieren in der rumänischen Hauptstadt Bukarest Anhänger oppositioneller Parteien gegen die „Front der Nationalen Rettung“, die bis zum 20.Mai amtierende Interimsregierung unter Ion Iliescu. Die Opposition ist in sich gespalten - in einen Flügel, der die demokratische Erneuerung will, und in eine nationalchauvinistische Bewegung, die zunehmend aggressiver gegen nationale Minderheiten mobil macht.
Für Tausende von Menschen, die am Montag im regenverhangenen Cluj (Klausenburg) in Siebenbürgen dem Interimspräsidenten Ion Iliescu zujubelten, war er weiterhin der Größte. Der Ruf: „Wenn Iliescu kommt, scheint die Sonne“, erntete Jubel. Die Leute beklatschten den Führer der Front der Nationalen Rettung, der unter dem aufbrechenden Himmel sein Redetalent beweisen konnte. Und er nutzte es, um den Intellektuellen und demokratischen Oppositionellen seines Landes vorzuwerfen, „Konterrevolutionäre“ zu sein, die über keinen Rückhalt in der Bevölkerung verfügten. Iliescu, der aussichtsreichste Kandidat für die Parlamentswahlen am 20.Mai, wo auch der Präsident direkt vom Volk gewählt wird, mag die Oppositionellen nicht - vor allem jene nicht, die schon zu Ceausescus Zeiten Dissidenten waren. Und für die ist sein Vorwurf wahrlich starker Tobak, waren sie es doch, die zusammen mit Tausenden von Jugendlichen im Kugelhagel der Securitate Ende Dezember letzten Jahres den verhaßten Diktator gestürzt hatten.
Ist Iliescu, der gestern seine Kritik zwar gemildert und „Dialogbereitschaft“ gegenüber der Opposition angekündigt hat, nur ein Demagoge oder wirklich ein neuer Diktator, der in der undemokratischen Tradition des Landes verhaftet bleibt? Für die Anhänger der oppositionellen Parteien, die sich nun schon seit über zehn Tagen vor dem Gebäude der Universität von Bukarest versammeln, ist die Anwort klar: Iliescu, der treue Parteiarbeiter und Reformkommunist, der mit Gorbatschow zusammen studiert hat und jahrelang im Machtzentrum Ceausescus tätig war, habe selbst die Revolution verraten, indem er seine schützende Hand über die vier Millionen ehemaligen Mitglieder der alten Kommunistischen Partei hält. Die Front, so sagen sie, sei nur ein neuer Aufzug jener, die Ceausescus Macht stützten und von der Diktatur profitierten. Die alten Strukturen blieben weiter bestehen, und die Front habe sich den Staatsapparat zu eigen gemacht. Wo sind die über 200.000 Zuträger und Mitglieder der gefürchteten Geheimpolizei Securitate geblieben?, so fragen sie. Gerade knapp über 200 dieser Schergen würde der Prozeß gemacht, viel zu wenigen, um mit dem alten Terrorregime abzurechnen. Und selbst diese Prozesse würden weiterhin verschleppt. Iliescu habe selbst die Front, in der ursprünglich mehrere politische Strömungen nebeneinander zu finden waren, auf eine einheitliche Linie gebracht: und die sei eben neokommunistisch. „Nieder mit dem Kommunismus, nieder mit der Front“ sind die wiederkehrenden Parolen auf den Versammlungen der oppositionellen Parteien.
„Kurz nach der Revolution waren Iliescu und sein Ministerpräsident Roman die Hoffnung der Nation“, drückt Radica Zabara die Enttäuschung der demokratischen Opposition aus. Er ist Journalist bei der Bukarester Tageszeitung 'Romania Libera‘, die zum Flaggschiff des kritischen Journalismus aufrückte. „Wir vertrauten ihnen. Aber jetzt haben wir keine Illusionen mehr.“
Keine Tradition von
kritischem Journalismus
Und tatsächlich, viele der großen Zeitungen und vor allem das Fernsehen halten sich in ihrer Berichterstattung an die politischen Inhalte der Front. Ob bei den meisten Journalisten die Gewohnheit dominiert, den Mächtigen von den Lippen abzulesen, was zu schreiben ist, oder ob es sich um die direkte Einflußnahme der Regierung handelt, ist dabei für Außenstehende schwer auszumachen. Doch alle Gespräche mit Medienleuten deuten darauf hin, daß es für die Journalisten nur wenig Regie von oben bedarf. „Ein kritischer Journalismus hatte sich in diesem Land niemals entwickeln können“, umschreibt der Chefredakteur von 'Romania Libera‘, Bacanu, diese für ihn bedrückende Situation. Während ein großer Teil der Bevölkerung das Auftauchen amerikanischer Serien im Fernsehen schon als die große Liberalisierung ansieht und deshalb auch von der „Wahrheit“ der Nachrichten überzeugt ist, wird auf den Demonstrationen der Opposition der Slogan „Gebt das Fernsehen dem Volk zurück!“ gerufen. Die Regierung ist für die Demonstranten an allem schuld, an der Manipulation der Medien ebenso wie an der schlechten Versorgungslage. Demgegenüber treibt die Regierung nach wie vor im alten Stil Kampagnen gegen „Spekulanten“, als ob diese Leute schuld an der schlechten Wirtschaftslage wären. Nicht Strukturen werden diskutiert und kritisiert, sondern Personen, auch wenn die Gründe für die Probleme tiefer liegen.
Holzschnittartige
Argumentationen
Diese holzschnittartige Argumentation, die mangelnde Bereitschaft zur Differenzierung, ist ein Kennzeichen der politischen Atmosphäre in Rumänien. Fast jede politische Partei biegt sich in ihren Publikationen die Realität nach eigenem Gutdünken zurecht, mit Halbwahrheiten wird Politik gemacht. Eine tiefergreifende Diskussion über den Zustand des Landes wird durch den Wahlkampf eingeschränkt, der nunmehr mit harten Bandagen geführt wird. Den Parteien muß es vor allem darum gehen, das Machtmonopol der Front zu brechen.
Das ist aber auch schon die einzige Klammer, die die oppositionellen Parteien in Bukarest und den rumänischen Kernlanden Moldau und Walachei zusammenhält. Denn was haben die konservative, strikt antisozialistische Bauernpartei, die bei anderen oppositionellen Parteien wie den Sozialdemokraten und Liberalen im Geruch steht, die nationalistisch chauvinistische Bewegung „Vatra Romaneasca“ zu unterstützen, gemein mit den Studenten, denen es um die Abschaffung des Totalitarismus und den Aufbau demokratischer Strukturen geht? Bei den Demonstrationen in Bukarest ist an den Parolen abzulesen, wie politisch heterogen die Protestierenden zusammengesetzt sind. Einige der kleineren Demonstrationszüge der letzten Tage hatten eindeutig nationalistische Züge. Und auch die Monarchisten regen sich
-„lang lebe König Michael!“ - gerade jetzt um so mehr, nachdem der Exmonarch per Anweisung der Regierung Anfang April an der Einreise ins Land gehindert wurde. Andersdenkende werden bei den Veranstaltungen vor allem der Nationalisten nicht selten tätlich angegriffen und verletzt.
Schon längst hat sich wieder Angst bei den Minderheiten in Rumänien ausgebreitet. In Siebenbürgen, dort wo viele Ungarn und Roma und auch noch einige zehntausend Deutsche zu Hause sind, verstärkt sich der Terror der rumänisch -nationalistischen, für manche Beobachter an faschistische Traditionen anknüpfenden Bewegung der Vatra Romameasca. Diese Organisation will schon mehr als zwei Millionen Mitglieder geworben haben und trägt ihre antidemokratische Haltung offen zur Schau (siehe Dokumentation). Auf dem Gründungskongreß am 8.Februar 1990 forderten Tausende ihrer Mitglieder die Vertreibung der ungarischen Minderheit aus Siebenbürgen. Der Höhepunkt der nationalistisch motivierten Auseinandersetzungen waren die Massenschlägereien in Tirgu Mures Mitte März. Militante Nationalisten greifen mehr und mehr auch
die Minderheit der Roma an und können dabei sogar mit dem Verständnis der unteren Staatsorgane rechnen (siehe nebenstehender Roma-Artikel). Polizisten und Bürgermeister brauchen auch in diesem Fall nicht von oben instruiert zu werden. Im Gegenteil: Noch propagiert die Front ein friedliches Zusammenleben der Nationalitäten. Und so ist es nicht verwunderlich, daß bei den demokratischen Dissidenten Siebenbürgens die Kritik an der Front und der Regierung nicht lautet, sie sei kommunistisch unterwandert, sondern, sie sei zu schwach, um die Minderheiten vor den wildgewordenen Nationalisten zu beschützen.
Im Banat wiederum, in dessen Hauptstadt Temeswar die Revolution am 16. Dezember ihren Anfang nahm, haben die radikal-demokratischen Positionen eine Massenbasis in der Bevölkerung. Mehr als 3,5 Millionen Rumänen haben bisher den „Aufruf von Temeswar“ (siehe Dokumentation) unterschrieben, der für die Abschaffung jeglichen Totalitarismus, den Rücktritt aller ehemaligen kommunistischen Funktionäre aus dem öffentlichen Leben und das friedliche Zusammenleben der unterschiedlichen Nationalitäten im Vielvölkerstaat Rumänien eintritt. Aus der Perspektive dieser demokratischen Opposition ist die Front verantwortlich für die schleppende Demokratisierung des Landes.
So sind die Front und die Regierung nunmehr zwischen zwei Fronten geraten, der nationalistisch-chauvinistischen Strömung und der demokratischen Bewegung im Lande. Immer noch gestützt auf den vor allem auf dem flachen Lande funktionierenden Staatsapparat und im Einklang mit der Führung der Armee ist es Iliescu und Roman aber gelungen, den Termin für die Wahlen und den Wahlprozeß zu garantieren. Die Armee, die zwar anfänglich wegen ihrer Rolle während der Revolution über große Reputation im ganzen Volk verfügte, fungiert in den letzten Wochen und Monaten immer mehr als Garant der neuen Staatsmacht, ist zu ihrer Stütze geworden. Indem die Führung der Front sich ungeniert des Staatsapparates auch für die Wahlkampagne versichert hat, kann sie sich sogar einen Wahlsieg ausrechnen. Nicht nur der Bürokratie und der Masse der „Kompromittierten“, der früheren Parteimitglieder, ist an einem „ruhigen“ Übergang zum Parlamentarismus gelegen; auch die Kirchen, allen voran die orthodoxe Kirche, sind nicht an einer „Aufarbeitung der Vergangenheit“ interessiert, hat der Obere Klerus doch offen mit dem Ceausescu-Regime und vor Jahrzehnten mit den faschistischen Diktaturen kollaboriert.
Paul Hockenos/Erich Rathfelder
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