Kommunalwahl - doch vielleicht geht keiner hin

■ Am kommenden Sonntag wird in Ost-Berlin ein neuer Magistrat gewählt - doch ein Wahlkampf findet kaum statt / Desinteresse bei der Berliner Bevölkerung - einer Kommunalregierung wird wenig zugetraut / Vor allem die SPD macht mit Plakaten auf sich aufmerksam

Ost-Berlin. Am Sonntag wird in den Ostberliner Wahllokalen ein neuer Magistrat bestimmt - doch vielleicht geht gar keiner hin. Denn im Gegensatz zu den Wochen vor der ersten freien Wahl in der DDR am 18.März scheinen sich die Hauptstadt-Bürger für den zweiten freien Urnengang nur noch mäßig zu interessieren. Der Wahlkampf erinnert ein wenig an die Monotonie alter SED-Zeiten. Denn die SPD ist fast die einzige Partei, die mit Plakaten auf sich aufmerksam macht. Ein Motiv ist selbst bei den Genossen umstritten: Ein Pärchen, Hand in Hand am Palmenstrand, lächelt versonnen in den Himmel. Darüber steht in fetten Buchstaben der Wahlkampfslogan „Aufschwung durch Einheit“. Die Masche erinnert stark an den Kohlschen CDU-Wahlkampf, der den DDR -Bürgern suggerierte, daß der schnelle Weg zum individuellen Wohlstand nur durch ihn gewährleistet sei.

Im März erreichte die SPD in Ost-Berlin knapp 35 Prozent der Stimmen und wurde stärkste Partei. Bei den Kommunalwahlen wollen die Sozialdemokraten auf Kosten der PDS zulegen und setzen ganz auf den Momper-Bonus. Der Regierende Bürgermeister, in der Hauptstadt äußerst populär, begleitet den SPD-Spitzenkandidaten Tino Schwierzina denn auch bei den meisten Pressekonferenzen und fast jedem seiner öffentlichen Auftritte. Auch der Spitzenmann der CDU, Jacob, läßt sich von seinem West-Kollegen Eberhard Diepgen unterstützen. Die Stimmung ist bei den Konservativen aber alles andere als gut. Ihr Ziel, stärkste Partei zu werden, würde einen Stimmenzuwachs von etwa 20 Prozent erfordern die CDU bekam am 18.März nur 18,36Prozent.

Während die Volkskammerwahlen vor dem 18.März wochenlang das Thema in der Stadt waren, wird in den Kneipen, auf der Straße und in den Betrieben zur Zeit kaum über den nächsten Urnengang gesprochen. Das beherrschende Thema ist nach wie vor der Umtauschkurs 1:1 und die Umstrukturierung der Betriebe - doch über solche Dinge, so heißt es oft, werde eh nicht auf kommunaler Ebene entschieden. Während die Parteien im Volkskammerwahlkampf kaum eine Gelegenheit ausließen, sich gegenseitig in die Pfanne zu hauen, herrscht zur Zeit Friedhofsruhe: Die große Koalition von DSU bis SPD hat jede inhaltliche und sprachliche Schärfe im Kommunalwahlkampf unmöglich gemacht. Polemik ist angesichts der Tatsache, daß eine große Koalition in der Stadtregierung nicht unwahrscheinlich ist, auch gar nicht gewollt. Denn wie man es auch dreht und wendet: für eine Partei alleine wird es am 6.Mai kaum reichen. Zwar hoffen viele in der Ostberliner SPD, die sich als links von der Landespartei präsentiert, daß man es zusammen mit dem Bündnis 90 und den Grünen über 50 Prozent bringen könnte. Für wahrscheinlicher aber wird eine ganz große Koalition gehalten, bei der das Bündnis 90 diesmal nicht „vergessen“ wird. Die unsicherste Karte im Berliner Wahlpoker heißt PDS. Mit der Nachfolgeorganisation der alten Staatspartei will zwar keine der anderen Gruppierungen etwas zu tun haben. Trotzdem wird die PDS aller Voraussicht nach ein Faktor in der Hauptstadt bleiben. Fast dreißig Prozent - doppelt soviel wie der durchschnittliche Wert in der DDR - konnte die PDS am 18. März verbuchen. Ihr jetziger Wahlkampf ist zwar leise, aber effektiv. Keine großflächigen Plakate, statt dessen ein Straßenfest zum 1. Mai. Sie mischen in der Bezirkspolitik mit, versuchen sich in die Opposition einzuschalten. Der Apparat, auf den die Berliner PDS zurückgreifen kann, ist gigantisch. Die PDS ist die mitgliederstärkste Partei in Ost -Berlin und mit 135 BewerberInnen für das Stadtparlament am stärksten vertreten. Die SPD bringt es auf 122 Kandidaten, die CDU auf 74. Das Stadtparlament hat 138 Sitze. Das offensichtliche Desinteresse der BerlinerInnen an den Kommunalwahlen beginnt viele Politiker langsam nervös zu machen. Der Alptraum eines SPD-Bewerbers ist denn auch, daß seine WählerInnen am kommenden Sonntag bei schönem Wetter nicht zum Wahllokal, sondern auf ihre Datsche fahren. „Dann sinkt die Wahlbeteiligung, und die PDS wird stärkste Partei.“ Denn die, so meint der Sozialdemokrat, seien immer zur Wahl gegangen - auch bei Sonnenschein und blauem Himmel.

Claus Christian Malzahn