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NACHTSCHATTEN

Der Sumpfblütenzüchter in der Kneipe  ■ H E L D E N D E R A R B E I T

Vor einigen Jahren gab es einmal eine Kneipe an der Schöneberger Eisenacher Straße, deren Name stand nur klein an der Eingangstür, ansonsten schmiegte sie sich unauffällig in die umgebende Wohnhausfassade. Drinnen ging es in den offiziellen Räumen gelegentlich hoch her; mal spielte XY, mal wurden Kurzfilme befreundeter Menschen gezeigt. Neben den Schankräumen gab es noch zwei kleinere Separees, wo in nach Katzenpisse stinkenden Sperrmüllsesseln hängend aufs entschiedenste den abstrusesten Vehikeln zur Bewußtseinsänderung zugesprochen wurde. Der Laden hatte ein treues Stammpublikum, das eine urige Atmosphäre von Gewalt, Kaputtheit und Lebensgier schuf, in die manchmal auch echte Künstler eintauchten, ein reinigendes Bad im Schmutz der Straße zu nehmen. Das alles endete mit einer Pleite. Die Kreise zerfielen.

Auf der Suche nach einem neuen Lokal trafen die Geschäftsführer auf Dirk K., einen Off-Kino-Betreiber, dessen Unternehmen ebenfalls gescheitert war - und dessen Räumlichkeiten in der Nähe der Schöneberger Yorckbrücken nun zur Kneipe umfunktioniert wurden. Umgeben von einer türkischen Bar, einem Friseursalon, dessen Auslage seit Ende der Fünfziger vor sich hin zu stauben scheint, und einem griechischen Restaurant verbirgt sich das „E. & P.“ nun vollkommen namenlos vor den Augen zudringlicher Nachtlebenvoyeure und ähnlicher Atmosphären-Junkies, die beispielsweise das „Kumpelnest 3000“ nach dessen Auftauchen in den ARD-„Berliner Nachtschwärmern“ in Scharen heimsuchten, verheerten und zu einem Unort machten.

Kneipe ist für das heutige „E. & P.“ aber wohl das falsche Wort, denn Dirk K. betrachtet es eher als eine Art Gewächshaus, in dem kontrollierte Freilandversuche mit sozialen Mutationen ablaufen. Dirk K. nämlich fühlt sich mehr dem Beruf des Gärtners verpflichtet, denn dem des Kneipiers. Er besitzt den „grünen Finger“, jene Gabe also, die alle Pflanzen in seiner Obhut wachsen und gedeihen läßt. „Einmal brachte mir ein Mädchen eine Pflanze zur Aufbewahrung, weil sie in Urlaub fuhr. Sie hatte dieses Gewächs völlig verantwortungslos vernachlässigt, das sah ich sofort. Bei mir erholte sich die Pflanze, ja, du konntest sehen, wie sie erblühte. Die Pflanzen müssen deine Sorgfalt spüren, du kannst deshalb auch ruhig mal mit ihnen reden.“ Das „E. & P.“ ist also der Garten des Helden der Arbeit - eine überraschende Betrachtung der Dinge.

Ausgesprochen gut gedeiehen dort allerlei giftige Nachtschattengewächse, die, sich ansonsten vorzugsweise auf Schutthalden ansiedelnd, träge einen schweren Geruch verströmen. Fleischfressende Pflanzen wuchern in den dunklen Ecken, Schlingpflanzen winden sich an den Barhockern. Selten sind eher liebliche Gewächse wie das unscheinbare Mauerblümchen, gehen diese doch zumeist sehr bald in dem vorherrschenden ungesunden Klima zugrunde. Mimosen können da schon eher in diversen Nischen Wurzeln schlagen, auch wenn diese in dem dünnen, von reichlich anregenden Chemikalien überdüngten Boden kaum Halt finden. Etliche stämmige, kräftig wirkende Gewächse sah mensch aus diesem Grund schon fallen. Diese auf dem Boden liegenden Entwurzelten dienen verschiedenen parasitären Schleimpilzkulturen zur Entfaltung. Alles in allem bietet das „E. & P.“ eher das Bild eines düsteren Bosch'schen Gartens der Lüste, denn eines sonnenlichtdurchfluteten Gewächshauses, in dem ein grinsender, grünbeschürzter Gärtnersmann eifrig die Zuschneideschere schwingt und sich der genmanipulativen Züchtung lieblicher Rosen befleißigt.

Sorg- und bedachtsam möchte sich Dirk K. seinem Bio -/Soziotop widmen. „Manch eine Pflanze braucht einen starken Stab, an dem sie sich aufrichten kann. Manche Ranken müssen beschnitten werden, sonst wuchern sie alles zu.“ Bevor er zu - selbstverständlich natürlich wirkenden - Maßnahmen greift, vertraut er in heldischer Arbeit eher auf die subtilen Einflüsse seines „grünen Fingers“. Dazu bedürfte es zunächst einmal des Versuchs des Verstehens, der wissenschaftlich angegangenen In-Augenschein-Nahme, verblüffte Dirk K. doch schon die Tatsache, daß im Gegensatz zu seinen heimischen Topfpflanzen und Bonsaibäumchen sein neuer Garten erst nachts richtig Leben entfaltet - ohne jedoch nennenswert Frucht zu tragen. „Dies Feld zu bestellen erfordert viel Arbeit“, mag er sich gedacht haben, als er sich entschloß, des nächtens Obacht zu üben, das Gewachse und Gewuchere und Geranke und Schlagen von Trieben zu beobachten - eher zum Mißfallen der angestellten Hilfsgärtner, die sich in totaler Verkennung der Situation noch immer als Barkeeper verstanden und nun vom Arbeitgeber überwacht wurden. Die biologistische Mission wurde zunächst auch von ihrem eigentlichen Objekt, den sich entfaltenden grellen Blüten, nicht mit einem euphorischen Gedeihen begrüßt.

Weit entfernt haben sich heutige Hobby- und Schrebergärtner von der Utopie bürgerlich-proletarischer Kleingartenanlagen, in denen sich Mann und Frau dem Anbau von Gemüse und Obst widmeten. Fortschrittlich erweisen sie sich heute im Verzicht auf den Ertrag, den Nutzen und legen vermehrt Wert auf den Aspekt kultureller Freizeitgestaltung, auf Selbstfindung und -entfaltung im feierabendlichen Lebensraum: Die Gärten werden gestylt, dienen der Erzeugung von ambiente (huch). Dirk K. übernahm dieses Konzept, vielleicht auch mit dem Hintergedanken einer möglichen Prachtentfaltung seines exotischen Wildwuchses, und so kann mensch im „E. & P.“ lustwandelnd ab und an einer Performance beiwohnen oder selbstvergessen den Klängen einer Kurpark-Kombo lauschen oder aber auch sich an den vor kurzem eingerichteten Weekend-Bildungsprogrammen erbauen, bei denen in fiebrigen Samstagnächsten gegen 4 Uhr filmische Meisterwerke wie Hellwach im Straßenverkehr, Heroin: Ingo, Über wie Wirkung der Atombombe oder dem Klassiker Paarungsverhalten der Rothirsche den Garten in unwirkliches Licht tauchen, derweil die Hilfsgärtner die sich regenden Gewächse rührig mit so exotischen Düngemitteln wie Budweiser, Tequila oder Sekt begießen.

Dirk K. ist der Meinung, der Garten solle im Verborgenen gedeihen, langsam. Ob es ihm gelingen wird, den morastigen Sumpf in ein botanisches Vorzeigeobjekt zu verwandeln, ob dieses Unterfangen nicht den Lebensbedingungen auch solch exotischer Narzissen-Abarten wie Nick „Wanted Man“ C. entgegensteht, ob als Held der Arbeit Dirk K. jemals sein Erntedankfest feiern wird... das weiß wohl nur der transzendentale Großgärtner Allah mit seiner Gärtnerfibel Koran.

R. Stoert

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