Ende mit Schrecken für Liberias Diktator?

■ Nach vier Monaten bewaffneten Kampfes gegen das Regime des Ex-Sergeanten Samuel Doe stehen die Aufständischen der „National Patriotic Front“ (NPF) vor dem Einmarsch in die Hauptstadt Monrovia. Die Aufstandsarmee rekrutiert sich aus den Völkern im Norden des Landes. Das brutale Vorgehen der liberianischen Armee gegen diesen Bevölkerungsteil treibt Hunderttausende in die Flucht und kostet die Regierung zunehmend Sympathien. NPF-Anführer Charles Taylor wird von Libyen unterstützt, genießt aber auch die Wertshätzung der USA. Was er im Falle seines Sieges über die Diktatur anstrebt, darüber hüllt er sich noch in Schweigen. Aus Monrovia Knut Pedersen und Peter Labbe

Vier Monate währt der bewaffnete Aufstand im westafrikanischen Liberia. Jetzt steht die Rebellenbewegung „Nationale Patriotische Front“ (NPF), angeführt von Charles Taylor, 80 Meilen vor Monrovia. Die wichtige Zuglinie von den Bergbaugebieten im Landesinnern zum Hafen Buchanan ist unter Beschuß, die Bevölkerung dort ist geflohen. Die USA und mehrere europäische Staaten haben ihr Botschaftspersonal zum Verlassen des Landes aufgefordert. Rund 200 Briten sind am vergangenen Wochenende vorsorglich aus Monrovia evakuiert worden. Die liberianische Hauptstadt erwartet nun den Einmarsch der Rebellen.

Aus einem mißglückten Putschversuch gegen die Militärregierung von „Master-Sergeant“ Samuel K. Doe entwickelte sich seit Ende 1989 langsam, aber stetig ein Volksaufstand in der zentralen liberianischen Provinz Nimba County. Die Revolte hat nun große Teile des Landes, dessen Gesamtbevölkerung von 2,4 Millionen Menschen sich aus 17 unterschiedlichen Ethnien zusammensetzt, erfaßt. Dabei waren die Hoffnungen und Erwartungen groß, als im Jahre 1980 der Sergeant Samuel K. Doe die Kaste der seit 1847 regierenden „Ameriko-Liberianer“ stürzte. Doch anstatt die politische und ökonomische Macht auf eine breite soziale Basis zu stellen, ersetzte der neue starke Mann Doe schlicht die alte Herrschaftselite durch eine neue, ihm loyal ergebene. Alle potentiellen Konkurrenten im Militärrat wurden nach und nach beseitigt.

Ein früherer Mitstreiter Does, der aus der Provinz Nimba County stammende Thomas Quiwonkpa, versuchte 1985 zu putschen, nachdem die ersten freien Wahlen in der Geschichte des Landes unter Manipulationsverdacht geraten waren. Die weitgehend vom Krahn-Volk, der Ethnie des Präsidenten, kontrollierte Armee überzog daraufhin die in Nimba County beheimatete Dan- und Mano-Bevölkerung mit einer Repressionswelle, der Hunderte zum Opfer fielen.

Die National Patriotic

Front

Die zunehmenden Menschenrechtsverletzungen, die hemmungslose Selbstbedienung aus öffentlichen Mitteln und der Rückgang des Lebensstandards steigerten die Unzufriedenheit der Bevölkerung. Doch während die Führer der auf amerikanischen Druck zugelassenen Oppositionsparteien auf Karriere im Staatsapparat setzten, warteten die wenigen Intellektuellen im Ausland auf bessere Zeiten. Eine organisierte Opposition im Lande existierte nicht.

Charles Taylor, ein 1983 nach einer Unterschlagungsaffäre ins Ausland abgetauchter Regierungsdirektor aus dem Norden Liberias, schätzte die Erfolgschancen für einen neuerlichen Putschversuch als gut ein. In der Elfenbeinküste scharte er eine Anzahl desertierter Soldaten und anderer Unzufriedener um sich, bildete die Nationale Patriotische Front und ließ sie, nachdem seine Putschpläne in Monrovia aufgeflogen waren, mehrere Zollstationen im angrenzenden Nimba County überfallen.

Es gelang der NPF, die Dörfer Karnplay und Butuo im dünnbesiedelten Grenzstreifen unter ihre Kontrolle zu bringen. Bei Überfällen aus dem Hinterhalt auf die wenigen Pisten des Regenwaldgebietes wurden im Januar mindestens 40 Regierungssoldaten getötet. Nach der Verlegung weiterer 1.000 Soldaten nach Nimba County und einigen Scharmützeln war jedoch von Taylor und seiner NPF zunächst nichts mehr zu hören.

Armee außer Kontrolle

Damit war der Konflikt aber keineswegs beendet. Die undisziplinierten und schlechtbezahlten Regierungssoldaten, zumeist Angehörige des Krahn-Volkes, interessierten sich weitaus mehr für die wehrlose Landbevölkerung der Dan als für die versprengten Gefolgsleute des in Nimba County gänzlich unbekannten Charles Taylor. In den letzten Monaten uferten Übergriffe von Armeeangehörigen immer mehr aus. Fahrer von Sammeltaxis werden erschossen, „um Rebellenfahrzeuge zu beschlagnahmen“, Bauern kurzerhand ermordet, wenn sie sich dem Diebstahl von Ziegen oder Schweinen widersetzen. Antipathien zwischen Dan und der moslemischen Minderheit der Mandingo führen zu gegenseitigen Denunziationen und dienen nun den Soldaten als Vorwand, junge Männer zu erschießen, Frauen zu vergewaltigen, ganze Dörfer zu plündern oder Geld zu erpressen.

Während die Armeeführung immer mehr die Kontrolle über ihre Soldaten zu verlieren scheint, organisiert sich seit einigen Wochen der Widerstand der Dan. Die Bauern kramen ihre Jagdflinten hervor, zerstören Brücken und versuchen, die Regierungstruppen aus ihrem Gebiet herauszudrängen - mit dem Ergebnis, daß sich die Willkürherrschaft der Soldaten nun auch auf das benachbarte Mano-Volk erstreckt. Zur Verstärkung ihrer Einheiten wirbt die Armee bereits jugendliche Kriminelle und Arbeitslose auf den Straßen von Monrovia an. Die Eskalation von Terror und Gegenterror scheint vorprogrammiert.

Flüchtlingsströme

250.000 Liberianer, ein Zehntel der Gesamtbevölkerung, sind ins benachbarte Guinea und in die Elfenbeinküste geflohen. Sie leben heute bei ihren „Verwandten“ jenseits von Staatsgrenzen, die die Stämme trennen. Deren Solidarität wird freilich auf eine harte Probe gestellt, wenn über Nacht Tausende von „liberianischen Brüdern“ im Dorf um Aufnahme nachsuchen: In Doualeu, im Grenzgebiet der Elfenbeinküste, haben 277 einheimische 3.532 Flüchtlinge aus dem Nachbarland „untergebracht“. Angesichts der von Regierungstruppen und Rebellen verübten Massaker an der Zivilbevölkerung sind sie kaum willens, in naher Zukunft nach Liberia zurückzukehren.

Die Armee Samuel Does hat auf den Vormarsch der Rebellen aus dem Nordosten mit einer von Panik und Grausamkeit diktierten Politik der verbrannten Erde geantwortet. Ganze Dörfer wurden niedergebrannt, nicht selten mitsamt als „Kollaborateure“ denunzierten Einwohnern. Massenhinrichtungen wurden als Mittel akzeptiert, eine schwer identifizierbare Guerilla zu bekämpfen. „Wie wollen sie denn einen Rebellen von einem Dorfbewohner unterscheiden, wenn niemand Uniform trägt?“ rechtfertigt sich General Julu, bereits der fünfte Kommandant der liberianischen Streitkräfte seit dem Beginn der Insurrektion in der Nimbaprovinz. Die zunächst als „Beobachter“ in den Norden entsandten amerikanischen Militärberater haben sich zurückgezogen. Sie wollten nicht länger Zeuge von Kriegsverbrechen sein, denen selbst Frauen und Kinder zum Opfer fallen.