: Selbstkritische Historiker
■ Führender DDR-Historiker eröffnet die Selbstkritik der Zunft / Kritische Durchsicht der bisherigen Forschung angekündigt
Berlin (dpa) - „Wir Historiker haben versagt. Anders als die Schriftsteller und Künstler haben wir keinen Impuls zur Veränderung gegeben.“ So kommentierte am Freitag Prof. Olaf Groeler, stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR, in der Technischen Universität Berlin (TU) im Westteil der Stadt die Rolle seiner Zunft für den Umbruch in der DDR. Anlaß für das selbstkritische Statement war eine Vortrags und Diskussionsreihe unter dem Titel Geschichtsforschung in der DDR, zu der Reinhard Rürup, Geschichtsprofessor an der TU Berlin, eingeladen hatte.
Prof. Walter Schmidt, seit 1984 Direktor des Zentralinstituts für Geschichte in Ost-Berlin und Chef von 240 Mitarbeitern, davon 150 Forscher, konstatierte, daß sich seine Wissenschaft augenblicklich in einer „tiefen Legitimations- und Existenzkrise“ befinde. Bisher habe die Geschichtswissenschaft der DDR grundsätzlich als Markt der Politik gedient. Damit sei die Historie ein Teil des Herrschaftssystems gewesen. Dennoch sei die Politikabhängigkeit seines Faches nicht total gewesen. Seit den 70er Jahren hätte die Fachhistorie Themen wie „Friedrich der Große“ oder „Bismarck“ selbständig aufgegriffen und bearbeitet. Allerdings paßten auch diese Themen ins Konzept eines „Zugriffs auf die ganze deutsche Geschichte“, das seit Mitte der 70er Jahre von der SED propagiert wurde. Ein breiteres nationales Geschichtsbewußtsein sollte die Identität der DDR-BürgerInnen stabilisieren.
Jetzt gehe es darum, den Meinungspluralismus durchzusetzen, das bisher Erarbeitete kritisch durchzusehen und wertvolle Resultate in eine gesamtdeut sche Wissenschaftslandschaft zu retten.
Groeler stellte in seinem Vortrag weiter fest, daß die jahrelangen Bemühungen um ein antifaschistisches Bewußtsein nicht sehr tiefe Spuren bei den Bürgern hinterlassen hätten. Auch wenn es seit den 70er Jahren eine breite Diskussion um das historische Erbe Luthers oder des aufgelösten Preußens gegeben habe - „einen wirklichen Bruch mit bisherigen Denkweisen brachte sie nicht“. Nun will man sich den bisherigen Tabuthemen, den „weißen Flecken“, zuwenden. Dazu gehören die Auswirkungen des Stalinismus auf die KPD oder der Hitler-Stalin-Pakt von 1939.
Auch die „innere Wiederspruchsgeschichte der DDR“ soll aufgearbeitet werden. Auf der Veranstaltung hatten altgediente Geschichtswissenschaftler das Wort. Vertreter oppositioneller Historiker, die sich inzwischen in der DDR formiert haben, waren offiziell nicht eingeladen worden aus „Zeitgründen“, so die offizielle Begründung.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen