: „Viele Hebammen geben ihren Beruf auf“
Karin Eberhardt vom Berliner Hebammenverband zu der extremen Arbeitssituation, der miserablen Bezahlung und den aktuellen Forderungen der Hebammen ■ I N T E R V I E W
taz: Welche Probleme haben die bundesdeutschen Hebammen zu ihrem Protesttag am Wochenende veranlaßt?
Karin Eberhardt: Für die angestellten Hebammen ist die Arbeitsbelastung in den geburtshilflichen Abteilungen mittlerweile absolut miserabel. Man muß bedenken, daß bis heute die Planstellenzahlen von 1969 beziehungsweise 1974 gelten. Aber die Geburtshilfe hat sich seither stark verändert. Es gibt heute einen sehr viel größeren Aufwand an Diagnostik und Technik bei den Geburten. Der Pflegenotstand in den Krankenhäusern ist mittlerweile ins öffentliche Bewußtsein gedrungen. Jetzt wollen wir Hebammen darauf aufmerksam machen, daß die Situation in den Kreißsälen durchaus vergleichbar ist. Zur Arbeitsbelastung kommt hinzu, daß die Hebammen im Manteltarif vom letzten Jahr schlichtweg vergessen wurden. Das war der letzte Anstoß, daß die Hebammen heute sagen: Jetzt reicht's völlig.
Die Arbeitssituation der freiberuflichen Hebammen ist zwar etwas günstiger, die Bezahlung allerdings ist extrem schlecht. In der Nachsorge im Wochenbett heißt das konkret: 22 D-Mark brutto für einen Besuch, der oft ein bis zwei Stunden dauert. Jetzt wird eine Erhöhung um sechs D-Mark in Aussicht gestellt.
Sie sprechen von einer drohenden „Entbindungskatastrophe“. Ist der Begriff angemessen?
Der ist angemessen, wenn man bedenkt, daß in vielen Krankenhäusern aufgrund der Arbeitsbelastung nicht einmal mehr die Planstellen besetzt werden können. Viele geben den Beruf auf, weil sie den Streß nicht mehr aushalten. Deshalb müßten zwanzig bis dreißig Prozent mehr Hebammen ausgebildet und eingesetzt werden. Hier geht es uns nicht einfach um eine Verbesserung der Arbeitssituation, sondern zugleich um eine angemessene Versorgung der Mütter vor, während und nach der Geburt.
Gibt es prioritäre Forderungen?
Es gibt vier wesentliche Forderungen: mehr Planstellen zur Senkung der Arbeitsbelastung und eine Erhöhung der Bezüge. Für die freiberuflichen Hebammen fordern wir die Verdopplung der Bezüge als Minimum. Zudem ist eine generelle Verbesserung der Ausbildungssituation nötig. Diese Forderungen stehen gleichwertig nebeneinander, wobei den angestellten Hebammen eine Erhöhung der Planstellen wichtiger ist als die Erhöhung der Bezüge.
Ist der Protesttag eine einmalige Aktion, oder gibt es beim Hebammenverband eine längerfristigere Strategie?
Der Protesttag war erst mal dazu da, alle Hebammen zu mobilisieren und die Öffentlichkeit zu informieren. Zudem wurde eine Unterschriftenaktion gestartet, mit der wir uns an das zuständige Arbeitsministerium in Bonn wenden werden. Ansonsten werden wir jetzt weiter an die Öffentlichkeit gehen, um so Druck auszuüben. Wir haben kein anderes Druckmittel als die Öffentlichkeit.
Interview: Matthias Geis
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