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Ausländer sollen zu Inländern werden

Bürgerrechte für alle fordert das „Stuttgarter Maiforum für Bürgerrechte“ / Zarte Kritik an Stuttgarts Oberbürgermeister Manfred Rommel / Runder Tisch für alle Ausländerfragen / Auch die DDR war bei den Diskussionen vertreten  ■  Aus Stuttgart Uwe Rosentreter

Ein humanes Ausländergesetz wäre ihnen zu wenig. Die Stuttgarter Initiative „EinwanderInnen ins Rathaus“ will mehr. Im anläßlich des neuen Ausländergesetzes formulierten „Stuttgarter Appells für Bürgerrechte“ fordert die seit Sommer 1988 bestehende Initiative die Abschaffung des Begriffs „Ausländer“ für all die, die rechtmäßig ihre „Lebensmitte“ in die Bundesrepublik verlagern oder hier geboren wurden. Ein neu zu schaffendes „Einwanderungsgesetz“ soll „die Bedingungen regeln, unter denen ein Mensch, der heute als Ausländer gilt, in allen Bereichen des Rechtes als Inländer zu gelten hat. Dieses Gesetz darf sich dann einzig und allein am Prinzip der Lebensmitte eines Menschen.“ (Stuttgarter Appell)

Harter Tobak also für den in Ausländerfragen recht fortschrittlich argumentierenden Stuttgarter Oberbürgermeister Manfred Rommel, den die Initiative in ihrem „Ersten Maiforums für Bürgerrechte“ am vergangenen Wochenende zum politischen Frühstück ins Stuttgarter Theaterhaus eingeladen hatte. Rommel, der sich darauf einläßt, auf der Grundlage des „Stuttgarter Appells“ zu diskutieren, erklärt sich gegen das Kritierium des Bluts: „Der Mensch hat so viele Vorfahren, daß er für sein Blut keine Haftung übernehmen kann.“ Damit hat er den Applaus der gut 150 BesucherInnen. Erleichtern will er den Erwerb des deutschen Passes durch die Möglichkeit der doppelten Staatsangehörigkeit, weil „die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Nation angesichts der Entwicklung in Europa zunehmend an Bedeutung verliere“. Dabei schließt er Jugoslawien und die Türkei ausdrücklich mit ein.

Dennoch verteidigt Rommel das am 26. April vom Bundestag verabschiedete Ausländergesetz. Es sei doch eine Verbesserung im Vergleich zu früheren Entwürfen. Das Publikum ist verständig, wenn Rommel bemerkt, es sei schwierig, für seine Position im Kabinett Mehrheiten zu bekommen. Auch die Feststellung eines Teilnehmers, daß die ausländischen MitbürgerInnen von der Beteiligung an der politischen Kultur in der Stadt ausgeschlossen sind durch das Versammlungsrecht, das Verbot politischer Betätigung usw., kann die fast freundschaftliche Atmosphäre nicht erschüttern. Denn Rommel verweist auf die beschränkten Möglichkeiten als Stadtoberhaupt und darauf, daß er nichtdie Republik Stuttgart ausrufen könne, wolle er in Bonn weiterhin ernst genommen werden.

Die EinwanderInnen-Initiative wollte es sich mit ihrem einzigen auf politischer Ebene hochkarätigen „Mitstreiter“ nicht verderben. Als der Vorwurf kam, Rommel habe seine Ermessensspielräume im Alltag und seinen Einfluß in seiner Partei nicht ausgenützt, gab die Diskussionsleitung sich mit Rommels ausweichender Antwort, daß die Stadt Stuttgart sich bemühe, die AusländerInnen anständig zu behandeln, zufrieden. Auch dem Gast aus der DDR Michael Otto, Teilnehmer am Runden Tisch für Ausländerfragen, gelang es nicht, Rommel in Verlegenheit zu bringen. Seiner Frage, wie es nach der (Wieder-) Vereinigung um die in der DDR bestehende Visafreiheit für die Türkei und das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen stehe, wich Rommel aus. Im Vergleich zur DDR hätten die Kommunen bei uns eine weit größere Bedeutung. In der DDR hätten diese nicht solch weitreichende Kompetenzen wie hier, wo zwei Drittel der öffentlichen Gelder auf kommunaler Ebene ausgegeben würden.

Tags zuvor war Michael Otto, der für die Gruppe „Frieden und Menschenrechte“ am Runden Tisch gesessen hatte, Zugpferd für die größte der fünf Arbeitsgruppen des „Ersten Maiforums für Bürgerrechte“ gewesen. Er berichtete über die Bemühungen, die Situation der in der DDR lebenden AusländerInnen (etwa 1% der Bevölkerung) durch einen entsprechenden Verfassungsvorschlag, der unter anderem auch das Wahlrecht zur Volkskammer für AusländerInnen vorsieht, zu verbessern. Auf die Bemerkung eines Teilnehmers, daß hier diskutiert wird, daß ein solches Wahlrecht angesichts der (Wieder-)Vereinigung möglichst schnell vom Tisch soll, meinte Otto lakonisch: „Ich glaube, daß da noch viel mehr verschwinden wird.“ Kontrovers diskutiert wurde unter den insgesamt achtzig größtenteils aus dem Großraum Stuttgart angereisten TeilnehmerInnen, ob man sich bei der Forderung nach gleichen Rechten am politisch Machbaren orientieren soll oder sagt: Wir zerbrechen uns nicht die Gedanken der Juristen. Im abschließenden offenen Forum am Sonntag ging man jedenfalls zur Realpolitik über. Die Einrichtung eines Runden Tisches, an dem alle an der Verbesserung der Situation ausländischer MitbürgerInnen interessierten Institutionen sitzen, soll den Ausländerausschusses unterstützen.

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