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Trauriger Abgesang

Die DDR-Oberliga läuft langsam aus / Dresden und Karl-Marx-Stadt Fuß an Fuß /Doll und Rohde zum HSV  ■  PRESS-SCHLAG

Anfang des Jahres hatte Thomas Doll vom FC Berlin, jenem vergangenheitsbewältigten Club, der damals noch BFC Dynamo hieß, der taz erklärt, daß er ausgesprochen gern in der Bundesliga spielen würde, „am liebsten bei einem Verein, der viele Zuschauer hat“. Leverkusen, der neue Club seines alten Kumpels Andreas Thom, schied damit aus, Borussia Dortmund, der FC St. Pauli oder, nach den neuesten Entwicklungen, gar Hertha BSC schienen unter diesen Umständen beste Aussichten zu haben, den dynamischen Stürmer, einen der wenigen Weltklasse-Spieler der DDR, in ihr Trikot stecken zu dürfen. Doch, oh Graus, was tat der ehemals so vernünftige Mann? Ausgerechnet zum Hamburger SV ließ er sich verscherbeln, jenem abgehalfterten Relikt aus vergangener großer Zeit, das vor dem letzten Bundesliga-Spieltag noch immer unter schwerer Atemnot im Abstiegskampf leidet und hartnäckig sein Publikum vergrault.

Gemeinsam mit Libero Frank Rohde (30) wird der 24jährige Doll als preiswertes Discount-Paket für insgesamt etwa 2,5 Millionen Mark nach Hamburg geschickt, Rohde bekommt einen Drei-Jahres-Vertrag, Doll einen über zwei Jahre, wobei sich der FC Berlin zusichern ließ, daß er bei einem Weiterverkauf ebenfalls finanziell partizipiert. HSV-Präsident Becker rieb sich zufrieden die Hände: „Das eröffnet völlig neue Perspektiven für den HSV.“

Aber Thomas Doll mag sich trösten: schlimmer als in der DDR -Oberliga kann es auch in Hamburg nicht kommen. Gerade 1.400 Zuschauer, Oberliga-Minusrekord, kamen am drittletzten Spieltag in den hauptstädtischen Friedrich-Ludwig-Jahn -Sportpark, um das 1:3 des FC, bis dahin immerhin noch Anwärter auf den Titel, gegen Lokomotive Leipzig zu erleben. In Dresden erschienen immerhin 15.000 Menschen, und zur Belohnung setzte sich ihr Club an die Tabellenspitze, auch wenn der 2:1-Siegtreffer durch den Neo-Leverkusener Ulf Kirsten gegen Stahl Eisenhüttenstadt erst acht Minuten vor Schluß fiel, nachdem das 1:0 durch Torsten Gütschow - mit 17 Treffern Anführer der Torjägerliste - aus der 17. Minute in der 67. überraschend durch Lehnert ausgeglichen worden war.

Der knappe Sieg reichte zur Führung, weil der bisherige Spitzenreiter 1. FC Magedeburg bei den gelegentlich furios wirbelnden Cottbusern eher wie ein Abstiegskandidat wirkte. Noch katastrophaler war nur Schiedsrichter Henning, der gröbste Fouls schlicht übersah, aber dafür dem Magdeburger Laeßig des Feldes verwies, weil dieser dem Linienrichter einen sowohl harmlosen als auch berechtigten Vogel gezeigt hatte.

Punktgleich mit den Dresdenern ist nach seinem mühseligen 2:0 gegen Rot-Weiß Erfurt der FC Karl-Marx-Stadt (ätsch!), der vor 6.500 Zuschauern ausgerechnet durch den Platzverweis des Erfurter Schmidt in der 43. Minute aus dem spielerischen Rhythmus gebracht wurde. In einer recht harten Partie, in der vor allem Rot-Weiß-Kapitän Weidemann gelegentlich wie eine fleischgewordenen Kreissäge über den Platz raste, schafften die Karl-Marx-Städter schließlich doch noch das erlösende zweite Tor durch Köhler, nachdem Rico Steinmann per umstrittenen Strafstoß (21.) zum 1:0 getroffen hatte, und stürzten die Erfurter damit in akute Abstiegsgefahr, die vor allem durch den Auswärtssieg Bischofswerdas in Rostock noch verschärft wurde.

Auch der Wettstreit um die UEFA-Cup-Plätze ist noch einmal voll entbrannt. Sollte Dresden Meister und Pokalsieger werden, sind davon nur zwei zu vergeben, und es sieht alles danach aus, als ob der FC Berlin zum erstenmal seit ewigen Jahren kein Bein auf die internationale Bühne bekommen wird. Thomas Doll braucht das nicht mehr zu kümmern. Beim HSV ist das Wort Europacup ohnehin vorläufig aus dem Sprachschatz gestrichen.

Matti

Dresden - Eisenhüttenstadt 2:1, Rostock - Bischofswerda 1:2, Jena - Wismut Aue 1:0, Karl-Marx-Stadt - Erfurt 2:0, Halle - Brandenburg 1:3, Cottbus - Magdeburg 2:0, Berlin Leipzig 1:3

1. Dresden (33:15 Punkte/44:25 Tore), 2. Karl-Marx-Stadt (33:15/32:18), 3. Magdeburg (32:16/36:20), 4. Berlin (29:19/36:30), 5. Jena (29:19/25:20), 6. Cottbus (26:22/36:34), 7. Rostock (25:23/32:29), 8. Leipzig (23:25/31:30), 9. Halle (22:26/34:35), 10. Brandenburg (22:26/31:33), 11. Erfurt (17:31/24:35), 12. Eisenhüttenstadt (16:32/19:28), 13. Bischofswerda (15:33/21:49), 14. Aue (14:34/18:33)

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