Becker, Konkurrent von St. Pauli

■ Einige HafensträßlerInnen würden gern Beckers Einladung zum Tennis annehmen, nur: Wie? In der Loge?

Hamburg (taz) - Heinz Brenner, Turnierchef beider Tennisturniere am Hamburger Rothenbaum, bleibt trotz seiner 66 Lebensjahre nichts erspart. Jahrelang bemüht, den Hamburger Rothenbaum irgendwie in die Nähe von Wimbledon oder Roland Garros zu bringen, könnte ausgerechnet das unartige Verhalten des Lieblingstenniskindes der Nation seinem Lebenswerk eine, sagen wir, unästhetische Fußnote hinzugefügt werden.

Der Becker Boris nämlich erzählte im Dezember einem Reporter freimütig, er könnte die Leute in der Hafenstraße bisweilen ganz gut verstehen - von wegen Leben gegen die Spießer, Flucht aus gesellschaftlichen Zwängen und so. Und überhaupt fand Becker das Anwesen an der berüchtigten Hamburger Hafenstraße irgendwie schön bunt.

Und versprach Karten für seinen Auftritt am Hamburger Rothenbaum herauszurücken - wegen der chronisch leeren Kassen an der Hafenstraßen umsonst. Und Brenners Mundwinkel stürzten zum Kinn, er fuhr zum Hamburger Polizeipräsidium und holte sich Rat bei den Leuten, die mit den Einwohnern der Hafenstraße auf rüde und ungebetene Art und Weise Räuber und Gendarm zu spielen pflegen.

Und die sagten ihm: Schon okay, keine Gefahr. Doch die Bunten, die über den Lebensstil des tennisspielenden Mittelstands mit mildem Lächeln hinwegzuschauen pflegen, schienen aus einem anderen Grunde out of competition: alles ausverkauft. Hat sich denn Becker gar nicht um die Karten gekümmert? Brenner freudig bedauernd: „Uns ist keine Anfrage zugegangen.“ Ist das radikale Bobbele vielleicht nur ein Schaumschläger? Nein, „ich hab‘ in Hamburg vor ein paar Monaten ein paar Leute getroffen, die bunte Haare hatten. Aber die kamen nicht aus der Hafenstraße.“

Die Echten waren es wirklich nicht. Dennoch: Sie wollen, wenn sie können. Immerhin gibt es einen festen Kern von zwölf Männern und Frauen, die regelmäßig auf einem Schulhof in der Nähe der Hafenrandhäuser Topspin, Slice, Volley und Lob üben - gemischtgeschlechtlich. Birte (Name geändert), 20jährige Bewohnerin der Häuser, ist ganz entzückt über die Vorstellung, Boris Becker vor Ort anfeuern zu dürfen: „Der scheint ganz in Ordnung, obwohl er in einer ganz anderen Welt lebt.“

Aber hat der nicht vor zwei Jahren voller Inbrunst das schwarz-rot-goldene Banner getragen, als im Daviscup das BRD -Team die USA zum Abstieg verdammte? „Naja, ein bißchen sind wir ja alle mal naiv gewesen“, findet Birte, „aber jetzt scheint er was geschnallt zu haben.“ Und: „Diese Schnüffeleien in seinem Privatleben, daß die ihm nachspionieren, welche Frau er gerade hat, daß er nie mit sich allein sein kann - das kennen wir auch. Nie in Ruhe gelassen zu werden.“ Aber ist letztlich nicht auch Becker ein Kapitalist? „Ich glaube nicht, daß das die entscheidende Rolle spielt. Im Fernseher sieht es so aus, als ob er gerne spielt.“

In einigen Wohnzimmern der Hafenstraße wird regelmäßig Tennis geguckt. In Hamburg sind die privaten TV -Gesellschaften via Antenne zu empfangen. Also waren sie dabei, als Becker in New York erst die US-Open gewann und schließlich - zu deutscher Zeit nächtens - beim Masters Stefan Edberg unterlag? „Einige von uns glaube ich schon. Stand ja außerdem nicht in Konkurrenz zum FC St. Pauli.“

Inzwischen steht fest, daß Boris Becker nur noch auf dem Schwarzmarkt Karten für seine Anhänger vom Hafen erstehen könnte, oder: zwei bis vier Hafenstraßenfans werden in seine Ehrenloge eingeladen. Möglich indes, daß dann Birte neben Bürgermeister Voscherau sitzen würde. Empfände sie das als Affront? „Nein, wieso. Ich glaube, ich würde sagen 'Guten Tag, Herr Voscherau‘, und dann würden wir uns das Spiel angucken. Sport und Politik passen nicht zusammen. Aber wenn er Streit will, dann wehren wir uns bestimmt.“

Das versteht sich wohl von allein. Am schönsten allerdings fänden Boris‘ Freunde gelegentlich mal eine Trainingsstunde: „Von seinem Aufschlag kann man noch viel lernen. Und am Netz ist er einfach ein Gedicht.“ Die junge Frau mit den eingedrehten Haaren lacht, als sei die Welt für sie einen kleinen Moment lang in Ordnung. Sie ahnt noch nicht einmal, wieviel Schweiß den Verantwortlichen am Rothenbaum das alles kostet.

Ob Becker nun Karten herausrückt? Das bleibt vorläufig ebenso offen wie der Erhalt der Hafenstraßenhäuser.

Jan Feddersen

Einzel, 1. Runde: Jakob Hlasek - Michael Stich 7:6, 6:4; Udo Riglewski - Jan Apell 6:1, 6:2; Magnus Gustafsson - Sergio Bruguera 6:2, 6:4; Andrej Tscherkassow - Marcus Zoecke 6:2, 6:2; Jim Courier - Paul Hasrhuis 6:1, 6:1; Carl -Uwe Steeb - Javier Sanchez 6:4, 2:6, 6:4; Roberto Azar Jean Fleurion 7:6, 1:6, 6:4; Ronald Agenor - Eric Jelen 7:5, 6:4; Guy Forget - Karel Novacek 6:4, 7:5; Fabrice Santoro Petr Korda 6:2, 3:6, 7:6; Jaime Yzaga - Milan Srejber 6:2, 6:3; Jordi Arrese - Horst Skoff 3:1 (Aufgabe Skoff);

2. Rund: Jay Berger - Patrick Kühnen 6:2, 6:2; Boris Becker - Paolo Cane 7:5, 6:1