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Wird die Geschichte Kuba freisprechen?

■ „Geschichten aus der Geschichte Kubas“, ausgewählt von Jose Antonio Friedl Zapata

Vorsicht und Ausgewogenheit sind angebracht beim Bewerten der kubanischen Revolution und ihrer Folgen: Der Herausgeber der Geschichten aus der Geschichte Kubas, Jose A. Friedl Zapata, verweist in seinem Vorwort denn auch darauf, daß es „eine Innen- und eine Außensicht“ gibt, die es gleichermaßen zu berücksichtigen gelte, wolle man nur ein gespaltenes Land als Ganzes begreifen. Er verhält sich neutral, mag sich weder auf die Seite der eingefleischten Kritiker noch auf die der blauäugigen Befürworter schlagen. Vielleicht ist dieser etwas verwirrende Pluralismus am ehesten angebracht im Falle Kubas.

Mit jedem Tag, da sich das Dilemma der Insel verschärft, wird das Buch aktueller. Im übrigen ist eine solcherart nichtinstrumentelle Betrachtung von Literatur sehr wohltuend, denn zu oft hat man die kubanischen Exilautoren als Dissidenten gewinnträchtig zu vermarkten gesucht, während die „Regimetreuen als Panegyriker des Systems verschrien waren. Und vice versa. Hier werden eventuelle Vorurteile abgebaut - ästhetische Qualitäten sind (natürlich) auf beiden Seiten zu finden.

Aber nicht so sehr um Literatur soll es ja gehen, wie der Luchterhand Verlag ankündigt, sondern mehr um Geschichte, genauer um „literarische Texte in ihren zeitlichen Bezügen zu einem historischen Prozeß“. Dieser Prozeß wird also ein bißchen von der Innenseite vorgeführt, aus subjektiver Sicht sozusagen. Zapata hat zu etwa einem halben Jahrhundert ein reichliches Dutzend Texte (Erzählungen, Auszüge aus Romanen) zusammengestellt. Geschichte wird in ihnen erfahren, erlitten, gemacht. Nicht immer auf übergreifende Weise verstanden, schon gar nicht lückenlos dokumentiert, auf jeden Fall aber erfreulich oder erschreckend nahe herangeholt. Ein wenig Alltagsgeschichte fehlt möglicherweise - von Kuba, nicht von den USA aus gesehen.

Wie war das nun damals mit der Revolution? Die Fakten kennt man: Batista, Moncada, Cranma, Fidel, „Che“, die Sierra Maestra undsoweiter. Das vorrrevolutionäre Kuba war auch ein Einwandererland, vor allem aber eine Hölle, ein Hurenhaus mit sich abwechselnden, sich gleichenden korrupten Eliten. Deswegen das Gefühl der Befreiung: Fidel war „ein Mann, radikal und ohne Halbschatten. Er kam, um von Grund auf zu sanieren, nicht wie die früheren, die mit dem Magen regierten“ (M. Barnet). Auch bei Guevara war es gerade dessen heute so belächelte Radikalität, die ihn zur Führungsperson werden ließ. E. Oltuski erinnert sich, wie dieser Mythos zustande kam, der glücklicherweise durch den Guerilla-Alltag relativiert wird: „Er roch schlecht. Er roch nach zersetztem Schweiß.“

Die im ersten und zweiten Teil der Anthologie vertretenen Autoren vermitteln - bis auf eine Ausnahme - einen Konsens, der bis heute weiterbestehen dürfte. Die Revolution war zu begrüßen, und man konnte sich ihrer Faszination nicht entziehen. Was sich später an Abgründen auftun würde, war nicht unbedingt vorauszusehen. Keine Stimme des Ich-habe-es -ja-damals-schon-gewußt. Dennoch wird problematisiert, aber auf einer anderen Ebene. „Der Lahme“ (J. Diaz), der durch eine Bombe Entmannte, ermordet seinen Denunzianten - den Schwulen. Ist Revolutionär sein Macho sein? Ähnlich R. Arenas: „Ein Gewehr. Das ist für dich die Frage.“ Einen Soldaten erstechen, ein Gewehr besorgen, von zu Hause wegrennen und sich den Rebellen anschließen. Wunschträume eines Halbwüchsigen, um anerkannt zu werden, aber auch Schilderung eines knallharten Szenarios. „Das Gesetz“ (N. Fuentes) ist nicht viel wert in Zeiten, da im Escambray konterrevolutionäre Banden operieren - schließlich sind Recht und Unrecht noch leicht voneinander zu trennen. Auch Jose Stalin lugt schon mal hervor: „Wirklich, der alte Pepe hatte es schon in sich.“ Ob Protagonist oder Komparse der kubanischen Revolution, bleibt hier offen.

Bei E. Desnoes ist Kuba in die Weltgeschichte eingetreten; es hat jetzt (1962) Atomraketen, aber die Unterentwicklung ist nicht zu überwinden. Verwirrung und Verzweiflung, die die Entzauberung, die „Außensicht“ einläutet. Bei den Exilschriftstellern dominieren als Themen die Verfolgung Andersdenkender und Schwuler, die Mißhandlung Inhaftierter, Haßliebe und getrennte Familien. Am interessantesten ist vielleicht die Erzählung von H. Padilla (Noch ein Tag in Kuba). Nein, nicht so sehr wegen des an den Stasi gemahnenden Repressionsapparates, der (hier) beschrieben wird. Padilla konstatiert Unverständnis für die eigentliche Lage seines Landes, Flucht- und Verdrängungsmechanismen bei westeuropäischen Polit- und Palmentouristen. Ach, es gibt sie wohl immer noch, über die er sich hier ein wenig lustig macht.

Auch A. Valladares (der sich bis heute als Menschenrechtskämpfe für die USA betätigt) hat etwas zu diesem Buch beisteuern dürfen. Hier bin ich mir nicht sicher, ob ein allzu dokumentaristischer Stil Glaubwürdigkeit beweist oder etwa nur herbeischaffen soll. Literatur ist das kaum - Die Nackten liest sich wie der Bericht an eine UN-Kommission. Sei es wie es sei, auch ohne ihn endet das Buch als Anklage. G. Cabrera Infantes Blick auf die Morgendämmerung in den Tropen prophezeit der Insel eine düstere Zukunft in heiterer Umgebung: „Sie wird alle Schicksalsschläge überdauern, auf immer vom Golfstrom umspült: schön, grün, unvergänglich, ewig.“

Kuba immer nur ein Touristikparadies? Ewige Wiederkehr von Macht, Gewalt und Rückständigkeit? - „Die Geschichte wird mich freisprechen“, hatte Fidel Castro einst gesagt. Hoffen wir es.

Henrich Barba

Jose Antonio Friedl Zapata (Hrsg.): Geschichten aus der Geschichte Kubas. Frankfurt/M., 1990, Luchterhand -Literaturverlag (Sammlung Luchterhand 878). 232 Seiten, DM 16,80.

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