: „Sie wissen ganz genau, daß sie mich damit treffen“
■ Souleymane Sane, schwarzer Stürmer des 1. FC Nürnberg, im Brennpunkt rassistischer Beschimpfungen von Fans, Presse und Gegenspielern / Kickerkollegen finden nichts dabei
Nürnberg (taz) - 12. April, 1. FC Nürnberg gegen HSV, 67. Spielminute: Souleymane Sane eilt allen davon, hat nur noch HSV-Keeper Golz vor sich, überlegt schiebt der Nürnberger Mittelstürmer das Leder an ihm vorbei, der Ball kullert gemächlich ins Netz. Sane feiert seinen Treffer mit einem blitzsauberen Salto, die Fans sind aus dem Häuschen. Ihr „Sammy“ hat schon wieder getroffen. Fünf Tage zuvor hatte der Senegalese seine 1.397 Minuten dauernde Sendepause mit einem Kopfballtor gegen Waldhof Mannheim beendet. Jetzt hat ihn der neue Clubtrainer Arie Haan in die Planungen für die Saison 90/91 einbezogen. Für Souleymane Sane ist die Welt wieder in Ordnung. Nicht ganz - das einzige, was ihn in der Bundesrepublik mißfällt, sind die ständigen rassistischen Beleidigungen, die er als Schwarzer einstecken muß.
Als Fünfjähriger zog Sane mit seinen Eltern nach Frankreich, zunächst nach Toulouse, dann nach Paris. Seit acht Jahren spielt er in der Bundesrepublik Fußball zunächst während seines Militärdienstes beim Verbandsligisten FV Donaueschingen, dann in der 2. Liga beim FC Freiburg und seit zwei Jahren beim 1. FC Nürnberg. Schon als Torschützenkönig der zweiten Liga war Sane von frustrierten Gegenspielern des öfteren als „Nigger“ beschimpft worden. Noch bevor er sein erstes Spiel im Trikot des Clubs absolviert hatte, hatte das Boulevardblatt 'Abendzeitung‘ eine Hetzkampagne gegen den Stürmerstar gestartet. Sanes Verpflichtung wurde als „delikate Angelegenheit“ bezeichnet. Fans hätten in Briefen und Telefonaten angedroht, ihre Dauerkarten zurückzugeben, wenn „ein Neger im ruhmreichen Dreß des 1. FC Nürnberg“ spielt. Der Wunsch war Vater des Journalistengedankens, denn Clubpräsident Schmelzer wußte von alledem nichts. 'Abendzeitungs'-Journalist Haala ließ nicht locker. Kehrte Sane von Länderspielen aus dem Senegal zurück, kam er „frisch aus der Wüste“, zeigte er bei regnerischem Wetter keine Leistung, lag ihm das „hiesige Klima“ nicht.
Sane schlug im wahrsten Sinne des Wortes zurück und versetzte im Dezember letzten Jahres dem Journalisten einen Faustschlag. Jetzt durften auch die 'Nürnberger Nachrichten‘ die Vorzüge unserer Kultur gegenüber „dem Busch“ preisen: „So nicht, Sammy! In unserer Gesellschaft gibt es grundsätzlich kein Faustrecht“, schrieb das Blatt, dessen Sportchef pikiert fragte, ob der Club überhaupt „einen Neger beschäftigen“ sollte.
Was Journalisten recht ist, scheint den Fans und Kickern der gegnerischen Mannschaften gerade billig zu sein. Kann Sane rassistische Beschimpfungen von Fans noch einigermaßen wegstecken, da er sich voll aufs Spiel konzentriert, gelingt ihm das bei seinen Kontrahenten auf dem Rasen nicht. „Ich kann da nicht drüberstehen, das tut immer weh“, betont er. Besonders unverschämt findet er es, wenn er von ausländischen Spielern beschimpft wird. „Du Neger, was willst du, geh zurück in den Busch“, schrie ihn zum Beispiel der Pole Andrzej Buncol von Bayer Leverkusen an. Der Mannheimer Zvezdan Cvetkovic höhnte „Neger raus, Neger raus“. Besonders schlecht ist Souleymane Sane jedoch auf Kölns Libero Paul Steiner zu sprechen. Am 20. September letzten Jahres beim Spiel des Clubs in Köln schrie Steiner während des ganzen Spieles immer wieder: „Du Scheiß-Nigger, hau ab, was willst du in Deutschland“, erinnert sich Sane.
„Primitiv, aber sie wissen, daß sie mich damit treffen“, kommentiert der schwarze Stürmer diese Äußerungen. Über die Zeitung 'Sport-Bild‘ entschuldigte sich Steiner zwar damit, daß ihm „die Sicherungen durchgebrannt waren“. Er sei kein Rassist, schließlich sei er mit einer Frau verheiratet, deren Vater aus Puerto Rico stamme. Aber beim Rückspiel Ende März im Nürnberger Stadion war es wieder soweit: „Ich hatte noch keinen Ballkontakt“, erzählt der Mitte der zweiten Halbzeit eingewechselte Sane, „da schrie mich Steiner an: 'Du Scheiß-Neger, hau ab.'“
Steiner will das anders gesehen haben. Sane habe ihn zuvor angespuckt. „Das Wort Nigger gehört nicht zu meinem Sprachgebrauch“, betont Kölns Libero. „Sicher greift man, wenn man wütend ist, die Hautfarbe auf“, gesteht er jedoch im nächsten Atemzug. Beschimpfungen gehörten nun mal zum Fußball.
Während Steiner sein Verhalten ansatzweise zugibt, streitet Cvetkovic den Vorfall rundherum ab. „Für mich ist es egal, ob es ein Neger, ein Weißer oder ein Chinese ist.“ Für ihn gebe es nur Sport. „Politik ist mir egal.“
Auch Clubpräsident Schmelzer wiegelt ab. „Wir als Verein können da überhaupt nicht eingreifen. Da laden halt manche ihre Aggressionen ab, das sind keine Zeichen von Rassismus.“ Schmelzer offeriert gleich sein Weltbild: „Die Grenzen öffnen sich, die Welt wird kleiner, alles wird transparenter, da hat Rassismus bald keine Chance mehr.“
Dafür kann sich Souleymane Sane nichts kaufen: Zumindest im privaten Bereich in seiner Nachbarschaft hat er in der Beziehung keine Probleme. Daß die NPD im Kreis Erlangen -Hochstadt in ihrer Kommunalzeitung 'Der Landkreisbote‘ ein Foto von ihm zweckentfremdet habe, um im zugehörigen Artikel gegen „Asylbetrüger und Scheinasylanten“ zu hetzen, findet der Kicker „schlichtweg unverschämt“. Trotzdem glaubt Sane nicht, daß sich die Ausländerfeindlichkeit in der Bundesrepublik angesichts des nationalen Taumels verschlimmert habe. Die Wiedervereinigung findet er schlichtweg gut - „gut für die BRD und gut für die DDR“.
Den Schritt in die 1. Liga hat er trotz der Beschimpfungen nicht bereut, obwohl er dort als Stürmer einen schweren Stand hat. In der 2. Liga wurde noch viel mit Manndeckung gearbeitet, „den Verteidigern bin ich einfach davongelaufen“, verrät der schnellste Stürmer der Bundesliga, der in seinen besten Zeiten die 100 Meter in 10,6 Sekunden gelaufen ist, sein damaliges Erfolgsrezept. „Heute schaffe ich nur noch 11“, gesteht er verschmitzt.
Für die Zukunft hofft Sane, daß zumindest die Nürnberger Fans vor rassistischen Ressentiments gefeit sind. Als Anthony Baffoe, neben Sane der zweite schwarze Profi in der Bundesliga, mit Fortuna Düsseldorf in Nürnberg spielte, lobte der die Nürnberger Fans. Sane dazu: „Die Zuschauer wissen, daß jede Beleidigung gegen ihn auch für mich ein Stich ins Herz gewesen wäre.“
Souleymane Sane will noch eine Zeitlang in der Bundesliga „am liebsten in Nürnberg“ - kicken. Dann möchte er nach Italien - „mein Traum“ - und später will er entweder ein Sportartikelgeschäft oder eine Bäckerei aufmachen. Denn der Stürmerstar ist gelernter Konditor. Seine Spezialitäten sind Eclairs und Schwarzwälder Kirschtorte.
Bernd Siegler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen