piwik no script img

Nachschub für die letzte Dekade

■ „The Köln Show“ - neun Galerien zeigen neue Kunst

Wo beginnen, wenn alles gleichzeitig losgeht? Im Jahrzehnt der zeitgleichen Ereignisse, der hundert verpaßten Gelegenheiten gibt sich auch die Kunst Mühe, Terminstreß zu machen. 65 Kölner Galerien eröffnen an einem Wochenende neue Ausstellungen. Synchrone Premieren, ein Muß für jeden Kunstfan. Schlicht eine Tortur.

The Köln Show, das sind immer noch neun Galerien und sechsundsechzig Künstler, doch die Idee der überwiegend jungen Galeristen, einmal nicht miteinander zu konkurrieren, sondern unbekannten Talenten eine Plattform zu bieten, ist allemal anziehender als die Routinepremieren der anderen sechsundfünfzig.

Gleich voran, es ist die Kunst der Spielerei, der Selbstbespiegelung, der „anything goes„-Pose. Vorbei die wilden Zeiten, da die Kunst die Arena war für Kämpfe, Proteste und Skandale - lange vorbei. Gleich in der ersten Galerie eine programmatische Erklärung: „Die nächsten zehn Jahre sind wir für 2000 zu haben“, steht Buchstabe für Buchstabe auf kleinen, quadratischen Briefumschlägen, die mit Heftzwecken an die Wand gepinnt sind. Da die beteiligten Künstler, die in winziger Kugelschreiberschrift ebenfalls in Joseph Zehrers Buchstabenspiel verewigt sind, für dieses Jahrtausend nur noch als Nachzüglicher gelten können, haben sie flugs das Kommende für sich proklamiert. Wo sich die Moden überschlagen, muß junge Kunst schneller sein als die Zeitrechnung. Sie haben den Gipfel schon erreicht, während andere noch nicht mal daran denken, ihn zu erklimmen: der Zweitausender gehört ihnen, gerade weil er noch zehn Jahre entfernt liegt.

The Köln Show läßt alles zu, nur einfache Antworten nicht. Rätsel mit und ohne Lösung oder gleich mit mehreren möglichen, Possenspiele, die nur gefallen wollen, wie zum Beispiel eine Reihe gerahmter Zeichnungen von Daniel Ortega über Corazon Aquino bis Nelson Mandela, brav gerahmt auf Resopalregalen: Mark Wallingers Kommentar zum linken Persönlichkeitskult - Nachttischikonen.

Galerien sind Räume, in denen der Galerist zur Geltung kommen will. Die Kunst wirkt dort manchmal etwas deplaziert. Edle Fußböden und edle Hölzer fürs Ambiente, und irgendwo hängen Bilder. Die Galeristen Daniel Buchholz, Max Hetzler und die Jablonka Galerie sind in demselben Haus untergebracht. So einheitlich schick sind sie, daß der Besucher nach einem Rundgang durchs Haus nicht mehr weiß, wer oben und unten ausstellt, was hier und dort gehangen hat. Auf dem Flur zwischen den Etagen ein gelber Eimer und ein blaues Wischtuch auf den teuren rötlichen Fliesen. Dazu gehört eine Putzfrau mit Schürze und Kopftuch, die den Boden sauber hält, damit der Kunstinteressierte sich auf das Wesentliche konzentrieren kann - die klinisch tote Aufgeräumtheit der Galerien.

Kurzschlüsse. Alles beweist alles. Die fixe Idee wird sofort bestätigt, die Kunst mag nichts mehr erklären und läßt sich nicht mehr erklären. Es gibt keine Beweispflicht mehr, keine Logik, ungeniert feiert die letzte Dekade die unbegrenzten Möglichkeiten des satten Lebens. „Mit verborgenen Analogien zu flirten ist schlimmer, als offen mit uneleganten Analogien zu arbeiten.“ Spätestens nach diesem Satz auf dem Katalogumschlag ist auch der Widerstand des skeptischen Zuschauers gebrochen, und er gibt auf, sich zu fragen, ob das nun alte oder neue Kunst, Plagiat oder Genialität ist. Die Kunst schämt sich ihrer Trivialität nicht mehr. Stefan Bohnenberger hat dazu das ultimative Kunstwerk erdacht. Zwei Fritten, knusprig und golden wie aus dem Ölbad, sind über Kreuz an die Wand genagelt. Pommeskreuz, so der Titel der Arbeit. Die Erleuchtung. Kyrie Eleison. Wer erbarmt sich und kauft?

Die Ausstellung ist auch eine Ausstellung über Köln, obwohl kein einziges Bild die Stadt zum Thema hat. Sie zu durchqueren, um von Galerie zu Galerie zu gelangen, heißt auch, die Stadt als Teil des Kunstwerkes zu begreifen, oder als Gegenwelt zu den Objekten in den Galerien. Überall versucht die Stadt, ihre Häßlichkeit zu vertuschen. Dabei bedient sie sich der Kunst, vielmehr der aus den Kunstwerken abgeleiteten Gebrauchskunst zur Verschönerung des Alltags. Da ist das Teppichgeschäft fast mit der Galerie nebenan zu verwechseln, denn die postmodernen Fensterbögen und ein großformatiges Tableau von Roy Lichtenstein dienen als ästhetischer Reiz, der alles anderen vermuten läßt als trittfeste Bodenbeläge. Überall Kunst am Bau, Bauten mit Kunst, schreckliche Alibi-Art zur Beschäftigung auftragsloser Künstler. Augenschmerz.

Mit der Straßenbahn zum Chlodwigplatz. Die Südstadt. Inzwischen etwas abgenutzter Tourismusmagnet für unverbesserliche BAPisten, die Wolfgang Niedecken noch immer in einer Kölschkneipe vermuten. Im Hinterhof an der Maria -Hilf-Straße verstecken sich die Galerien von Monika Sprüth und Isabella Kacprzak. Es ist nicht die letzte Station auf dem strapaziösen Weg durch die Schau, und mehr als einmal überkommt den müden Wanderer der Wunsch nach Ruhe. Aber aufgeben gilt nicht. Denn das Ganze setzt sich nur aus Teilen zusammen - und zwar aus allen. Das Konzept Köln Show begreift die Einzelgalerien als einen einzigen Raum, deshalb sind die Künstler auch nicht einer bestimmten Galerie zugeordnet, sondern über die neuen Ausstellungsflächen verteilt. Um die übergreifende Idee zu unterstreichen, sind alle Räume in einem gelblichen Farbton gehalten. Ann Veronica Janssens hat sich daraus einen Spaß gemacht. Die Wände ihrer Kabine sind weiß, in der Mitte steht ein rechteckiger Sockel, der mit der gelblichen Farbe der Wände bemalt ist. The Köln Show heißt die freche Karikatur der Ausstellungsphilosophie.

Nachschub ist der Titel des Katalogs. Nachschub für die letzte Dekade des Jahrtausends wollen die Beteiligten der Köln Show liefern. Wo bleibt die Kunst der neunziger Jahre? Vielleicht fängt es so an: eine nackte Wand, ein Gestell. Beziehungslos steht es im Raum. Dann beginnt sich die Achse zu drehen, eine Kette bringt eine Stahlkugel zum Kreisen. Noch ein paar Sekunden, dann der Einschlag. Bröckelnder Putz: Liz Larners Corner Basher. Gleich daneben liegt Sanftes. Ein paar Wolldecken verbergen etwas. Zugedecktes entzieht sich den Blicken. Everything Is Hidden von Meg Cranston. Das brutale Krachen der um sich schlagenden Kugel und die Stille des Verstecks, das eine das aufdringlichste, das andere das unscheinbarste Werk der Show. Man muß diese Kunst nicht mögen, ein Erlebnis ist sie dennoch.

Christof Boy

„The Köln Show“, bis 26.Mai, Katalog 28 DM. Daniel Buchholz, Galerie Max Hetzler, Esther Schipper, Galerie Gisela Capitain, Jablonka Galerie, Monika Sprüth Galerie, Tanja Grunert, Galerie Isabella Kacprzak, Galerie Sophia Ungers.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen