: Ölpest in den Oasen
■ Ein Interview mit dem saudi-arabischen Schriftsteller Abderrahman Munif / Sein fünfbändiger Roman „Die Salzstädte“ beschreibt den zerstörerischen Wandel, den der Ölreichtum in den Nomadengesellschaften am Golf bewirkt hat / Der Autor ist ausgebürgert, das Buch in den Golfstaaten verboten
taz: Die saudi-arabische Regierung hat Ihnen schon sehr früh die Staatsbürgerschaft entzogen, lange Zeit vor der Veröffentlichung Ihres ersten Romans. Aus welchem Grund?
Munif: Es stimmt, man hat mir bereits 1963 den Paß entzogen und damit die Staatsbürgerschaft aberkannt. Ich hatte während des Studiums politische Interessen und Ansichten entwickelt, die der saudischen Regierung mißfielen. Die Strafe für mein politisches Engagement war der Entzug des Passes - eine harte und ungerechte Strafe, die für mich und meine Familie verheerende Folgen hatte. Ich bin jetzt seit 27 Jahren ausgebürgert und auf die Gastfreundschaft der Länder angewiesen, die mich aufnehmen. Meine Kinder haben Pässe Algeriens, des Irak und der Volksrepublik Jemen. Auch ich habe einen jemenitischen Paß.
Ohne aus der Sache ein Politikum machen zu wollen - ich glaube, das Recht auf Staatsbürgerschaft darf einem Menschen nicht ohne schwerwiegende Gründe, aus einer Herrscherlaune heraus abgesprochen werden. Vor Kurzem hat mir die saudische Regierung eine „Rückkehrerlaubnis“ angeboten. Ich erhalte also nicht meinen Paß zurück, sondern ich könnte nach Riad zurückkehren, wo dann, nach einer „Abrechnung“ das Problem irgendwie gelöst würde: Entweder ich zeige Reue und werde rehabilitiert - dann bekomme ich vielleicht meinen Paß wieder - oder ich werde für alles zur Rechenschaft gezogen.
Ich will meinen Paß ohne Bedingungen zurückhaben. Ich erwarte ja keine Entschuldigung, aber ich will frei entscheiden können, ob ich ein Land verlasse und wohin.
Obwohl Sie ja eine Einladung aus Berlin zu einer Lesung im „Haus der Kulturen der Welt“ vorlegen konnten, hat die Deutsche Botschaft in Damaskus die Erteilung des Visums verzögert. Lag das vielleicht an Ihrer persönlichen Situation?
Den deutschen Behörden war es vielleicht suspekt, daß ich ein Visum beantragt habe, um an den Lesungen arabischer Autoren teilzunehmen. Vielleicht kann man im Westen nicht recht nachvollziehen, was es bedeutet, staatenlos zu sein. Für uns Araber ist das ein großes Problem. Ich habe es am eigenen Leib erfahren und in meinem ersten Roman „Ashgar wa ightal Marzuq“ (Die Bäume und die Ermordung von Marzuq) behandelt. Es geht darin um Menschen, die das Recht auf einen Paß verlieren und sich nicht mehr frei bewegen dürfen. Marzuq Abd as-Salam ist ein Universitätsdozent, der wegen politischer Betätigung vom Dienst suspendiert wird. Er bemüht sich um Arbeit, zuletzt versucht er, sich einer Gruppe französischer Archäologen anzuschließen, aber die Behörden weigern sich, ihm einen Paß auszustellen. Viele Besuche bei den Ämtern und viele Bestechungsgelder sind nötig, damit er endlich seinen Paß erhält. 1973, als ich diesen Roman geschrieben habe, gab es noch nicht viele Ausgebürgerte in den arabischen Ländern - aufgrund der politischen Lage und der zunehmenden Unterdrückung hat sich ihre Zahl in den letzten Jahren vervielfacht.
„Ausbürgerung“ und „Recht auf Staatsbürgerschaft“ ist überhaupt ein wichtiges Thema in Ihren Werken...
Ich möchte mich nicht als politischen Schriftsteller verstanden wissen, ich will nur das Recht haben, meine Meinung zu sagen, ohne daß mich ein Buch meinen Paß und meine Freiheit kostet. Mein Anliegen ist kultureller Natur nicht weil ich politische Arbeit scheue, sondern weil ich zur Zeit keinen Sinn darin sehe, mich politisch zu organisieren.
Sind sie deshalb aus der Baath-Partei ausgetreten?
Ich bin 1962 ausgetreten, weil ich diese Partei für unfähig hielt, die notwendigen Reformen und Veränderungen in unserer Region zu bewirken.
Welches sind in der gegenwärtigen Situation die wichtigsten Aufgaben für die arabischen Schriftsteller.
Ein arabischer Literat ist ein Fidai, ein Freiheitskämpfer: In Ländern, in denen es keine Meinungsfreiheit gibt, keine Parteien zugelassen sind, wo vielleicht nicht einmal eine Verfassung existiert, müssen die Intellektuellen, müssen alle, die sich ausdrücken können, Widerstand leisten. Ihre Aufgabe ist es, die Menschen aufzuklären, sie auf Recht und Unrecht hinzuweisen, solange es an legalen und allgemein anerkannten politischen Institutionen mangelt. In Saudi -Arabien und einigen Golfländern gibt es keine Verfassung, keine Legislative und Exekutive durch die die Machtverteilung und die Beziehungen zwischen Bürgern und Staat geregelt wäre, keine Garantien auf die sich ein Bürger notfalls auch gegen den Staat berufen könnte. Dort haben die Herrscher und die religiösen Führer die Macht, und sie nutzen sie nach Belieben für ihre Interesse.
Sie haben Saudi-Arabien einmal als Schlange mit zwei Köpfen bezeichnet - der eine Kopf die Religion, der andere Kopf das Erdöl. Sehen Sie in der Entdeckung und Ausbeutung der Erdölvorkommen etwas Negatives?
Erdöl ist ein neutraler Rohstoff, weder positiv noch negativ. Es kommt darauf an, wer den Rohstoff ausbeutet, und was damit geschieht. Das Erdöl hat uns Reichtum und Vorteile in anderen Bereichen, etwa im Bildungswesen gebracht. Aber man kann nicht sagen, daß die Ölförderung mit ihren Folgen für unsere Länder insgesamt segensreich war. In Saudi -Arabien wie in den meisten Ölländern diente das Ölgeschäft nur dem Vorteil einer schmalen Schicht, die darauf bedacht war, ihre Interessen zu verfolgen und ihre Macht auszuweiten. Wenn der natürliche Reichtum eines Landes den Herrschern hilft, die Menschen zu unterdrücken, dann muß man an seinem Wert für das Land zweifeln.
Was die Religion angeht, so kann ich nur wiederholen, daß ich Muslim bin - aber ich habe eine andere Auffassung von meiner Religion, als eine Regierung, die mit Vorliebe nach dem Freitagsgebet im Namen des Islam Menschen hinrichten läßt.
Die Könige, Emire und Regierungsvertreter in ihrem Roman „Die Salzstädte“ erinnern an Figuren aus der Geschichte Saudi-Arabiens. Wollten sie einen historischen Roman schreiben?
„Die Salzstädte“ sind kein historisches Werk im eigentlichen Sinn. Natürlich bezieht der Roman seinen Hintergrund aus der Geschichte und einige Episoden decken sich mit Ereignissen zu einer bestimmten Zeit in einem bestimmten Land, sie hätten sich aber ebenso gut in einem anderen Land zutragen können. Wenn „Die Salzstädte“ nicht vor allem anderen als Roman gelesen wird, dann habe ich mein Ziel verfehlt. Einige Figuren im Roman mit ihren charakteristischen Merkmalen sind der Geschichte entnommen, ebenso Orte und Städte, aber sie werden neu konstruiert, aufgebaut und erweitert. Sie sind fiktiv, aber keine Phantasieprodukte, sondern sie gehen auf konkrete Orte und Namen zurück, die es in mehr als einem arabischen Land einst gegeben hat und heute noch gibt. Ihre Verwendung ergibt eine Art historisches Gedächtnis, ruft Bilder und Konnotationen hervor, die rein fiktive Namen nicht erzeugen würden.
Was bedeutet der Titel „Die Salzstädte“?
Im Arabischen sagt man, etwas hat sich aufgelöst wie Salz, wenn man das Verschwinden beschreiben will. Die Salzstädte sind Städte ohne tiefe Wurzeln, sie sind aus dem Boden gestampft worden und zum Untergang verurteilt. Sie gleichen den Salzdünen, die sich auflösen, sobald das Wasser sie erreicht. So werden sie vergehen, samt ihren Wolkenkratzern aus Glas und Stahl. Es zeugt von Wahnsinn und Kurzsichtigkeit, solche Bauten in die Wüste zu pflanzen. Die Beduinen leben in Zelten, angepaßt an das Wüstenklima; von allen Seiten kann der Wind hindurch. Auch die seßhaften Araber haben Häuser aus den Rohstoffen der natürlichen Umgebung gebaut und die Naturbedingungen berücksichtigt: Die Fenster ihrer Häuser waren klein und schmal, damit die Sonne nicht hineinscheinen konnte. Aber die Wolkenkratzer sind eine Hölle für die Menschen - was geschieht, wenn bei 50 Grad im Schatten der Strom ausfällt? Sie verwandeln sich in Backöfen!
Wir brauchen keine Paläste, keine menschenfeindliche Pracht. Was wir brauchen sind menschliche Städte, in denen man leben kann.
Interview: Norbert Mattes
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen