: Fremde Federn
Unechte Hafenstraßler forderten dreist Becker-Karten ■ P R E S S - S C H L A G
Den elektronischen Medien gefielen die Hafenstraßen -Fälschungen viel besser. Erstens hatten sie mit den Originalen überhaupt nicht gerechnet, zweitens hätten sie sie auch nicht gefunden, und drittens waren die Fälschungen auch lauter: Am Freitag versammelten sich am Hamburger Rothenbaum mehrere Frauen und Männer, trugen bunte Haare und autonome Haute Couture (angerissene Lederjacken, Sicherheitsnadelohrclips und Fliegerstiefel) zur Schau.
Auf einem stilsicher auf der schmutzigen Erde drapierten Transparent forderten sie: „Boris, wir sind hier! Wo sind die Karten?“ Auf Nachfrage räumten die Autonomen Models indes ein, nicht in den verfemten Häusern am Hamburger Hafenrand zu leben, aber, so eine empört: „Muß man in der Hafenstraße wohnen, um Karten von Boris Becker zu bekommen?“ Nein, aber Boris vergab Tickets nur an die Echten.
Und die kamen auch: Ein Mann und eine Frau, beide nur bei näherem Hinsehen nicht als typische Rothenbaum-Besucher zu erkennen. Tummelten sich einen Tag lang mit Kennerblick auf der Anlage („Wenn Becker ins Finale kommt, zieht er an Edberg vorbei“), bedauerten, Henri Lecontes Satz nicht gesehen zu haben („Der spielt echt edel“) und wurden von keiner Hundertschaft nach Mollies und Zwillen ganzkörperdurchsucht.
Möglich also, daß die Klunkern des Stammpublikums beim Alster-Event in Gefahr waren. Gemerkt hat es jedenfalls niemand. Urteil der Delegierten: „Ist ganz schön hier. Aber am Millerntor ist das anders. Da reden die nicht über Sylt und so.“
Und während das kleine diplomatische Corps der Hafenstraße zuschaute und beiden Sportlern Beifall zollte, stürzte sich das Gros des Medientrosses auf die bunthaarigen Boris -Groupies. Doch ihr Gruseln hielt sich in Grenzen: Friedlich forderten sie Presseunterstützung und drohten, am Sonntag zum Finale, wenn Boris immer noch keine Tickets habe für sie, denen er im Frühjahr die Karten doch fest versprochen habe, dann, ja dann würden sie die Zufahrtsstraßen abzusperren.
Doch Becker blieb hart. Er weiß, daß seine Hafenstraßenanhänger längst da waren und ihm bei seinem Match alle Daumen der Welt drücken. Einmal, so schien's, lächelte Boris ihnen sogar zu. Hinterher sprach er: „Nervös war ich nicht.“ Seine beiden Hafenstraßendelegierten auch nicht. Sicher spielte ihr Freund, gelassen und seiner Spielstärke bewußt.
Wie auch beim Halbfinale gegen Henri Leconte, gegen den Becker bis auf zwei Ausnahmen (auf Sand) immer gewann. Am Sonnabend behielt Becker die Oberhand, spielte im ersten Satz brillantes Tennis, im zweiten wie ein Angsthase und im dritten - nach einer Hechtrolle am Netz - wie ein Sieger: 6:3, 3:6, 6:3.
Leconte ehrlich: „Becker hat besser gespielt.“ Finalgegner Beckers ist der Rothenbaumgewinner von 1984, der Spanier Juan Aguilera, der Guy Forget in einem Sandplatzmarathon von zweieinhalb Stunden mit 7:5 und 7:6 müde spielte.
Warum Becker seine Ehrenkarten nicht fürs Finale herausrückte? Ganz einfavh: „Ich wußte doch gar nicht, ob ich überhaupt so weit komme.“
Jan Feddersen
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