: Das Wendland wartet wieder auf den Castor
„Eskalierende Blockade“ des atomaren Zwischenlagers in Gorleben / Oberkreisdirektor von Lüchow-Dannenberg warnt Bürgerinitiative vor Blockadeaktionen / Rätselraten über die Herkunft der erwarteten abgebrannten Brennelemente / Was wird mit dem Atommüll aus der DDR? ■ Von Gerd Rosenkranz
Berlin (taz) - Im Vorfeld der erwarteten ersten Castor -Transporte in das Zwischenlager Gorleben verschärfen sich die Auseinandersetzungen zwischen den Bürgerinitiativen im Wendland und den regionalen Behörden.
Als Reaktion auf eine Anzeigenserie der Bürgerinitiativen in der 'Elbe-Jeetzel-Zeitung‘ hat jetzt der Oberkreisdirektor des Landkreises Lüchow-Dannenberg die AKW -GegnerInnen davor gewarnt, mit Straßenblockaden gegen die Atomtransporte vorzugehen.
Dessen ungeachtet versperrten gestern vormittag dreißig Kinder und dreißig Erwachsene die Zufahrt des atomaren Zwischenlagers. Es war die zweite der „eskalierenden Blockaden“, die künftig jeweils am Montagmorgen mit wachsender Beteiligung stattfinden sollen. Die Polizei hielt sich gestern mit Maßnahmen zurück, als die DemonstrantInnen begannen, ein Fachwerkkinderhaus zu errichten.
Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg läßt derzeit den bereits vor eineinhalb Jahren von über 700 BürgerInnen unterstützten Aufruf „Wir stellen uns quer“ wiederaufleben. Die UnterzeichnerInnen des damaligen Aufrufs hatten angekündigt, sich den Transporten „in den Weg stellen zu wollen“. Dies, so diktierte nun der Oberkreisdirektor in einen an die mutmaßlichen OrganisatorInnen verschickten Vermerk, lasse „eindeutig unfriedlich ausgerichtete Versammlungen“ erwarten. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien Verkehrsbehinderungen oder -blockaden als Ziel einer Demonstration „unrechtmäßig“.
Die regionale 'Elbe-Jeetzel-Zeitung‘ druckte in der vergangenen Woche eine ganze Serie von BI-Anzeigen und Kleininseraten ab, in denen die Unterstützung der Blockadeaktionen angekündigt wurde.
Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg forderte darin unter anderem „Gewissensfreiheit“ für die Angehörigen von Polizei und Bundesgrenzschutz (BGS). Kein Beamter dürfe gegen seinen Willen „zur Durchsetzung der Atomenergie gezwungen werden“, heißt es in dem Aufruf. Polizeieinsätze, die dem Weiterbetrieb von Atomkraftwerken dienten, seien „vergleichbar mit Kriegsdienst“. Beamte, die die Verantwortbarkeit der Atomenergie in Frage stellen, seien aufgerufen, von ihrer Gewissensfreiheit Gebrauch zu machen.
Unterdessen scheint immer noch völlig offen, aus welchem Atomkraftwerk die ersten Castor-Transporte ins Wendland abgehen werden. Recherchen der Bundestags-Grünen haben ergeben, daß derzeit „kein akuter Entsorgungsdruck bei abgebrannten Brennelementen aus irgendeinem Atomkraftwerk in der Bundesrepublik besteht“. Allerdings seien alle öffentlich zugänglichen Daten über den Zwischenlagerungsbedarf „mit Vorsicht zu genießen“, erklärte Fraktionsmitarbeiter Heinz Laing gegenüber der taz.
Die meisten Atomkraftwerke, die vor der Aufgabe der Wiederaufbereitungsanlage Wackersdorf das dortige Zwischenlager als Entsorgungsnachweis angegeben hatten, hätten inzwischen ihre bis 1999 gültigen Verträge mit der französischen Cogema (La Hague) und der britischen BNFL (Sellafield) aufgestockt.
Auch bei den drei Atomkraftwerken Brunsbüttel, Würgassen und Philippsburg I, die noch im vergangenen Jahr das Zwischenlager Gorleben als Entsorgungsnachweis geführt hätten, sei davon heute nicht mehr die Rede. Nach einer Ende April bekanntgewordenen „Länderumfrage“ des Bundesumweltministeriums vom Dezember 1989 tauche das Zwischenlager Gorleben als Entsorgungsnachweis überhaupt nicht mehr auf.
Laing glaubt deshalb „eher an eine politische Entscheidung“ über den Zeitpunkt möglicher Castor-Transporte ins Wendland. Für die Betreiber sei es unter Umständen günstig, wenigstens mit der Castor-Einlagerung begonnen zu haben, wenn über den Antransport der hochradioaktiven Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung in La Hague (ein entsprechender Genehmigungsantrag läuft seit 1988) entschieden werden muß.
Laing stellte auch die Frage nach der Zukunft der abgebrannten Brennelemente aus dem DDR-Atomkraftwerk Greifswald, deren Rücknahme die sowjetischen Hersteller derzeit verweigern. Wenn demnächst bundesdeutsches Atomrecht, wie von Bundesreaktorminister Töpfer vorgesehen, in die DDR exportiert werde, sei die Bundesrepublik Deutschland auch für die Entsorgung dieses Atommülls zuständig.
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