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SELBSTRIECHEND

■ Asynchron - 1. Berliner StudentInnen-FilmFestival

Im September 1989, in der Zeit des Studentenstreiks, gründete sich im Fachbereich Theaterwissenschaften der FU ein autonomes Seminar über Filmfestivals. Schnell kam man auf die Idee, selber ein Filmfest zu organisieren. „Schrankfilme“, Kurz-Filme - aus Ost und West, darauf legt man Wert, und so gab's dann auch Zuschüsse vom Ministerium für innerdeutsche Angelegenheiten - also Filme, die normalerweise im Schrank liegen bleiben, sollen beim AsynchronstudentInnenfilmfest gezeigt werden. 200 Filme wurden eingesandt, ein Drittel aus dem Osten. 54 wurden schließlich ausgewählt und in zehn Programmblöcken thematisch gruppiert: gruselig-absurd, komisch (das sei bei den Einsendungen der Schwerpunkt gewesen), technisch, fraulich, experimentell, pittoresk, sozialismusdokumentierend.

Bei der Filmauswahl bemühte man sich um höhere „Qualitätsansprüche“ als sie das Interfilmfestival stelle; die Lücke zwischen europäischem Kurzfilmfestival und Interfilm soll gefüllt werden. Trotzdem haben sie auch „ganz bewußt Sachen reingenommen, die ein bißchen abgedreht sind“. Fast die Hälfte aller Filme kommen von den Filmhochschulen in Ost und West. Manchmal lassen die acht „konventionellen, aber technisch perfekten“ (was doch eigentlich das gleiche ist) 35-mm-Filme (sieben aus Potsdam, einer aus Hamburg) und die 30 (23 aus dem Westen, sieben aus dem Osten) 16-mm-Filme den privatdilettierenden, individuellen Blick vermissen, der das Kurzfilmgucken sonst so interessant macht. Einigen FilmerInnen merkt man an, daß ihnen das Handwerk wichtiger war als die Geschichte. Sie scheinen ganz in echt, wirklich und bezahlt, einmal Filme drehen zu wollen und scheitern manchmal, wenn sie wie Florian Gärtner S-8 als eigenständiges Medium verleugnen. Die Filme wirken dann studentisch, wie Übungen des Ernstfalls, der dann eintritt, wenn bezahlt wird. Andere, wahrscheinlich die meisten, sind jedoch begeistert bei der Sache. Wie der Hamburger Michael Heinrich: Herostrat, sein fiktiver Dokumentarfilm in schwarzweiß, ist schlicht genial. Da geht es um die Lieblingstheoreme der 80er Jahre: um Identität, um Simulation. Es geht um das Attentat auf Ronald Reagan und vor allem um Nasen und ihre identitätsstiftende Bedeutung. Der Mensch, so erklärt die Synchronstimme von Robert de Niro, zeichne sich vor anderen Säugern dadurch aus, daß seine Nasenlöcher nicht nach vorne, zum anderen hin zeigen, sondern nach unten. Im permanenten Eigengeruch befangen, bestätigt ihm die Nase (nicht sein Denken), daß er ist. Allein. Tausende und aber Tausende Bilder von Nasen hängen im Zimmer des Reagan-Attentäters, in Ordnern findet sich das Material eines wunderbar logischen Wahnsystems. Unter den Blicken von Millionen Fernsehzuschauern verbrannte die Nase als der vorgelagertste Punkt des Gesichts, so erzählt er. Reagan, der Medienbewußte, hatte Nasenkrebs, fügt er lächelnd an. Da gibt es doch einen Zusammenhang. Merkwürdige Überlegungen stellt er an und zieht den Zuschauer in seine sonderbare Logik.

Dokumentarisch ist Was jeder muß aus Babelsberg: ein junger Mann, fast noch ein Kind, (DDR-typisch verheiratet und Kind) muß zur Armee. „Muß doch jeder“, antwortet er auf die Frage, ob er sich was anderes vorstellen könne. Ohne große Kommentare, unter Verzicht auf eine Ästhetik, die das Gezeigte in den Hintergrund rücken würde, sieht man, wie die jungen Soldaten draußen üben, sieht die nächtlichen Flure in einer Kaserne, hört den FdJ-Beauftragten eine Rede unüberzeugend, unüberzeugt, zur Weihnachtsfeier halten. Da sitzen die Armen vor ihrem rührend unbeholfen geschmückten Tisch, da sitzt die Frau des jungen Soldaten mit ihrem Kind vor einem Tonband und weiß nicht recht, was sie ihrem Liebsten so sagen soll. Er weiß auch eigentlich nichts zu sagen. Und am besten ist der Fahneneid als Realsatire: „Ich beglückwünsche Sie zu ihrer Vereidigung“, ruft der Offizier. „Hurra, hurra, hurra!“, antworten die Soldaten.

Unbeholfen, als wäre er einer der eben gesehenen Soldaten, kommt dagegen der Ostberliner Versuch eines Aufbruchs daher: „Gegen Mauern anrennen, sie einrennen, Hoffnung und Ernüchterung. Ereignisse in der DDR 1989.“ In S-8. Ein bärtiger junger Mann kommt nicht aus seinem Zimmer raus. Die Türen sind abgeschlossen. Er rennt gegen Mauern. Netze und Gitter spielen eine Rolle. Holger Vollbrecht ist Jahrgang 1962. Die Masse ist gesichtslos.

Im Westen ist es der Killer, das es und es ist Florian Gärtner, in S-8 und Farbe. Mit einer Sichel bedroht es, im (schwäbischen?) Maisfeld das junge Paar. Musik von Carpenter. Zuerst stirbt der Hund, dann der Mann, dann übermannt es die Frau. Das ist bestimmt die Freundin vom Florian. Stolz kann sie darauf sein, daß ihr Freund 1989 eine Bronzemedaille beim Bundesfilmfestival der Amateuere für Fantasy und Experimentalfilm gewonnen hat, wie im Info vermerkt ist. Gärtner würde sicher gerne einmal einen richtig großen Film machen. Da werden wieder Frauen gejagt werden. Denen gefällt das ja.

Wie das Teetrinken dem Helden in einem wirklichen kleinen, schönen HFF-Kurzspielfilm nach einer Erzählung von Stanislaw Lem (Bumerang) gefällt. Allein im All muß er gegen sich selbst bestehen und vervielfältigt sich dabei in verschiedenen Zeitschleifen aufs Lustigste in einem sehr sehenswert zusammengestotterten Raumkreuzer. In einem wunderschönen Malfilm von Gabriele Gruber aus West-Berlin, im verwischten Popvideocomicdesign, beharren die Traumbilder auf ihrer Autonomie. „Der vielfache Blick“, so sagt sie, „ist zum Vereinzelten mutiert. Aus der Leine wird ein Strick. Es folgt der kollektiv vereinzelte Blick, die Peepshow.“ Und eigentlich ist das viel weniger intellektuell und der 16-mm-Film zeichnet sich, wie gute Kunst, dadurch aus, daß er seine Regeln und Bilderfolgen nur für sich bestimmt.

Dies und einiges andere - wie Masturbationsphantasien von Claudia Schillinger An einem sonnigen Sonntagnachmittag aussehen, wie eine Kranke mit den Zeugen Jehovas umspringt, und 45 andere interessante und aufregende Themen werden vom 18. bis zum 20. Mai in Arsenal und Babylon zum Kurs von 1:2 (Westeintritt sechs Mark, Osteintritt drei Mark) zu begutachten sein. Und Samstag nacht um ein Uhr gibt es auch noch eine prima Filmparty im Babylon, ein Shuttlebus (könnt ihr kein Deutsch?, säzzer) - darauf sind die Asynchronisten besonders stolz - wird kostenlos die ganze Nacht zwischen Arsenal und Babylon hin- und herfahren.

Detlev Kuhlbrodt

Arsenal: Freitag, 18. Mai ab 18 Uhr; Samstag, 19. Mai und Sonntag, 20. Mai ab 16 Uhr.

Babylon: Freitag, 18. Mai ab 21 Uhr; Samstag, 19. Mai und Sonntag, 20. Mai ab 17 Uhr.

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