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Der Stürzer im Blätterwald

■ Nicht Streik, sondern Streit bei der Bremerhavener Nordsee-Zeitung

Im bundesdeutschen Blätterwald tobt der RedakteurInnen -Streik. In der ganzen Bundesrepublik? Nein - in einem kleinen Städtchen am Weserende tobt innerhalb der Monopolzeitung nicht Streik, sondern Streit - und zwar nicht etwa zwischen den Tarifparteien, sondern unter den RedakteurInnen. Der Zustand ist nicht neu in Bremerhaven, aber daß nach CDU, SPD und Grünen nun auch noch die wackere „Nordsee-Zeitung“ im eigenen Sumpf zu versinken droht, das ist neu und kam so:

Seit der lokale Chefreporter Heinz-Werner Stürzer vor anderthalb Jahren den Landesvorsitz der journalistischen Standesorganisation DJV übernahm, macht er seinem Namen alle Ehre. Erst stürzte er im Zeitungshaus die stramme Macht der Konkurrenzgewerkschaft IG-Medien, dann stürzte er bei Warnstreikbeginn zu Schlichtungsverhandlungen in die Chefetage seiner Zeitung und schließlich stürzte er die RedakteurInnenschaft in Aufruhr. Nach einer Austrittswelle vor acht Wochen vertrat er dabei immerhin 20 RedakteurInnen, die große IG-Medien vertritt nur noch fünf - Streikgeld muß sie allerdings an 16 zahlen, denn der Übertritt zum DJV wird erst zum Quartalsende wirksam.

Die Nordsee-Zeitung habe die Ausbildungsrichtlinien für Volontäre, um deren tarifvertragliche Festschreibung die Gewerkschaften kämpfen, immer „wirklich ernst genommen“, schrieb Chefreporter Stürzer am 16. Mai im Aufmacher-Artikel auf der Seite 1 der „Nordsee-Zeitung“. Damit diese Meinung des DJV-Chefs gedruckt werden konnte, mußte erstmal der Warnstreik eingeschränkt werden. Denn sonst wäre die NZ statt als „Notausgabe“ überhaupt nicht erschienen.

„Mit einer handstreichartigen Erpressung“ sei Stürzer dieser Sprung aus den Niederungen des Lokalen auf die große Seite eins gelungen, konnten die NZ-RedakteurInnen tags darauf auf ihrem Bildschirm lesen. Der Ressortleiter Politik, Alfred Müller, hatte es per hausinterner Computer-Sammelmitteilung dorthingeschrieben und auch gleich den angemessenen Platz für Stürzers „cäsarenhafte Profilierungssucht unter scheindemokratischem Mantel“ ausgemacht: das „Neue Deutschland“.

Der Rüffel kam postwendend zurück. Zwar steht Müller in der Bremerhavener Zeitungshierarchie eine Stufe über Stürzer, doch der hatte mit dem Zügeln des Streiks das Vertrauen der Häuptlinge gewonnen. Müller widerrief und ließ seine KollegInnen per Computerkabel wissen, daß „aus sonst zuverlässigen Kreisen bekannt wurde“, daß das „Neue Deutschland“ jetzt doch „nicht bereit“ sei, Stürzer aufzunehmen. Statt Stürzers Absturz in den Osten wird bei der Nordsee-Zeitung nun mit seinem hausinternen Sturz nach oben gerechnet. Rosi Roland

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