: Arzt ja, schwul nein!
■ Schildbürger-Posse: Charlottenburg würdigt den Urvater der Schwulenberatung und Sexualwissenschaftler, Magnus Hirschfeld, gleich mit zwei Gedenktafeln
Charlottenburg. Das sogenannte öffentliche Straßenland, also BürgerInnensteig plus Bäumchen plus Kackstreifen plus Gosse, erhält im Bezirk Charlottenburg eine neue kulturelle Funktion. Wo sonst Poller das wilde Parken verhindern sollen, wachsen in diesem Bezirk Gedenktafeln empor. Wie schon im letzten Herbst, als die Ehrung Hunderter vom Reichskriegsgericht hingeschlachteter Deserteure wegen der ablehnenden Haltung der heutigen RichterInnen nicht am Gebäude selbst möglich war, sondern nur auf bezirkseigenem Straßenland davor, so wird es nun wohl auch mit der Gedenktafel für den Sexualwissenschaftler und Urvater der ersten deutschen Schwulenbewegung, Dr. Magnus Hirschfeld (1868-1935), laufen. Der Volksbildungsausschuß Charlottenburg beschloß am Mittwoch mit den Stimmen von AL und SPD eine Empfehlung an die Bezirksverordnetenversammlung, daß für Hirschfeld, den Gründer der ersten deutschen Schwulenorganisation, des „Wissenschaftlich-Humanitären Komitees“, zwei Gedenktafeln erstellt werden.
Eine „saubere“ Version am Haus Otto-Suhr-Allee 93, wo Hirschfeld wirkte, und eine auf dem BürgerInnensteig, die Hirschfeld als Homo-Pionier würdigt. Grund für das Gedenk -Splitting ist ein seit zwei Jahren andauernder Streit zwischen der Magnus-Hirschfeld-Gesellschaft und der Eigentümerin des Hauses, der Berliner „Comet Grundstücksverwaltung“. Mit „Rücksicht auf die Interessen unserer westdeutschen Kapitalanleger“ forderte die „Comet“, daß auf der Gedenktafel, die durch das Senats -Gedenktafelprogramm finanziert wird, doch bitte nicht die Worte „homosexuell“ oder „schwul“ vorkommen sollten. Sie lehnte mehrere Textvorschläge der Hirschfeld-Gesellschaft, die das schwulenpolitische Engagement hervorhoben, ab - und entschied sich für einen Text, der den Schwulen-Nestor als in Charlottenburg praktizierenden Arzt würdigt. Von höherer Stelle, von der Frauensenatorin Klein, war die Lokalposse mit einem Brief an den schwulen Bezirksverordneten Micha Schulze satirisch kommentiert worden.
Anne Klein, unter deren Senatsdach auch die erste bundesdeutsche schwul-lesbische Behörde residiert, schlug für die Zukunft folgendes vor („ohne mich in Bezirksangelegenheiten einmischen zu dürfen und zu wollen“): „Es kann vielleicht ein origineller pädagogischer Ansatz sein, ohnehin bekannter Personen unter ausschließlichem Hinweis auf ihre sogenannten bürgerlichen Berufe zu gedenken, zum Beispiel also des Sattlers Friedrich Ebert, des Richters E.T.A. Hoffmann, des Arztes Alfred Döblin und der Sekretärin Mascha Kaleko.“
kotte
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