: Keine Freundschaft
■ Über den jetzt veröffentlichten Briefwechsel: Peter Hacks - Heinar Kipphardt
Der Briefwechsel zwischen Peter Hacks und Heinar Kipphardt wurde jetzt - soweit er für den Herausgeber greifbar war editiert.
Heinar Kipphardt und Peter Hacks kamen aus Niederschlesien. Nach Kriegsende lebte Kipphardt im Rheinland, 1949 zog er nach Ost-Berlin, dort arbeitete er zunächst an der Charite als Arzt der Psychiatrie. Nach Gründung der Bundesrepublik ging Kipphardt aus politischer Überzeugung in die DDR.
Peter Hacks lebte nach dem Krieg in Dachau bei München und sein DramaDie Eröffnung des indischen Zeitalters, ein Stück, das sich noch an die Dramaturgie Brechts anlehnt, hatte an den Münchener Kammerspielen Erfolg. Schon 1953 hatte Hacks die DDR als „Heimat aller deutschen Schriftsteller bezeichnet“, 1955 zog er nach Ost-Berlin.
Soweit die Vorgeschichte. Der Briefwechsel beginnt im April 1955. Er dokumentiert die Freudschaft zwischen Linksintellektuellen, die ein äußerst konträres Menschenbild hatten und über den richtigen Weg des Sozialismus denkbar unterschiedliche Auffassungen vertraten. Kipphardt wollte seit Mitte der fünfziger Jahre einen offenen, demokratischen Sozialismus, während Hacks bewußt auf die Macht und Vorherrschaft der Partei setzte, selbst dann, wenn Beschlüsse nur gegen den Willen des Volkes durchzusetzen waren. Die beiden Haltungen bestimmten die Dynamik des Briefwechsels. Der Briefwechsel ist bis 1972 dokumentiert, dann zerbrach die Freundschaft. Die Briefpartner beschäftigten sich ausführlich mit politischen und ästhetischen Fragen der schriftstellerischen Produktion, und sie nahmen zu aktuellen politischen Ereignissen Stellung. Im April 1955 schickte Kipphardt ein Telegramm nach Dachau, darin bat er Hacks im Namen des Staatstheaters der DDR um Mitarbeit, „freuen uns auf Ihr Kommen. Drahten Sie Ankunft“.
Als Hacks im Herbst 1955 nach Ost-Berlin zog, hatte er das Lustspiel Die Schlacht bei Lobowitz im Gepäck. Unter der Regie von Wolfgang Langhoff wurde die Komödie ein Jahr später am Deutschen Theater uraufgeführt. Das Stück spielt während des Siebenjährigen Krieges und thematisiert einen paradoxen Sachverhalt: Liberale Umgangsformen im militärischen Umfeld seien nur eine besonders perfide und ausgekochte Form der Unterdrückung von Untergebenen und somit weitaus schlimmer als Drill und offener Zwang. Selbstverständlich war das Stück 1956 auch ein polemischer Beitrag zur Wiederbewaffnung der Bundesrepublik.
Ende 1959 verließ Kipphardt die DDR, er hatte einen Vertrag mit dem Düsseldorfer Schauspielhaus unterschrieben. Die näheren Umstände sind bis heute nicht vollständig geklärt. In Ost-Berlin war Kipphardt in das Kreuzfeuer der staatlich verordneten Kritik geraten, ihm wurde eine revisionistische Theaterpolitik vorgeworfen, er habe sich dem bürgerlichen und modernistischen Theater verschrieben und lasse den notwendigen Klassenstandpunkt vermissen. Kipphardt schrieb damals in sein Notatheft: „So wird in Ulbrichts Land (der Diktatur eines spießbürgerlichen Parteiapparates, die sich mit dem Namen Sozialismus drapiert) die blinde Unterwerfung für Disciplin, die Selbsterniedrigung für Selbstkritik, die Nachbeterei für eine neue Wissenschaftlichkeit gehalten. Lobhudelei gilt als Parteilichkeit, vernünftige Erwägung wird Defätismus gescholten, und Objektivität gilt als bürgerliches Vorurteil.“
Im Oktober 1959 bat Kipphardt den Kulturminister der DDR um die Ausreisegenehmigung für sich und seine Familie: Zuvor war ihm die Leitung des Hygienemuseums in Dresden angeboten worden, um ihn möglichts unauffällig aus seiner exponierten Stellung zu entfernen.
Kollegen und Vorgesetzte, auch Hacks, distanzierten sich öffentlich von Kipphardt. Die apodiktische Forderung nach sozialistischem Realismus wurde seit den Bitterfelder Konferenzen stereotyp erhoben und adminstrativ durchgesetzt. Hacks fand die Prinzipien des real existierenden Sozialismus durchaus in Ordnung. Er litt nicht unter der stalinistisch geprägten Herrschaftsform, im Gegenteil: Er verstand sie als notwendige Plattform für seine schriftstellerische Arbeit.
„Ich muß sagen, daß mein Entschluß kein Plan war“, versichert Kipphardt, aber die Reaktion des Ostberliner Freundes bleibt ausgesprochen schroff und ablehnend: „Berlin, 22.Dezmber 1959. Lieber Heinar, ich finde, was Du schreibst nicht lustig. Wenn sich wer wo Stimmungen leistet, bist Du das, und Dein Verhalten geht leider in keiner Weise von Deinem Gehirn aus, vielleicht hast Du auch keins oder kein großes. Nun befindest Du Dich in einem Land, wo kulturpolitische Differenzen gesundheitsschädlicher sind als in unserem. Was wirst Du machen? Deine Zukunft ist ungewiß und schwer voraussagbar. Vielleicht wirst Du Dummendoktor in Mexiko. Vielleicht wirst Du Schnulzenschreiber in München. Vielleicht wirst Du Vortragsreisender und informierst nicht überraschte Rundfunkhörer darüber, daß der Sozialismus in der DDR der wahre Sozialismus doch eben nicht sei.“
In jener Zeit war bei linksintellektuellen Freundschaften ein rüder Umgangston häufig, die Diskutanten hielten sich stets zugute, es gehe beim Streit ausschließlich um die gemeinsame Sache des Sozialismus und auf gar keinen Fall um individuelle Beziehungen. Menschen galten dabei - ganz wie in Brechts frühen Lehrstücken - als eine Art soziologische Handlungszombies, die mehr oder weniger nützliche Haltungen produzierten, um sie später auf dem marxistisch -leninistischen Prüfstand zu berurteilen.
Aber Kipphardt spielte diesmal nicht mit; Hacks Brief nahm er sehr wohl persönlich, am 25.Dezember 1959 konterte er trocken: „Lieber Peter, wenn da nichts mitzuteilen ist als ödes Propagandistengewäsch, dann wollen wir das lassen. Auch das Messen von Gehirngrößen wollen wir getrost Dritten überlassen, wenn die Arbeit getan ist. Ich bemerke, und Du hast bemerkt, daß ich über Persönliches rede. Schöstens Dein Heinar.“
Kipphardt hatte gegenüber Hacks stets ein großes Rechtfertigungsbedürfnis, Vorwürfe, er sei ein egoistischer, lediglich subjektiven Problemen verhafteter Mensch, beschäftigten ihn, schließlich stand seine Identität als Marxist auf dem Spiel. Später, als sich Kipphardts Lage im Westen konsolidiert hatte - er schrieb an seinem Oppenheimer -Stück und das Drama Der Hund des Generals hatte an den Münchener Kammerspielen Premiere -, erwiesen sich die Kassandrarufe seines Ostberliner Freundes als gegenstandslos. Es war Kipphardt, der erneut den Kontakt suchte und sich nach Hacks‘ Arbeitsplänen erkundigte.
Am 24.Juni 1961 schrieb Hacks: „Es gibt ein langes Essai von mir, das in Prag herausgekommen ist. (...) Es besagt etwa, daß Restaurationen eine Kunst machen, die idealistisch und schön ist, Revolutionen hingegen eine, die idealistisch und häßlich ist, und daß es dann noch ein tertium gebe, nämlich klassische Zeiten, deren Kunst realistisch und schön. Mit klassischen Zeitläufen meine ich solche, wo gerade keine Politik nötig ist, also die Zeit von Shakespeare oder unsere DDR-Zeit. (...) Du hast recht, Jamben sind identisch mit der Orbigkeit. Die Obrigkeit bin ich.“ Hacks hatte mit der neostalinistischen Kulturpolitik wenig Schwierigkeiten. Die gängige Forderung nach sozialistischem Realismus unterlief er souverän mit der Behauptung, die DDR sei nunmehr eine posthistorische Gesellschaft, die klassische Formen der Literatur erforderlich mache. Damit nahm er - unter sozialistischen Vorzeichen - eine letztlich unhaltbare Debatte um die postmoderne Gesellschaft vorweg, wie sie fast drei Jahrzehnte später auch im Westen für kurze Zeit geführt wurde.
Am 13.August 1961 begannen die Grenztruppen der DDR mit dem Bau der Berliner Mauer, auch jetzt gelang es Hacks umstandslos, seine politisch-ästhetische Haltung mit den neuen Gegebenheiten in Übereinstimmung zu bringen. Am 7.September 1961 schrieb er: „Und zweitens herrscht hier eine große Freiheit. Die Grenzschließung hat natürlich einen Volkszorn hervorgerufen, aber zugleich eine echte Fröhlichkeit bei allen, die dafür sind. Diese Fröhlichkeit äußert sich auch in der Überzeugung, daß der innere Mist jetzt ein Ende haben müsse.“
Am 4.Oktober 1961 erhält Hacks aus München, wo Kipphardt jetzt lebt, folgende Antwort: „Lieber Peter, Deine gemalten Perspektiven scheinen mir wenig Realismus zu enthalten, und die Fröhlichkeit bei Volkszorn scheint mir nicht ohne weiteres eine revolutionäre Haltung. (...) Man kann Volkszorn ja auf ganz verschiedene Weise begegnen. Man kann Löcher zukleben, aus denen er gemeinhin entweicht, und man kann das Volk auch abschaffen, um nur die beiden geschätzten, radikal idealistisch gebildete Lösungen zu nennen. Dazu braucht man idealistisch gebildete Unteroffiziere und Dich leider nicht. Ich hoffe natürlich, daß Du recht behälst, nicht ich.“
Aber auch den taktisch versierten Theaterdichter des Deutschen Thaters und späteren Dramaturgen Hacks holt die DDR-Wirklichkeit ein. 1963 mußten sein Intendant Wolfgang Langhoff und er das Deutsche Theater verlassen, weil sein Stück Die Sorgen und die Macht - das auf die Diskussion der Bitterfelder Kongresse reagierte und sich mit aktuellen Fragen der DDR beschäftigte - nicht genehm war: Der Produktionsalltag wurde in seiner Korruptheit und Tristesse realistisch beschrieben, während die vorgeschlagenen Lösungsstrategien in ihrem konkreten Anspruch allzu unverbindlich utopisch gerieten: „Verbesserung der Arbeitsorganisation. Einführung technischer Neuerungen. Hebung des Bewußtseins.“ Hacks lebte von nun an in der DDR als freier Schriftsteller.
Seit 1964 war Kipphardt mit dem Stück In der Sache J. Robert Oppenheimer weltweit erfolgreich. Hacks hielt nicht viel von dem Dokumentarstück über „den Vater der Atombombe“. „Warum willst Du eine naturalistische Dramaturgie erfinden, also eine solche, wo der Autor kein Zutrauen zu seiner eigenen Meinung hat?“ Er kritisiert das Stück vor allem, weil es sich allzu leicht als Rechtfertigung der bürgerlichen Haltung Oppenheimers mißverstehen lasse. Auch Kipphardt sah dies so, und er war bemüht, die Zweifel seines Ostberliner Freundes zu zerstreuen. Es ging soweit, daß er am 5.Dezember 1964 nach Ost-Berlin schrieb, was „Oppie“ betreffe, so bringe sein saudummes Gewäsch Geld, bisher in 18 Ländern. Schon am 14.Juni 1964 hatte Hacks an Kipphardt geschrieben: „Ich gratuliere zum Oppenheimer-Erfolg, und ich prophezeie, es wird einer. Und es wird einer auf Grund eines Irrtums. Nämlich bin ich sicher, daß sich die Publikume der Welt mit Oppenheimer identifizieren werden als mit einem, der das Gute will, wie sie, und der nichts dafür tut, wie sie, und der schrecklich hart damit bestraft wird, daß man ihm, gleich ihnen, nicht gestattet, Amerika zu regieren.“
Seit Januar 1970 war Kipphardt Chefdramaturg an den Münchner Kammerspielen. Damals, im Zuge des Studentenbewegung, war die Politisierung des Theaters auf ihrem Höhepunkt und Kipphardt hoffte noch einmal über das Theater politisch Einfluß nehmen zu können. Doch schon zwei Jahre später kam es zum Eklat: Hansgünther Heyme inszenierte Wolf Biermanns Stück Der Dra-Dra, eine Adaption des Dramas Der Drache des russischen Satirikers Jewjenij Schwarz. Biermann lebte damals in der DDR und seine Stücke wurden dort nicht gespielt, schon deshalb wollte Kipphardt das eher schwache Stück an den Kammerspielen spielen. Im Programmheft, für das Kipphardt presserechtlich die Verantwortung trug, waren zunächst die Porträts von 24 Persönlichkeiten der Politik und Wirtschaft als aktuelle Beispiele für die „Drachenbrut“ vorgesehen. Zwar erschien das Programmheft ohne die Bilder, dennoch scheiterten die Verhandlungen über Kipphardts Vertragsverlängerung als Dramaturg, denn der damalige Münchener Oberbürgermeister Jochen Vogel und vor allem Günter Grass hielten ihn für einen Wegbereiter des Terrorismus.
Nach der Kammerspielaffäre lebte er als freier Schriftsteller. Er zog mit seiner Familie nach Angelsbruck, von dort schreibt er am 30.März 1972: “...links von Grass und Vogel sind nur noch Beelzebub, die Russen und die Bombenleger.“
Als im November 1976 Wolf Biermann aus der DDR ausgebürgert wurde, war es wiederum Hacks, der die Ausbürgerung in der 'Weltbühne‘ rechtfertigte. Kipphardt reagierte auf die Ereignisse mit einer öffentlichen Stellungnahme, die von vielen Künstlern in der Bundesrepublik mitunterzeichnet wurde: „Die Ausbürgerung des oppositionellen Kommunisten Wolf Biermann durch die Behörden der DDR empört uns linke Schriftsteller, denn sie erinnert uns an vergangen geglaubte Praktiken, die der revolutionären Bewegung in der ganzen Welt unermeßlich geschadet haben. Für die Entwicklung zum Sozialismus ist die kritische Auseinandersetzung in Theorie und Praxis eine Voraussetzung. Wer Kritik mit bürokratischen Mitteln niederwalzt statt sich mit ihr auseinanderzusetzen, schadet der sozialistischen Bewegung.“
Am 21.Januar 1977 empörte sich Kipphardt über Hacks‘ Haltung, den Brief wird er später nicht abschicken: „Du wolltest wohl kaum verlautbaren, daß Leuten das Dichten verboten werden soll, wenn deren Gedanken der Obrigkeit oder gar Dir nicht gefallen, und Du wolltest wohl auch nicht sagen, daß aus dem Lande gewiesen werden müsse, wer abweichende Meinungen vorträgt. Die Abweichung könnte doch trotz allem auch Dir noch mal passieren. Ach, Peter, man äußert sich nicht zu persönlichen Feinden, und besonders nicht, wenn denen gerade Böses angetan wird.“
Stattdessen ein kurzer Schlagabtausch, den Hacks am 10.Mai 1977 mit einer Postkarte lapidar beendet: „Is was? P.“ Und dann das Ende einer Freundschaft. Kipphardt lehnte ein Buch -Manuskript von Andre Müller ab. Die Mehrheitsentscheidung des Herausgeberkollektivs der „AutorenEdition“, zu der auch Kipphardt gehörte, war negativ. Trotz einer Empfehlung wollte der Verlag das Manuskript Am Rubikon nicht drucken, darüber war Hacks verstimmt. In einem Brief an den Herausgeber des Briefwechsels erklärt Hacks die damalige Situation so: „Kipphardt rief mich an und lud sich, wie es seine Gewohnheit war, bei uns ein, und ich lud ihn aber aus und sagte, ich hätte seine ewigen Verrätereien satt.“
Die letzten Zeilen an Hacks schrieb Kipphardt am 16.März 1980: „Du brauchst Lobhudler, keine Freunde. Somit adieu. Heinar.“
Adolf Stock
Der Briefwechsel ist nicht separat veröffentlicht, sondern kann in drei Bänden der Heinar Kipphardt-Werkausgabe des Rowohlt Taschenbuch-Verlages verfolgt werden. Im Anhang zu „In der Sache J. Robert Oppenheimer“ und in den beiden Bänden „Essays, Briefe, Entwürfe“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen