: Ein alter „Unruhestifter“?
■ Ein Bewohner eines „privaten Seniorenheims“ protestiert mit einem Hungerstreik gegen Mißstände / Er fordert den gesetzlich vorgeschriebenen Heimbeirat
Tempelhof. „Man hat ja Angst älter zu werden“, kommentierte eine Passantin den Anlaß der Hungerstreikaktion, die der Rentner Erich Gröger gestern vor dem Rathaus Tempelhof durchführte. Er weist mithilfe eines Transparents auf Mißstände im privaten Seniorenheim Lerchenweg in Tempelhof und die fehlende Lobby für alte Menschen hin. Gezwungen sieht er sich zu der Aktion, da nach seinen Angaben die von ihm bereits vor Wochen angesprochenen Bezirkspolitiker und Parteienvertreter nichts gegen die „fehlende Mitbestimmung und Willkür der Heimleitung“ unternommen hätten.
Auslöser für den Streit war die zu späte Auszahlung des April-Taschengeldes durch die Heimleitung. Es sei übliche Praxis, so die Auskunft im Sozialamt Tempelhof, daß Renten und Sozialhilfezuschüsse direkt aus „organisatorischen Gründen“ auf die Konten der verschiedenen Seniorenhäuser gingen. Dort sei man dann verpflichtet, einen Mindestsatz von 135 DM pünktlich an die BewohnerInnen als Taschengeld weiterzuleiten. Der Geschäftsführer von Haus Lerchenweg, König, sieht die Schuld für die verzögerte Auszahlung beim Bezirksamt, er sei schließlich „keine Bank“. Der hungerstreikende Erich Gröger, der gegen die verspätete Auszahlung mithilfe eines „Anschlags“ am schwarzen Brett protestierte, wurde von König schriftlich aufgefordert, die „Unruhestiftung und Stimmungsmache“ zu unterlassen, da sie geeignet sei „das Image des Heims zu untergraben„; nötigenfalls werde man zum Mittel der fristlosen Kündigung greifen.
Der für die Lösung solcher Konflikte gesetzlich vorgeschriebene Heimbeirat existiert in Haus Lerchenweg allerdings nicht, wie Herr König zugibt: „Dazu stehen wir auch“. Die HeimbewohnerInnen seien alte Menschen, die kein Interesse daran hätten, außerdem hätte sich in der Vergangenheit niemand zur Kandidatur bereitgefunden. Die von der taz dazu befragte Heimaufsicht bei der Senatsverwaltung Gesundheit und Soziales weiß bisher nichts von dem fehlenden Heimbeirat, man werde jedoch mit dem Träger „ein ernsthaftes Wort“ sprechen, so Herr Walter. Bisher habe man allerdings kaum Probleme mit diesem Heim gehabt. Ebenfalls bestätigt wird der Vorwurf Erich Grögers, der Gemeinschaftsraum der BewohnerInnen werde bereits um 19 Uhr abgeschlossen. Es gebe kein Bedürfnis, erklärt die Heimleiterin Frau Schütt, etwa gemeinsam fernzusehen, die alten Leute gingen „früh zu Bett“.
Um diese „Ruhe unter den Leuten“ nach Auskunft des Geschäftsführers König wieder herzustellen, werder er sich mit seinem Rechtsanwalt beraten, wie man den ungeliebten Gröger, der „um jeden Preis Heime abgrast“ wieder loswerden könne. Herr Gröger, der nach Meinung der Heimaufsicht beim Senat „mehr Kraft, Mut und Aktivität“ besitzt als man gewöhnlich in Seniorenheimen gewohnt sei, will sich mit solchen „menschenunwürdigen Zuständen“ nicht abfinden. Er will nicht nach der Devise „Vogel friß oder stirb im Seniorenheim“ leben, sondern „noch recht lange für die alten Menschen powern“. Heute wird er seine Hungerstreikaktion an der Gedächtniskirche fortsetzen und sich auch beim Katholikentag öffentlich mit seinem Transparent zeigen.
Sigrid Bellack
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